C. Niemeyer u.a. (Hrsg.): Der deutsche Film im Kalten Krieg

Cover
Titel
Der deutsche Film im Kalten Krieg / Cinéma allemand et guerre froid.


Herausgeber
Niemeyer, Christin; Pfeil, Ulrich
Reihe
Deutschland in den internationalen Beziehungen / L'Allemagne dans les relations internationales 5
Erschienen
Bruxelles 2014: Peter Lang/Brussels
Anzahl Seiten
339 S.
Preis
€ 62,10
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heinz-B. Heller, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg

Schon öfter hat sich der Blick von der anderen Rheinseite auf die deutsche Film- und Medienlandschaft als deutlich unbefangener und produktiver erwiesen als die Sicht von gesellschaftlich und geschichtlich direkter Involvierten – vor allem, wenn es um deutsch-deutsche Verhältnisse geht. Der von Christin Niemeyer und Ulrich Pfeil edierte Sammelband, der auf den Beiträgen zu einem 2012 an der Universität Metz durchgeführten Kolloquium basiert, belegt dies erneut.

In seiner mit reichhaltigen Literaturverweisen unterfütterten Einführung liefert Ulrich Pfeil eine sich konzentrisch verengende Problemskizze: zunächst von den grundsätzlichen Auswirkungen des globalen Kalten Krieges nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf die zwischenstaatlichen Beziehungen, dann auf die binnengesellschaftlichen Strukturen. Dem Film kam dabei eine besondere Bedeutung zu: Als Produkt und Faktor der Konstruktion und Propagierung von sinnlich-anschaulichen Gesellschafts- und Geschichtsbildern, der wechselseitigen politischen Abgrenzung und Delegitimierung des Widerparts sowie der gesellschaftlichen Identitätsstiftung nach innen konstituierten und spiegelten Filmbilder den Rahmen des jeweils öffentlich „Sagbaren und Zeigbaren […], der sich über die Jahre der deutschen Teilung veränderte und bei der Filmanalyse stets zu berücksichtigen ist“ (S. 26). Letztlich – so die tragende These dieses Bandes – sei die „Geschichte des deutschen Films im Kalten Krieg nur zu verstehen […], wenn man sich immer den [sic!] inhärenten Verschränkungen und Abgrenzungen, Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten, Analogien und Kongruenzen im deutschen Systemkonflikt bewusst bleibt“ (S. 35).

In eindrucksvoller Breite veranschaulichen die insgesamt 16, in drei Blöcke gebündelten Beiträge diesen analytischen Ansatz. Wenn auch im jeweiligen Schwerpunkt der Untersuchungsmethoden durchaus unterschiedlich ausgerichtet – hier vor allem Institutionsgeschichte, filmische Inhaltsanalyse, medienästhetische Hermeneutik oder Rezeptionsforschung –, ist zumeist das ausgeprägte Bemühen erkennbar, die eigenen Befunde in übergreifenden Zusammenhängen zu vermitteln. Beispielhaft trägt dies schon der erste Block in seinem Titel: „Zwischen Propaganda, Ideologieproduktion und politischer Ästhetik“. Henrike Zentgraf untersucht in ihrem Beitrag „Verurteilt auf Zelluloid“ die ersten „Filme über die Nürnberger Prozesse im Spannungsfeld des Kalten Krieges“ – genauer in einem Spannungsfeld, das zunächst noch „Konsenszeichen“ (S. 54) zwischen der Sowjetunion und den West-Alliierten erkennen ließ, sich dann aber mit der schon 1946 vom Außenminister James Byrnes angekündigten neuen US-Politik gegenüber dem besiegten Deutschland und der Sowjetunion zusehends verschärfte. Besonders lesenswert sind die Passagen, in denen Zentgraf nachzeichnet, wie ein 1946 vom US-Kriegsministerium in Auftrag gegebenes, gegenüber den deutschen Kriegsverbrechen anklägerisch-aufklärerisch konzipiertes, aber erst 1948 fertiggestelltes Filmprojekt (Stuart Schulberg: „Nuremberg – Its Lesson for Today“) für die Umsetzung des Marshall-Plans und seiner neuen Bündnispolitik zunehmend hinderlich wurde.

Drei Einzelfilmstudien beleuchten exemplarisch unterschiedliche Aspekte in der Entwicklung der 1950er- und frühen 1960er-Jahre: Thomas F. Schneider untersucht den ob seiner pazifistischen Positionierung ebenso bemerkenswerten wie international zunächst erfolgreichen, dann aber im Zuge der Wiederbewaffnung beider Teile Deutschlands sowie der Eingliederung in die antagonistischen Militärblöcke weitestgehend in Vergessenheit geratenen Film „Der letzte Akt“ (1955) von Georg Wilhelm Pabst. Jens Liebich erinnert mit seinem Beitrag „Politik als Kunst der Inszenierung“ an den Fakten und Fiktion „raffiniert“ (S. 77) verwebenden DEFA-Spionagefilm „For eyes only (streng geheim)“ von János Veiczi aus dem Jahr 1963. Kathrin Nachtigall beschäftigt sich in ihrem Beitrag „Inszenierung von Freund und Feind in der Vergangenheit“ mit dem DEFA-Zweiteiler „Ernst Thälmann“ (1954/55), den sie „weniger als historische Geschichtslektion, sondern vielmehr als Zeugnis [seiner] Entstehungszeit gelesen“ wissen will (S. 118).

