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Titel
Johann Victor Bredt. Konservative Politik zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Eine politische Biographie


Autor(en)
Grosch, Martin
Erschienen
Anzahl Seiten
403 S.
Preis
€ 43,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Stalmann, Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Berlin

Der deutsche Konservatismus findet in der historischen Forschung seit einiger Zeit größeres Interesse. So wurde die Geschichte der konservativen Parteien und ihrer Repräsentanten, der Deutschkonservativen Partei und der Reichs- und Freikonservativen Partei im Kaiserreich oder der Deutschnationalen Volkspartei in der Weimarer Republik, wiederholt thematisiert. Auch die dem konservativen Spektrum zuzuordnenden kleineren Parteien und Interessengruppen in der Weimarer Republik fanden interessierte Bearbeiter. Dennoch existieren noch zahlreiche zeitliche, regionale und personelle Ungleichgewichte und Leerstellen. So liegen beispielsweise zum Führungspersonal der kleineren konservativen Parteien bislang nur wenige umfassende Biographien vor.

Diesem Forschungsdefizit versucht Martin Grosch mit seiner Biographie über Johann Viktor Bredt (1879–1940), einem führenden Politiker der Wirtschaftspartei (WP) und Justizminister im 1. Kabinett Brüning, abzuhelfen. Eine wichtige Quelle und zentrale Grundlage der Untersuchung bildeten die 1970 von Martin Schumacher edierten Erinnerungen Bredts1. Darüber hinaus wurden der Nachlass Bredts im Wuppertaler Stadtarchiv und weitere Archivbestände für die Arbeit herangezogen.

Bredt verkörperte den Typus des national orientierten bürgerlichen Hochschullehrers, der seine Lehrtätigkeit mit politischem Engagement verband. Acht Jahre lang (1924–1932) gehörte Bredt dem Reichstag an und avancierte zu einem der führenden Vertreter der kleinen Wirtschaftspartei, der er auch kurze Zeit, von August 1931 bis Januar 1932, als Parteivorsitzender vorstehen sollte. Den Höhepunkt seiner politischen Karriere markierte schließlich seine kurze, neunmonatige Amtszeit als Reichsjustizminister im Jahre 1930.

„Bredts parlamentarische Arbeit, seine politischen Leistungen sowie seine umfassende Tätigkeit als Hochschullehrer“, so Grosch, „rechtfertigen es, diesen namhaften, bildungsbürgerlichen und akademisch geprägten Politiker in Form einer biographischen Darstellung entsprechend wissenschaftlich zu würdigen, zumal so fast zwangsläufig alle zentralen innen- wie außenpolitischen Probleme, Kontroversen und Diskussionen, insbesondere der Weimarer Republik, angesprochen werden.“ (S. 12)

Mit seiner Dissertation will Grosch nicht nur die Person Bredts einer angemessenen Würdigung unterziehen, sondern auch einen Beitrag zur Struktur-, Verfassungs- und Parteiengeschichte leisten. So sollen am Beispiel der Biografie Bredts Fragen nach Traditionen, Kontinuitäten und Brüchen vom Kaiserreich zur Weimarer Republik untersucht, gleichzeitig aber auch die Rolle einer kleinen Interessenpartei im vielgliedrigen Parteiensystem Weimars nachgezeichnet werden.

Einer alteingesessenen Barmer Kaufmanns- und Patrizierfamilie entstammend – sein Großonkel war von 1857 bis 1879 Oberbürgermeister der Stadt –, hatte Bredt nach dem frühen Tod seines Vaters die akademische Laufbahn eingeschlagen und sich 1909 habilitiert. 1910 wurde er auf den Lehrstuhl für Staats-, Kirchen- und Völkerrecht an der Universität Marburg berufen. Früh hatte er begonnen, sich politisch zu engagieren, wurde 1910 Stadtverordneter in Marburg (bis 1921) und im folgenden Jahr als Nachrücker für die liberal-konservative Freikonservative Partei ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt. Für einen aus dem Rheinland stammenden Repräsentanten einer großbürgerlichen Patrizierfamilie war die Entscheidung für die Freikonservative Partei konsequent, da die in Ostelbien beheimatete und agrarisch orientierte Deutschkonservative Partei ihn nicht ansprechen konnte und ihm letztlich auch „immer als etwas Vorsintflutliches“2 erschien.

1914 meldete sich der Hochschullehrer freiwillig zum Heer. Wenige Monate später wurde er nach der Schlacht von Tannenberg schwer verwundet, als ihm das Kinn weggeschossen wurde. Er war einer der ersten Konservativen, die 1917 die vom preußischen König Wilhelm II. angekündigte Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts unterstützten. Bredt, so Grosch, habe „in einer derart brisanten politischen Frage pragmatisch, realitätsnah und orientiert an der Sache“ agiert und „sich dadurch von einem engstirnigen, provinziellen Konservativismus deutlich“ abgehoben (S. 156).

Im November 1918 zählte er zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufs der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), in der sich preußische Altkonservative, Freikonservative, Christlich-Soziale, alldeutsche Nationalliberale und völkische Antisemiten sammelten. Aufgrund seiner progressiven Haltung in der preußischen Wahlrechtsfrage wurde er in jener Umbruchszeit als „prominentes Zugpferd instrumentalisiert“ (S. 179), ohne dass ihm größerer Einfluss auf die weitere Entwicklung eingeräumt wurde. Aus Protest gegen die Beteiligung der DNVP am Kapp-Putsch im März 1920 verließ er die Partei und wechselte im August zur Wirtschaftspartei. Wenn Bredt auch anfangs für eine Restauration der Hohenzollern-Monarchie war, begann er sich doch allmählich mit der neuen Staatsform zu arrangieren und versuchte die Republik in nationalkonservativem Sinn zu verändern.

