H.-C. Herrmann u.a. (Hrsg.): Widerstand, Repression und Verfolgung

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Titel
Widerstand, Repression und Verfolgung. Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus an der Saar


Herausgeber
Herrmann, Hans-Christian; Bauer, Ruth
Reihe
Geschichte, Politik & Gesellschaft. Schriftenreihe der Stiftung Demokratie Saarland 14
Erschienen
Anzahl Seiten
473 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus J. Becker, Stadtarchiv Ludwigshafen,

Vom 6. März bis 6. November 2013 nahm die saarländische Landeshauptstadt Saarbrücken den 80. Jahrestag der Machtübergabe an die Nationalsozialisten zum Anlass für die Veranstaltungsreihe „Widerstand, Repression und Verfolgung“. Einführend ergänzt unter anderem um den Beitrag des Herausgebers über „Aspekte zum jüdischen Leben an der Saar – die Zeit vom 19. Jahrhundert bis zum Holocaust“ und abgeschlossen durch einen didaktischen Teil für den Schulunterricht, liegen die elf während der Veranstaltungsreihe gehaltenen Vorträge zur Geschichte des Nationalsozialismus an der Saar nun als Band 14 der Schriftenreihe der Stiftung Demokratie Saarland vor.

Andreas Merl beschreibt darin die Entwicklung der NSDAP an der Saar von einer Splitterpartei mit weniger als 1.000 Mitgliedern zur bestimmenden politischen Kraft im Vorfeld der Saarabstimmung 1935. Die NSDAP blieb als einzige politische Kraft der sogenannten Deutschen Front, also der ursprünglich vom Montanunternehmer Hermann Röchling initiierten nationalen Einheitsbewegung für die Rückgliederung an Deutschland, bestehen, während die sie mittragenden bürgerlichen Parteien – aber auch das katholische Zentrum – sich schon vor der Volksabstimmung auflösten. Die Deutsche Front grenzte jeden Andersdenkenden als Vaterlandsverräter aus und entpolitisierte damit die Saarabstimmung, wie Joachim Heinz in seinem Beitrag aufzeigt. Förderlich für die breite Zustimmung der Saarbevölkerung war auch das Bekenntnis der christlichen Kirchen zu Hitlers Deutschland. Detailstudien von Heinrich Küppers zur katholischen und von Jörg Rauber zur evangelischen Kirche erklären, warum beide Konfessionen die Rückgliederung an Hitler-Deutschland massiv unterstützten. Erstaunlich bleibt die hohe Akzeptanz der NS-Herrschaft an der Saar, obwohl sich die Lebensverhältnisse nach der Eingliederung wider Erwarten nicht verbesserten. Hier zeigt Michelle Klöckner auf, wie es dem NS-Staat gelang, die daraus resultierende Unzufriedenheit und Kritik im Wechselspiel von Propaganda und konkurrierenden Herrschaftsstrukturen zu entschärfen und zu kanalisieren. „Von ‚Saarfranzosen‘ und ‚Zigeunervolk‘“ überschreibt Nicholas J. Williams seinen Beitrag über die Evakuierung der Roten Zone 1939, die unter anderem die Städte Saarbrücken und Saarlouis betraf. 1935 treu für Deutschland gestimmt, wurden deren Einwohner in den Aufnahmegebieten Nordhessens und Thüringens nun als „Räumlinge“ und „Freigemachte“ diskreditiert, die zu „faul“ seien, in der Landwirtschaft zu arbeiten: Stadt-Land-Gegensätze, die im Kriegsverlauf auch in Frankreich und Großbritannien gegenüber der eigenen evakuierten Bevölkerung aufbrachen. Nuancenreich stellt Williams dar, wie Angehörige der Wehrmacht, Feuerwehr und Polizei massenhaft Wohnungen in Saarbrücken plünderten, um 1940 den Rückkehrern glaubhaft zu machen, Marokkaner in Reihen der französischen Armee wären die Einbrecher gewesen.

Hans-Christian Herrmann beschreibt das Paradoxon, warum so viele Bewohner des Saargebiets schon ab dem 1. April 1933 dem Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte folgten, obwohl das Mandatsgebiet des Völkerbundes noch gar nicht zu Hitler-Deutschland gehörte. Der Herausgeber erkennt darin einen vorauseilenden Gehorsam der Bevölkerung, die widrigenfalls mit Repressalien nach 1935 rechnete. Wenigstens hatten die jüdischen Einwohner des Saargebiets durch die „Römischen Garantien“ von 1934 die Möglichkeit, ihren Grundbesitz geregelt zu verkaufen und das bewegliche Vermögen abgabenfrei in die Emigration mitzunehmen. Die meisten jüdischen Mitbürger nutzten diese Chance, wie Marieke Thomé in ihrem Beitrag über die „Arisierungen“ aufzeigt – allerdings konnten die wenigsten jüdischen Emigranten sich im Exil eine neue Existenz aufbauen. Am Beispiel des Lebens und Wirkens des Saarbrücker Rabbiners Dr. Friedrich Schlomo Rülf zeigt Herbert Jochum den schwierigen Spagat zwischen deutscher Prägung und erzwungener Emigration nach Palästina auf.

