S. Kamel u.a. (Hrsg.): Experimentierfeld Museum

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Titel
Experimentierfeld Museum. Internationale Perspektiven auf Museum, Islam und Inklusion


Herausgeber
Kamel, Susan; Gerbich, Christine
Anzahl Seiten
478 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Ernst, Institut für Germanistik, Universität Potsdam

Der Sammelband beleuchtet als Ergebnis des Praxisforschungsprojektes „Experimentierfeld Museologie“ die Zusammenhänge zwischen Museumspraxis, Repräsentation des Islam und gesellschaftlicher Inklusion in der ‚Migrationsgesellschaft‘ (Paul Mecheril). Er unterstreicht in der Kreuzung aktueller fachlicher und politischer Diskurse die gesellschaftliche Rolle von Museen und bereichert die deutschsprachige Debatte insbesondere durch die Rezeption der angelsächsisch geprägten Neuen Museologien. Die Beiträge präsentieren sowohl konzeptionelle Überlegungen als auch Praxiserfahrungen und versammeln vielfältige internationale Perspektiven auf den im Untertitel angezeigten Themenkomplex.

Die einleitenden Beiträge stellen Idee und Konzept des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts vor, das eine Bestandsaufnahme der Vermittlungskonzepte von circa 40 internationalen Museen und fünf museologische Experimenten beinhaltete. Christine Gerlich fasst die Programmatik der Neuen Museologien zusammen, die aus postkolonialer Perspektive das Fortwirken dichotomer Konstruktionen von Okzident und Orient, Hoch- und Alltagskultur oder Moderne und Vormoderne in der musealen Praxis kritisieren. Zugleich werden durch ein konstruktivistisches „Verständnis von Besucher_innen und Nichtbesucher_innen als aktive Bedeutungsmacher_innen“ (S. 24) sowie durch ein systemisches Verständnis der „strukturellen Gegebenheiten“ (ebd.) des Museums als Institution und Organisation die Prämissen und Voraussetzungen für die Entwicklung alternativer Konzepte benannt, für die Diversität und Zugänglichkeit zentrale Leitbilder darstellen. Susan Kamel spezifiziert Implikationen für Museen, die ‚islamisch geprägte Kunst‘ zum Gegenstand haben. Diese aus dem englischen Begriff ‚islamicate‘ abgeleitete Wortverbindung schlägt sie als Alternative zum essentialistischen Begriff ‚islamische Kunst‘ vor, den sie aufgrund eines „horizontalen mapping der Welt in Kulturkreise, einer vertikalen Hierarchisierung in high and low culture und einer diagonalen Chronologisierung, die islamische Kunst in die Vergangenheit verortet und somit der Kunst, der Religion und Kultur eine Gestrigkeit bescheinigt, der dann wieder die westliche postreligiöse, postmoderne Kultur gegenübergestellt wird“ pointiert kritisiert (S. 43f.).

Der zweite Teil „Vor-Verortungen“ enthält museumswissenschaftliche Aufsätze, auf deren Positionen das Projekt aufbaute. Paul Basu und Sharon Macdonald erläutern Ziele, Formen und Grenzen museologischer Experimente, Richard Sandell und Eithne Nightingale affirmieren in einem kurzen, leider zu allgemein bleibenden Artikel, „dass Museen zu einer faireren und gerechteren Gesellschaft beitragen können“ (S. 99) und betonen hierfür die Wichtigkeit organisatorischer Veränderungen. Carmen Mörsch geht in ihrer Auseinandersetzung mit Kunstvermittlung in der Migrationsgesellschaft von einer dezidierten Kritik an interkulturellen Konzepten als „dominierende[m] Ansatz im deutschsprachigen Raum“ (S. 103) aus, der Institutionen die Sicherung ihrer „hegemoniale[n] Position“ bei deklarierter Übernahme „soziale[r] Verantwortung“ erlaube (S. 106). Um Ungleichheiten und Rassismen reproduzierende Logiken zu durchbrechen, fordert sie „nicht nur […] einen reflexiven Umgang mit den eigenen Begriffen, Strukturen und Handlungsweisen“, sondern auch eine „Reflexion und Aktion gemeinsam mit den jeweils Adressierten“ (S. 112). Andrea Meyer und Bénédicte Savoy diskutieren die Produktivität transnationaler Perspektiven für museologische Forschungen.

In zwei weiteren Teilen werden Praxisbeispiele aus internationalen und Berliner Museen präsentiert. Diese verdeutlichen die Unterschiedlichkeit von Ausstellungs- und Vermittlungspraxen in Bezug auf Inklusion und/oder die Repräsentation islamisch geprägter Kultur. John-Paul Sumner reflektiert den Versuch, die Glasgower Kelingrove Art Gallery and Museum zu einem inklusiven, für alle Bürger/innen zugänglichen und lokal verankerten Museum umzugestalten. Hierzu wurden spezielle Angebote für Kinder und Schulen erarbeitet und ein Ausstellungsraum für lokale Communities eingerichtet. Nicht weniger als fünf Kurator/innen für Bildung und lokale Kulturarbeit gestalten und koordinieren diese Angebote. Wie schwach ausgeprägt hingegen die organisatorische Verankerung von Vermittlungsangeboten in Deutschland ist, wird an anderen Stellen des Praxisteils deutlich. Die Beiträge von Juliette Fritsch sowie von Eithne Nightingale und Marilyn Greene berichten aus der Praxis des Victoria and Albert Museum (V&A) in London, welches eine eigene Abteilung für soziale Inklusion und Vielfalt besitzt. Diversity-Themen spielen hier etwa bei der die Voraussetzungen und Interessen unterschiedlicher Besucher/innengruppen berücksichtigenden Konzeption von Ausstellungen, in Hinblick auf die Erfassung religiöser und kultureller Dimensionen von Objekten in Zusammenarbeit mit religionsspezifischen Beiräten, die Konzeption interkultureller Führungen durch Personen mit Community-Bezug und nicht zuletzt in Outreach-Programmen eine Rolle. Während das V&A spezifische kulturelle und religiöse Gruppen adressiert (und somit auch voneinander abgrenzt), konzipiert das Göteburger Museum für Weltkultur den Islam (und andere Religionen) als „Aspekt von Weltkultur […] im Singular“ (S. 192) als globales, aber je nach lokalem Kontext spezifisches Phänomen. Klas Grinell, Leiter des Museums, erteilt „Galerien über die Kunst des Islam oder die muslimische Welt“ eine entschiedene Absage, auch wenn er eine „postsekuläre Situation“ (S. 206) anerkennt, damit verbunden allerdings eine Gefahr „identitärer Ethnisierungen“ (ebd.) konstatiert, welche reale Machtverhältnisse verdecken.