Die Wirtschaftspartei, die auf ihrem Höhepunkt 1928 mit 4,5 Prozent der Wählerstimmen 23 Reichstagsmandate stellte, war, wie Grosch zu Recht betont, eine einseitige „Interessenpartei des Mittelstandes“ (S. 194), dessen Profil er durchaus kenntnisreich nachzuzeichnen vermag (S. 191–196). Nachdem Bredt 1921 mit drei weiteren Kollegen für die Wirtschaftspartei in den preußischen Landtag eingezogen war, wurde er 1924 in den Reichstag gewählt. 1926 wurde er Berichterstatter des 4. Untersuchungsausschusses, der die Ursachen für den deutschen Zusammenbruch von 1918 klären sollte. Der Staatsrechtler war bereits während des Krieges mit verschiedenen Verfassungsentwürfen für Kurland, Litauen und Mecklenburg-Strelitz und 1919 mit einem Gegenentwurf zur Weimarer Reichsverfassung hervorgetreten. Obschon Bredt weder Partei- noch Fraktionsvorsitzender war, avancierte der Hochschullehrer rasch zum geistigen Kopf der Partei. So zeichnete er für das auf dem Görlitzer Parteitag verabschiedete Parteiprogramm von 1926 verantwortlich, das zwar den Wirtschafts- und Sozialegoismus der Interessenpartei widerspiegelte, jedoch auch kultur- und allgemeinpolitische Forderungen zu formulieren versuchte. Bredts Kritik am parlamentarischen System kam in der Forderung nach der „allmähliche[n] Abkehr von den entarteten Formen des Parlamentarismus“ und nach dem „Abbau der Parlamente“ (Art. 1 und 9) (S. 264) zum Ausdruck. Die „Interessenbindung“ der Partei „an den Mittelstand bzw. seinen Verbänden“, so Grosch, „sprach nicht gegen ein politisches Gesamtkonzept“ (S. 267). In ihrer politischen Ausrichtung kann, so Grosch die WP als „eine zwischen Mitte und rechtem Lager lavierende Partei“ (S. 268) bezeichnet werden, wenngleich sie für Bredt in erster Linie als Rechtspartei figurierte.

Als 1930 die Große Koalition unter dem sozialdemokratischen Kanzler Hermann Müller zerbrach und der Vorsitzende der Zentrumsfraktion, Heinrich Brüning, eine vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhängige, bürgerliche Minderheitsregierung bildete, entsandte die Wirtschaftspartei ihren Hochschullehrer als Justizminister in die Regierung. In seiner neunmonatigen Amtszeit vermochte er keine große Wirksamkeit zu entfalten. Als eigentlicher Kopf des Ministeriums galt sein Staatssekretär Curt Joel. Als Minister vertrat Bredt unverhohlen die Interessen seiner Partei, sprach sich für den Abbau der Mieterschutzgesetze und die Beibehaltung der Warenhaussteuer aus. Verantwortlich zeichnete er zudem für ein höchst umstrittenes Amnestiegesetz, das die Amnestierung der Fememördern ermöglichte. Wenn er auch kein Wegbereiter des Nationalsozialismus war, so hegte er doch die illusionäre Hoffnung, wie seine Rolle im Ulmer Reichswehrprozess zeigte, Hitler durch eine Regierungsbeteiligung zähmen zu können. Die Septemberwahl von 1930, bei der die NSDAP einen überwältigenden Wahlerfolg erzielen und die Wirtschaftspartei trotz Stimmenverluste ihren Mandatsanteil behaupten konnte, führte zu einer deutlichen Verunsicherung der Wirtschaftspartei, die schließlich ihren Minister aus der Regierung zurückzog. Am 5. Dezember 1930 erhielt Bredt seine Entlassung. Bredts Demission rettete die von innerparteilichen Auseinandersetzungen zerrissene WP vor dem Auseinanderfall. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 errang die WP nur dank einer Listenverbindung mit der Bayerischen Volkspartei zwei Mandate. Bei den Novemberwahlen desselben Jahres war Bredt der einzige Abgeordnete, den die Partei in den Reichstag entsenden konnte. Nach der Machtergreifung Hitlers und der Selbstauflösung seiner Partei zog er sich aus der Politik zurück und widmete sich kirchenrechtlichen und historischen Studien. Bredt starb am 1. Dezember 1940.

Grosch zeichnet das Porträt eines Mannes, der in seinem Leben „den pragmatischen integeren konservativen Realpolitiker“ verkörpert habe „mit durchaus modernen und – insbesondere auf ökonomischer Ebene – liberalen Facetten sowie einem Sinn für das jeweilig Machbare. Als Herzensmonarchist und Verlegenheitsrepublikaner arrangierte er sich nolens volens mit der Weimarer Republik.“ (S. 377) Wenn auch die Studie einige Längen hat – die biographische Methode bedarf heute keine Rechtfertigung mehr –, vermag Grosch ein durchaus differenziertes Porträt des Politikers und Wissenschaftlers zu zeichnen und interessante Einblicke in die Geschichte der konservativen Parteien zu vermitteln.

Anmerkungen:
1 Martin Schumacher, Erinnerungen und Dokumente von Joh. Victor Bredt 1914–1933, Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Reihe 3, Bd. 1, Düsseldorf 1970.
2 Martin Schumacher, Erinnerungen und Dokumente von Joh. Victor Bredt 1914–1933, Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Reihe 3, Bd. 1, Düsseldorf 1970, S. 2.

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