Den genauso verbrecherischen Umgang mit anderen Opfergruppen – in diesem Fall vor allem mit Zwangsarbeitern, aber auch mit deportierten Lothringern und Elsässern – schildert eindrucksvoll Elisabeth Thalhofer am Beispiel des Gestapo-Lagers Neue Bremm, das den Charakter eines „Erweiterten Polizeigefängnisses“ hatte und damit weitgehend ohne Regelwerk blieb. Die im Saarland nicht weniger als in den übrigen Besatzungszonen problematisch verlaufene und letztlich gescheiterte Entnazifizierung beschreibt Wilfried Busemann. Neben dem auch anderenorts fortbestehenden Antisemitismus, der Ablehnung von Emigranten als „Exilanten“ oder von ehemaligen Inhaftierten als „KZler“ zeigt der Autor auf, dass viele Saarländer im Kontext der Zusammenbruchsgesellschaft sich selbst als Opfer sahen, die Gefallene zu beklagen hatten, ausgebombt waren oder durch die zweimalige Evakuierung gedemütigt sowie bestohlen worden waren. Nur am Rande streift das Saarland Johannes Großmann mit seinem breiter angelegten Beitrag über die Geschichts- und Mahnkultur in Deutschland zwischen „Objektivierung“ und „Europäisierung“, in dem er etwa kurz auf die „Wagner-Bürckel-Aktion“ im Oktober 1940 eingeht, die auch die letzten nach 1935 im Saarland verbliebenen Juden umfasste.

Auch wenn damit die „Große Vortragsreihe“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Widerstand, Repression und Verfolgung“ dokumentiert ist, zeigt die Aufnahme des Beitrags von Großmann genau das Dilemma der Herausgeber: Neben der vollständigen Wiedergabe der Vortragsreihe soll die Publikation sich in den Kontext von „80 Jahre Saarabstimmung“ und „60 Jahre Referendum“ stellen und darüber hinaus „80 Jahre nach Hitlers Machtergreifung, 75 Jahre nach der Reichskristallnacht und 70 Jahre nach der Ermordung von Willi Graf“ (S. 9) die Auseinandersetzung mit „diesem düsteren deutschen Kapitel fördern“. Nahezu eine Sisyphusaufgabe, der sich die Herausgeber erst nach einem Vorwort, dem auszugsweise zitierten Grußwort der Oberbürgermeisterin und der Dokumentation ihrer Rede nähern können. Hans-Christian Herrmann bietet dabei „bewusst wertend und bilanzierend“ einen gelungenen Überblick über die Beiträge des Bandes. So gelingt es etwa Nicholas J. Williams überzeugend, die Perzeption der evakuierten Saarländer in ihren Aufnahmegebieten darzustellen. Auch wird deutlich, warum SPD und KPD trotz Einheitsfront innerhalb der katholisch geprägten Arbeiterbewegung des Saarlandes nicht mehrheitsfähig wurden und damit 1935 den Status quo nicht durchsetzen konnten. Auch die wichtige Fragestellung „katholisches Kernland und dennoch breites Bekenntnis zum nationalsozialistischen Deutschland“ wird berücksichtigt. Einzelne Beiträge kommen aber nicht über die erkennbare reine Vortragswiedergabe hinaus, was etwa zu einer sprachlich inflationären und sachlich falschen Ersetzung des „Saargebiets“ durch das „Saarland“ führt.

Allen Beiträgen wäre mehr Raum zum Abhandeln ihrer jeweiligen wichtigen Fragestellung zu wünschen gewesen – der Verzicht auf den „didaktischen Teil“, den man eher in einer pädagogischen Fachzeitschrift erwartet hätte, hätte dies ermöglicht. Gänzlich fehlt leider ein Orts- und Personenregister. Das Wirken entscheidender Handlungsakteure – etwa des aus der Pfalz stammenden Gauleiters Josef Bürckel, der Hitler als „Anschlussspezialist“ noch in Österreich und Lothringen diente – muss daher suchend nachvollzogen werden; auch eine wichtige Persönlichkeit im kommunistischen Milieu, Otto Niebergall – Erich Honeckers „Ziehvater“ – „kommt und geht“ und muss deshalb mühevoll in den Beiträgen gesucht und gefunden werden. Ein rundes Bild über die Geschichte des Nationalsozialismus an der Saar entsteht so auf 473 Seiten leider nicht. Trotzdem leistet die Publikation einen wichtigen und notwendigen Beitrag zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus an der Saar.

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