R. W. Burgess: Roman Imperial Chronology and Historiography

Cover
Titel
Roman Imperial Chronology and Early-Fourth-Century Historiography. The Regnal Durations of the So-called Chronica urbis Romae of the Chronograph of 354


Autor(en)
Burgess, Richard W.
Reihe
Historia-Einzelschriften 234
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der in Ottawa tätige Althistoriker Richard Burgess hat bereits mehr als einmal einen Beitrag dazu geleistet, für wenig bekannte und meist nur beiläufig zitierte antike Quellenwerke eine nützliche Grundlage zu schaffen.1 In seiner neuen Monographie widmet er sich der Königs- und Kaiserliste im Chronographen von 354, die er im Titel noch mit der Forschung als „Chronica urbis Romae“, im Buch aber zuerst mit der Bezeichnung „Breviarium Vindobonense“ (S. 9) und danach stets „Breviarium“ versieht.

Burgess beginnt mit einem Überblick zu dem wenig bekannten spätantiken Werk (S. 9–14), einem kurzen Abriss der römischen Geschichte in Listenform; die Königs- und Kaiserlisten umfassen die vorrömischen und römischen Könige, einige Magistrate der Republik und die Kaiser von Caesar bis Licinius. Der durchschnittliche Umfang der einzelnen Sektionen weist erhebliche Unterschiede auf: Der nomina dictatorum betitelte Abschnitt zur Republik stellt lediglich eine Liste von etwas mehr als zwei Dutzend Namen ohne jegliche Zusatzinformation dar. Die Angaben zu den Königen von Alba beschränken sich auf deren Regierungsdauer und zwei darüber hinausgehende Notizen. Über die römischen Kaiser wird hingegen vergleichsweise ausführlich informiert.

Vollständig erhalten ist das Werk in einer einzigen Handschrift, daneben existieren zwei Exzerpte. Über den Autor ist nur bekannt, dass er seine Schrift zwischen 325 (Tod des Licinius) und 337 (Tod Konstantins) verfasste und wohl Heide war; das Christentum bleibt unerwähnt. Als Schwerpunkte des Werkes benennt Burgess die Listen der Könige und Kaiser (während die Republik fast vollkommen übergangen wird), die Angaben zur Regierungsdauer der Herrscher, die Ausgaben der Kaiser für Geldspenden, Art und Ort des Todes der Kaiser, Sensationsgeschichten sowie die Bauten in Rom. Nicht interessiert ist der Autor hingegen an Kriegen und Außenpolitik, an Geschehnissen außerhalb Roms sowie an Herkunft und Karriere der Kaiser. Im zweiten Teil seiner Einführung (S. 15–18) benennt Burgess das Grundproblem in der Interpretation der Quelle: Der Autor des Breviarium benutzte zwar eine zuverlässigere Tradition als die Enmannsche Kaisergeschichte (EKG), allerdings übte letztere einen deutlich stärkeren Einfluss auf die spätere Historiographie aus. Auch sind die Zahlenangaben des Breviarium selbst dann, wenn sie gemäßigt und detailliert erscheinen, nicht immer zuverlässig, so dass eine Prüfung jeder einzelnen Angabe notwendig ist.

Eine solche Prüfung führt Burgess zunächst für die Informationen zu den vorrömischen Königen durch (S. 19–27). Er stellt fest, dass die gebotene Liste eng mit denen bei Diodor und in den Fasti Ovids verknüpft ist, und kommt in seiner Analyse zu folgendem Ergebnis: Von den 19 Angaben über die Regierungsdauer fehlen zwei, sechs sind richtig überliefert, sechs weisen kleinere Fehler auf, in fünf Fällen ist eine stärkere Textverderbnis festzustellen. Von den Königsnamen ist einer ausgefallen, vier sind stark und einer geringfügig verschrieben. Einige der Fehler seien allerdings auf einen Irrtum der Quelle des Breviarium zurückzuführen. Wieder einführenden Charakter hat dann das Kapitel „The major sources“ (S. 28–33), in dem Burgess die für die behandelten Kaiserdaten relevanten Quellen präsentiert. Die chronologisch nach Entstehungszeit geordneten Werke reichen vom (späten) 2. (Clemens von Alexandria und Tertullian) bis zum 13. Jahrhundert (Synopsis Sathas) und umfassen auch zahlreiche wenig bekannte Schriften (so das Chronographikon des Nikephoros, der Anonymus Matritensis und das Chronikon epitomon) und mit der EKG sogar ein nur rekonstruiertes Werk.

