: Lincoln's Body. A Cultural History. New York 2015 : W.W. Norton & Company, ISBN 978-0-3930-6530-5 416 S. $ 28.95

: Mourning Lincoln. . New Haven 2015 : Yale University Press, ISBN 978-0-3001-9580-4 408 S. $ 30.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Schild, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen Email:

Die Geschichtswissenschaft hat zum 150. Jahrestag des Amerikanischen Bürgerkriegs keine grundlegenden neuen Interpretationen des Konfliktes oder der Gründe für den Erfolg des Nordens bzw. die Niederlage des Südens vorgelegt. Was Historiker/innen, Kulturwissenschaftler/innen und eine breite Öffentlichkeit (wie der Erfolg von Steven Spielbergs Film „Lincoln“ belegt) heute vornehmlich interessiert, sind das Vermächtnis des Präsidenten und die Erinnerung an ihn von seiner Ermordung bis in die jüngste Vergangenheit. Die Bücher von Martha Hodes und Richard Wightman Fox bedienen dieses Interesse und ergänzen sich dabei, weil „Mourning Lincoln“ die unmittelbare zeitgenössische Reaktion auf die Ereignisse vom Frühjahr und Sommer 1865 beschreibt, während „Lincoln’s Body“ die Zeit bis in die Gegenwart hinein untersucht.

Als Abraham Lincoln am Karfreitag 1865 ermordet wurde, reagierten die Zeitgenoss/inn/en schockiert, ängstlich, zornig, betrübt, aber auch zutiefst befriedigt über die vermeintliche göttliche Intervention, die den Präsidenten, der die Sklav/inn/en befreite, aus dem Leben riss. Hodes will diese unzähligen Einzelreaktionen systematisieren. Sie hat dazu knapp eintausend Tagebücher, Briefsammlungen und andere Quellen vom Frühjahr und Sommer 1865 ausgewertet. Viele der privaten Schriftstücke, die sie bearbeitet hat, werden zum ersten Mal untersucht. Sie arbeitet diese Quellen in eine ereignisgeschichtliche Darstellung der letzten Kriegsmonate ein. Die Dokumente belegen die unterschiedliche Wahrnehmung der Ereignisse des Jahres 1865. So schrieb Sarah Browne, eine Abolitionistin aus Salem, Massachusetts, nach der Kapitulation der Südstaatenarmeen Anfang April: „All over the North are wild with joy“. (S. 22) Die gleiche Nachricht war für einen ungenannten Leutnant aus Virginia hingegen der „traurigste Tag“ seines Lebens; ein Arzt aus Texas fand sich in Mitten von „Strömen aus Blut, Südstaatlichem Blut“ wieder.

Hodes fasst die Reaktionen der Bürger auf die Nachricht vom Tod des Präsidenten in Kategorien wie „Shock“, „Glee“, God“ und „Blame“ zusammen. So schrieb ein Frederick Sawyer, der sich Mitte April 1865 zu Besuch in Washington aufhielt, dass er nicht schlafen könne, „only horrid dreams await my slumbers“ (S. 49). Anders die Reaktion der siebzehnjährigen Emma LeConte aus den Südstaaten. Sie schrieb: „Hurrah. Old Abe Lincoln has been assassinated!“ Die Nachricht, dass Andrew Johnson nun Präsident sei, erfüllte sie nicht mit Optimismus. Der „rail-splitter“ sei durch ein „drunken ass“ ersetzt worden (S. 215). Auch ein Südstaatler und Rechtsanwalt aus Jacksonville, Florida, namens Rodney Dorman, dessen umfangreiche Tagebücher die Verfasserin in der Handschriftenabteilung der Library of Congress gefunden und erstmalig umfassend analysiert hat, ließ keinen Zweifel an seiner Verachtung den Yankees, Schwarzen und besonders Lincoln gegenüber aufkommen, den er eine „ill shapen, deformed, and most evil minded person“ nannte (S. 94).

Gemeinsam war Trauernden und Beglückten, dass sie die Ermordung Lincolns emotional berührte und dass sie darin sowohl Gottes Wirken als auch eine Bestätigung ihrer eigenen Auffassung hinsichtlich des Bürgerkrieges sahen. Für Lincolns Gegner/innen war die Ermordung das Werk eines Patrioten oder gar Zeichen für Gottes Unterstützung für die Sache der Konföderierten. Für die, die Lincolns Tod betrauerten, wurde die Bewertung der Ermordung in den Jahren der Reconstruction kompliziert. Wenn der Bürgerkrieg über die Frage der Sklaverei ausgetragen worden war, dann musste gefragt werden, was Gott mit dem Tod des Emanzipators und der folgenden Präsidentschaft Andrew Johnsons bezweckte.

Hodes Buch bestätigt das Bild einer zweigeteilten Reaktion auf den Tod Lincolns in einem gespaltenen Land. Der Krieg war zwar beendet, der Konflikt aber noch nicht überwunden. In den Köpfen der Menschen war noch kein Friede eingekehrt; alte Animositäten bestanden fort.