Mirjam Shatanawi zeigt an ausgewählten Museen Widersprüche in der Kuratierung von Ausstellungen islamischer Kunst auf. Diese reagierten seit 2001 auf den proklamierten ‚Kampf der Kulturen‘ durch ästhetisierende Strategien und reproduzierten dabei entgegen der erklärten Intentionen kolonialistische Schemata. Iman R. Abdulfattah stellt das Museum of Islamic Art (MIA) in Kairo vor, das 2011 ohne größere Resonanz im Westen nach längerer Umbauzeit wiedereröffnet wurde. Schoole Mostafawy wirbt für die 2013 neu eröffnete Sammlungsausstellung „WeltKultur/GlobalCulture“ des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, die den Anspruch verfolgt „in Zeiten der gesellschaftspolitischen Kultur- und Integrationsdebatte mit einem innovativen Gesamtkonzept einen Beitrag zu Entstehung einer neuen Museumskultur [zu] leisten“ (S. 265) und „die abendländische und morgenländische Kultur als das dar[zu]stellen, was sie immer war: ein Produkt der Inter- und Transkulturalität“ (S. 269), um so „mühelos“ Besucher „unabhängig von ihrer kulturellen Herkunft“ zu erreichen (S. 277). Zumindest terminologisch wird hier jedoch ein Verständnis von Interkulturalität reproduziert, welches gerade in den einleitenden Beiträgen des Bandes kritisiert wird: „Nur das Eigene kann die Folie sein, vor der sich das Fremde spiegeln, verstehen, im nachhaltigen Sinne tolerieren und adaptieren lässt.“ (S. 276) Dorothea Kolland sieht ein solch entdifferenzierendes Verständnis von ‚Weltkultur‘ als Gegenpol zu einer auf Ansprache und Beteiligung bestimmter Communities zielenden Kulturpolitik und plädiert für eine Dialektik beider Ansätze. Anhand von Ausstellungen und Projekten betont sie die Notwendigkeit sowohl historischer als auch gegenwartsbezogener Kontextualisierung. Um Re-Ethnisierungen zu vermeiden, müssten Museen nicht die Vergangenheit, sondern Gegenwart und Zukunft als Ausgangspunkt für die Realisierung von „Chancengleichheit und interkultureller Sensibilität“ (S. 301) begreifen. Martin Düspohl reflektiert am Beispiel von Ausstellungen und Projekten des Friedrichshain-Kreuzberg Museums in Berlin verschiedene Ansätze partizipativer Museumsarbeit, die er nach Nina Simon in „contributive, collaborative, co-creative und hosted projects“ unterteilt. Die Beispiele verdeutlichen, dass „gelungene Partizipation“ (S. 317) vor allem von selbstkritischer Weiterentwicklung der eigenen Praxis abhängt. Daniela Bystron und Monika Zessnik setzen sich aus Perspektive staatlicher Museen mit den Implikationen „subjekt-zentrierte[r] Museologie“ (S. 321) und einer damit einhergehenden neuen Rolle der Bildungs- und Vermittlungsarbeit für die Institution Museum auseinander. Sie sehen Chancen für „Beteiligungs- und Transformationsprozesse“, welche jedoch symbolisch und „ohne Wirkmacht“ bleiben, wenn sie nicht „von der gesamten Institution intendiert und […] mit allen Konsequenzen getragen“ (S. 349) werden. Stefan Webers Vorstellung der Neukonzeption des Berliner Museums für Islamische Kunst zeigt, dass kritische Ansätze auch in der staatlichen Museumspraxis durchaus Widerhall finden können.

Die Ergebnisse des Projekts werden abschließend von den Herausgeberinnen reflektiert und systematisiert: Susan Kamel wertet die Erhebungen in internationalen Museen sowie die Experimente aus, Christine Gerlich illustriert anhand von weiteren Beispielen den Zusammenhang zwischen Partizipation und Evaluation. Beide betonen die Wichtigkeit von ‚Inreach-Programmen‘, die im Gegensatz zum Outreach das „Defizit […] nicht bei den Menschen […], die bisher nicht ins Museum gingen“ (S. 418), sondern an den institutionellen Strukturen ansetzen, welche soziale Inklusion verhindern.

Der Band dokumentiert somit Paradoxien und Potenziale alternativer Museumspraxis. Er verdeutlicht, dass gute Intentionen allein nicht ausreichen, sondern institutionelle und strukturelle Veränderungen notwendig sind, um (inter)kulturelle Festschreibungen und soziale Hierarchien nicht zu reproduzieren. Wünschenswert wäre auf der Grundlage weiterer Forschung eine Aufbereitung alternativer Zugänge in Form eines Handbuchs über das Thema Islam hinaus.

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