Den Hauptteil des Buches bildet die Analyse der Daten des Breviarium für die Zeit von Caesar bis Licinius (S. 34–86). Nach einem Überblick zu den mit dem römischen Datierungssystem verbundenen praktischen Rechenproblemen stellt Burgess die relevanten Angaben zusammen: Angeführt wird zuerst die Regierungsdauer des Breviarium, dann die von der modernen Forschung anerkannte Chronologie der Herrscher und die verschiedenen Varianten anderer Quellen sowie schließlich ein kurzer Kommentar zu den Angaben. Die Zusammenfassung (S. 87–114) präsentiert die Einzelergebnisse. Für die 50 Kaiserdaten des Breviarium kommt Burgess zu folgenden Zahlen: Vier sind korrekt; vier sind falsch, aber die Quelle wurde vom Autor richtig abgeschrieben; vier weisen geringfügige Fehler auf; sieben zeigen kleine Fehler gegenüber einer bereits fehlerhaften Quelle; 16 weisen größere Fehler auf; in 15 Fällen ist kein Urteil möglich, wenngleich die Angabe weitgehend korrekt zu sein scheint. Den höheren Fehleranteil bei den Tagesangaben im Vergleich zu den Jahres- und Monatsangaben erklärt Burgess damit, dass es sich dabei um Erfindungen handelt, mit denen fehlende Detailinformationen ausgeglichen werden sollten.

Bezüglich seiner Zuverlässigkeit unterteilt Burgess das Breviarium in drei Abschnitte: Die Partien von Caesar bis Severus Alexander weisen eine höhere Fehlerquote als der folgende Abschnitt auf und sind insbesondere bei den Tagesdaten unzuverlässig, bieten aber auch richtige Angaben und sind wohl aus verschiedenen Herrscherlisten kompiliert. Der von Maximinus Thrax bis Carus reichende zuverlässigste Abschnitt benutzt eine Quelle, die nicht von Eusebios und der EKG herangezogen wird. Dabei handele es sich wohl um eine griechische Chronik. Die Angaben zu Carinus bis Licinius weisen die höchste Fehlerquote auf, dies sei durch das Fehlen von schriftlichen chronologischen Quellen zu dieser Periode und die zahlreichen Überschneidungen der gleichzeitig regierenden Herrscher bedingt. Abschließend charakterisiert Burgess den Verfasser des Breviarium als mäßigen Historiker, der sich auf einige Quellen gestützt habe, die er nicht habe verifizieren können (und wollen). Bei dem Breviarium handele es sich um ein populäres Werk, das vielfach schnell (in mäßiger Qualität) kopiert worden sei und mit ähnlichen Werken zirkuliert habe.

Als Hauptergebnisse seiner Einzelanalyse streicht Burgess folgende Punkte heraus: Einige Tagesangaben des Breviarium für die Zeit von Caesar bis Severus Alexander sind erfunden. Bis zu Severus Alexander verwendete der Autor eine bereits stark fehlerhafte Kaiserliste als Quelle. Für die Zeit zwischen 235 und 283 ist das Breviarium – sieht man von den Tagesangaben ab – dagegen insgesamt zuverlässig. Für die späteren Regierungen sind indes nur die Angaben zu Maxentius und Licinius einigermaßen präzise. Laut Burgess ist eine Unterscheidung zwischen Fehlern, die aus der Quellenvorlage stammen, und solchen, die durch die Kopisten entstanden sind, nicht möglich. Burgess betont im Fazit (S. 115–118), dass Angaben des Breviarium nicht als alleinige Quelle zur historischen Rekonstruktion benutzt werden dürfen. Chronologische Rekonstruktionen lediglich auf Basis des Breviarium seien daher zu verwerfen. Eine Ausnahme seien lediglich die Angaben über die Regierungsdauer des Geta, Gordian I. und II., Florianus und Maxentius.

Die Anhänge zur Arbeit sind mehr als nur lose mit dem Inhalt des Buches verknüpfte Studien, es handelt sich vielmehr um relevante Ergänzungen. Noch am ehesten als Anhang im eigentlichen Sinne ist die Sammlung der Angaben des Cassius Dio zur Kaiserchronologie (S. 119–134) zu werten. Burgess stellt hierin, geordnet nach den einzelnen Berechnungsformen, die bei Cassius Dio gebotenen Kaiserdaten zusammen und stellt fest, dass diese insgesamt zuverlässig sind. Der zweite Anhang (S. 135–141) versammelt die Informationen über die Regierungsdauer der Kaiser von Augustus bis Jovian aus den Benutzern der EKG (Aurelius Victor, Eutropius, die Epitome de Caesaribus und die Historia Augusta) und deren Quelle Sueton. Für den Befund, dass die EKG-Tradition mehrfach von Sueton abweicht, präsentiert Burgess fünf mögliche Erklärungen und erweist so die Richtigkeit seiner Feststellung: „As is often the case with Quellenforschung, matters are more complicated than they first appear“ (S. 141). Der dritte Anhang (S. 142–157) bietet eine kritische Edition des Breviarium mit englischer Übersetzung. Im vierten Anhang (S. 158–192) sammelt Burgess die Parallelen zu den Angaben des Breviarium. Dieser Vergleich zwischen dem Breviarium und den Parallelquellen ermöglicht eine Reihe von Schlüssen: Da nur die Chronik des Eusebios und einige spätere griechische Autoren Parallelen für die vorrömische Zeit bieten, gehen die Informationen auf einen im griechischen Sprachraum populären Text zurück. Die Originalquelle des Breviarium war aber in lateinischer Sprache abgefasst und wurde vom Autor auch in dieser Form konsultiert. Das Sensationsmaterial geht wohl auf paradoxologische Kompendien zurück; verwendet wurden zudem römische Consularia. Bei den Angaben zu den Todesorten der Kaiser finden sich nur wenige Fehler im Breviarium, von denen zwei auf dessen Quellen zurückgehen und zwei (Constantius Chlorus und Flavius Severus) im späteren Teil des Werkes verortet sind.