Während sich Hodes in ihrer Betrachtung auf die Zeit um das Frühjahr 1865 beschränkt, ist die Ermordung des Präsidenten für Fox der Einstieg in die Aufarbeitung einer 150jährigen Beschäftigung mit Lincolns „Körper“ in Amerika. Der Verfasser unterscheidet drei Phasen der Erinnerung an den Präsidenten. Die erste Phase schließt die Jahre seines politischen Wirkens ein („Public Body“). Daran schließt sich die Phase 1865 bis 1909 an („Enshrined Body“) und schließlich von 1909 bis heute („National Body“). Jede Phase habe ihre eigene Art der Darstellung des Körpers von Lincoln gehabt, so Fox. In der ersten Phase dominierten Fotografien Lincolns und Lithographien seiner Ermordung und der Beerdigung. In dieser Zeit stand noch die unmittelbare Beschäftigung mit dem Körper im Vordergrund. Fox bemerkt, wie häufig Kommentatoren kritische Bemerkungen über den Körper des Präsidenten, sein Aussehen und seine Gestalt, machten. So schrieb die Zeitung Petersburg Express im Mai 1860, dass allein die Wahl eines Präsidenten von solch unendlicher Hässlichkeit Grund genug für eine Auflösung der Union sei. Interessanterweise zählt dieser vermeintlich unattraktive Mann zu einer der am häufigsten fotografierten Personen seiner Zeit.

In der zweiten und dritten Phase wurde vom eigentlichen Körper abstrahiert. Stattdessen wurden Monumente geschaffen, die einzelne Aspekte seines Lebens und Wirkens in den Mittelpunkt stellten. Dazu zählten Gedichte wie Walt Whitmans „O Captain. My Captain“ und Skulpturen wie das 1876 eingeweihte Emanzipationsdenkmal von Thomas Ball in Washington. Zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts verliert der Aspekt des Emanzipators an Bedeutung bei der Gestaltung von Lincolndenkmälern. Daniel Chester Frenchs monumentale Statue des Präsidenten im Lincoln Memorial in der US-Hauptstadt – für Fox eine Illustration des „National Body“ – beschränkt sich auf die Erinnerung an die Wiederherstellung der nationalen Einheit. Dahinter stand eine politische Absicht, den Emanzipationsprozess auszublenden. Die Gettysburg Ansprache vom November 1863 wurde für Fox gerade deshalb so zentral in der Erinnerung weißer Amerikaner/innen an ihren Bürgerkriegspräsidenten, weil er Sklaverei und Emanzipation nicht erwähnte. Zum Symbol für die Bürgerrechtsbewegung wurde das Lincoln Memorial erst im April 1939, als die schwarze Sängerin Marian Anderson dort ein Konzert gab, nachdem ihr der Auftritt im größten Konzertsaal Washingtons, der Constitution Hall, verweigert worden war.

Es gibt zwei Arten, die hier vorgestellten Bücher zu lesen. Man kann in ihnen quellenmäßig gesättigte und inhaltlich überzeugende kulturgeschichtliche Analysen zum Lincolnbild der letzten 150 Jahre sehen, die bestehende Ansichten eher bestätigen als in Frage stellen. Aber man kann beide Bücher auch als Versuch lesen, ein Lincolnbild für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Die zwei Elemente dieses Bildes sind die Betonung der nationalen Einheit in der Erinnerung sowie zweitens eine Annäherung an den Menschen Abraham Lincoln. Hodes nennt ihr Buch „Mourning Lincoln“, obwohl sie auf jeder Seite deutlich macht, dass der Tod des Präsidenten gerade nicht zu einer allgemeinen Trauer geführt hat. Unterschiedliche Wahrnehmungen standen sich lange Zeit unversöhnlich gegenüber. Es geht ihr jedoch um etwas anderes: In der Einleitung schreibt sie, dass ihr der Einfall zu dem Buch nach dem 11. September 2001 gekommen sei, als das Land in Trauer über die Anschläge von New York und Washington vereint war. „Mourning Lincoln“ ist ein Buch über ein Land vereint in der Erinnerung an Lincoln. Diese Erinnerung an ihn besteht bis heute fort. Und da es heute niemanden gibt, der die Ermordung Lincolns öffentlich gutheißt, ist Amerika im 21. Jahrhundert schließlich geeint in der Trauer um Lincolns Tod. Fox beschreibt nur vordergründig unterschiedliche Lincolnbilder seit 1865, in Wirklichkeit stellt er eine Abfolge amerikanischer Gesellschaften vor, die jeweils eigene, spezifischen Erfordernissen angepasste Lincolnbilder konstruiert haben. Aus den vielfältigen Angeboten wie Emanzipation, Krieg und nationale Vereinigung griff jede Generation das für sie passende heraus. Für Fox repräsentiert der Lincoln aus Steven Spielbergs gleichnamigem Film (Drehbuch Tony Kushner) die heute im öffentlichen Bewusstsein vorherrschende Interpretation des Präsidenten. Es ist der Mensch Lincoln, der im Vordergrund steht. Er ist Kriegspräsident und Emanzipator, der nicht an Größe einbüßt, wenn er um den Tod seines Sohnes Willie trauert oder mit seiner Frau streitet. Für Fox ist damit ein Kreis geschlossen, weil wieder die Physis im Mittelpunkt steht. Die ersten Darstellungen der Präsidenten waren Fotografien des Körpers, dann folgten abstrahierende interpretatorische Darstellungen und Monumente. Mit Daniel Day-Lewis‘ Verkörperung des Präsidenten sei eine neue Ebene der Interpretation erreicht worden, so Fox: „[Tony Kushner’s] writing and Day-Lewis’s acting bring the transcendent American symbol down to earth by rooting him in his body“. (S. 322)

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