Burgess’ hier präsentierte Quellenkenntnis beeindruckt wiederholt. Dennoch hätte der Quellenbestand sicher etwas vollständiger eingearbeitet werden können. Burgess nennt in seiner Quellenübersicht immer wieder Werke, die er nicht heranzieht, da sie auf andere vollständig erhaltene Werke zurückgehen, so etwa Orosius, Paulus Diaconus, Landolfus Sagax (S. 30), Prosper Tiro, die Chroniken des Cassiodor und des Isidor von Sevilla, die Gallische Chronik von 511 (S. 31) sowie die Excerpta Salmasiana (S. 32); andere Autoren bleiben vollkommen ungenannt, so etwa Jordanes, Rufinus, Pseudo-Polydeukes, Nikephoros Kallistos Xanthopulos oder die vulgärlateinische Fassung der Epitome de Caesaribus. Gewiss wäre deren Beitrag zur eigentlichen Frage ein eher geringer (was aber auch für manche von Burgess herangezogene Quelle gilt), doch hätte ihre Einarbeitung zweifellos dazu beigetragen, ein noch genaueres Bild von den Traditions- und Entwicklungslinien zu erhalten. Außerdem hätte dies eine wichtige Vorarbeit für noch nicht vollends geklärte Fragen wie etwa das genaue Ausmaß der Benutzung des Eutropius durch Jordanes in der Romana darstellen können.2 Die Forschungsliteratur wurde von Burgess indes umfänglich ausgewertet, hier lassen sich nur wenige eher unbedeutende Ergänzungen anführen.3

Eine Schwierigkeit lässt sich allerdings nicht leugnen: Eine leichte Lektüre ist Burgess’ Studie nicht: Die Thematik der Quellenforschung bedingt mehrere (weitgehend alternativlose) Eigenheiten wie zahlreiche Tabellen, statistische Auswertungen und sich über viele Seiten hinziehende Quellenauflistungen, zudem nutzt Burgess eine stark mathematische Methodik. Diese Merkmale seiner Quellenanalyse sowie sicher auch die eher geringe Bedeutung der untersuchten spätantiken Schrift dürften dazu führen, dass die Leserschaft der Studie – von der Übersetzung des Breviarium vielleicht abgesehen – eine selbst für ein Fachbuch kleine bleiben dürfte. Der mit der Materie vertraute Leser wird aber feststellen, dass es Burgess mit Kenntnis und Sachverstand zu zeigen gelingt, welche Fülle an Erkenntnissen sich aus einer scheinbar zweitrangigen und oft nur für einzelne Notizen verwendeten Quelle entnehmen lässt.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa kürzlich neben den S. 196f. im Literaturverzeichnis zitierten Beiträgen: Another look at the Newly-discovered ‚Leipzig World Chronicle‘, in: Archiv für Papyrusforschung 58 (2012), S. 16–25; The Berlin ‚Chronicle‘ (P. Berol. inv. 13296), in: Archiv für Papyrusforschung 58 (2012), S. 273–301.
2 Vgl. etwa Wilhelm Enßlin, Zu Orosius VII 25,9 und zum Perserfeldzug des Cäsars Maximianus Galerius, in: Philologische Wochenschrift 60 (1940), Sp. 669–671, hier Sp. 671; Stéphane Ratti, Les Romana de Jordanès et le Bréviaire d’Eutrope, in: Antiquité classique 65 (1996), S. 175–187.
3 Alfred von Domaszewski, Die Daten der Scriptores historiae Augustae von Severus Alexander bis Carus, Heidelberg 1917; Hendrina van Oosten, Keiserdatums in Eutropius, in: Acta classica 32 (1989), S. 59–78 (in Afrikaans, aber zur Hälfte aus Tabellen bestehend); Ratti, Romana (Vergleich der Kaiserdaten bei Eutropius, Jordanes, Hieronymus und Orosius); Konstantinos A. Zafeiris, The Synopsis Chronike and its place in the Byzantine chronicle tradition, Diss. University of St. Andrews 2007. Auch sonst ist nicht viel anzumerken: S. 30 wäre der unvollständige Satz „Who wrote that source is not“ etwa mit „sure“ zu ergänzen; S. 194 ist „Samberger“, nicht „Samburger“; S. 195 „Pseudo-Dionysius“, nicht „Psuedo-Dionysius“ zu lesen.

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