Václav Šmidrkal nimmt schließlich eine im öffentlichen Bewusstsein bislang fast unbeachtet gebliebene Einrichtung der DDR ins Visier: das Filmstudio der Nationalen Volksarmee mit seiner Produktion von Propaganda- und militärischen Gebrauchsfilmen. Christin Niemeyer widmet sich der Märchenfilmproduktion der DEFA zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren sowie speziell dem Fall des „Dornröschen“-Films von Walter Beck (1971). So unterschiedlich die Objekte der Untersuchung in diesen beiden Aufsätzen sind, so unverkennbar bleibt deren gemeinsames Problem, zu einer Begrifflichkeit zu finden, die die politische und die ästhetische Dimension filmischer Praxis nicht als Nebeneinander oder Antagonismus darstellt, sondern sie als einander wechselseitig bedingend zu fassen vermag.

Der zweite Teil dieses Bandes versammelt unter dem Titel „Teilung und Mauer im Film: ein deutsches Spezifikum im Kalten Krieg“ vier Beiträge, die eben diese Vermittlung von Politik und Ästhetik, von Bildpolitiken und politischer Funktionalisierung von Bildern in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellen. Christoph Classen umreißt anhand zentraler Motive und Muster westdeutscher Filme und TV-Produktionen deren polit-konjunkturellen Gestaltwandel – von entschiedenen Abgrenzungsdiskursen bis hin zu selbstgewissen Filmen, die auf „die Anziehungskraft liberaler Konsumgesellschaften setzten“ und den zuvor mit Ängsten verbundenen Kalten Krieg angesichts von zunehmenden „Konsum- und Unterhaltungswünschen“ hätten medial „kommensurabel“ werden lassen (S. 184).

Der mit dem politisch provokativen Titel „Die Mauer als filmischer Glücksfall“ flirtende Beitrag von Matthias Steinle setzt diesem Band ein methodisches wie medienanalytisches Glanzlicht auf. Anschaulich und prägnant zugleich verbindet der Autor das Dispositiv des Kalten Krieges (Blockkonfrontation, deutsche Teilung, Grenze, Mauer) mit der spezifischen Ikonographie von Filmen aus dem Westen und ihrer Inszenierung von Blickregimen. „Die filmischen Möglichkeiten gestatteten es, besonders effektiv, visuell selbstevident die Grenze und die für diese verantwortliche DDR anzuklagen und darüber hinaus die erzwungene Teilung zumindest visuell zu überwinden.“ Dabei erwies sich die „Beschränkung auf die Grenze“ als „ein dankbarer Zugriff: Durch die Strategie des ‚phänomenologischen Beobachtens‘ konnten im verengten Blick auf die Sperranlagen weiterführende, das Selbstbild unter Umständen trübende Fragen ausgeblendet werden“ (S. 193). Auch Diane Barbe widmet sich der verfilmten Mauer in Berlin – allerdings aus östlicher und westlicher Perspektive zugleich. Sie zeichnet nach, wie solche Filme zunächst diskursiv und bildpolitisch rigiden antagonistischen Logiken folgten, dann aber, in den 1970er-Jahren, „als die Mauer zu einer topographischen Realität geworden war“, wie „vor allem in den ‚Mauerspringerfilmen‘ zu sehen“, zu einem „differenzierteren Umgang“ führten (S. 212).

Karsten Forbrig schließlich liest das in den späten 1980er-Jahren von Peter Kahane und Thomas Knauf in Angriff genommene DEFA-Projekt „Die Architekten“ (1990) als den tragischen, weil von der Realgeschichte ein- und überholten Versuch einer filmischen Regimekritik, der sich in Sujet und Fabelführung unverkennbar an keinem Geringeren als Akira Kurosawas Film „Die sieben Samurai“ (1954) anlehnte.

Im dritten Teil des Bandes – „Filmbeziehungen über den Eisernen Vorhang hinweg“ – geht es vor allem um institutionelle Zusammenhänge west-/östlicher Konkurrenz und Konfrontation, aber auch um grenzüberschreitende Begegnungen und Interaktionen. Dabei spielten neu gegründete Filmfestivals, in Deutschland vor allem in Oberhausen und Leipzig, eine besondere Rolle. Dario Marchiori setzt sich mit dem populären filmhistorischen Narrativ auseinander, das das Oberhausener Manifest (1962) teleologisch überdeterminiert und überinterpretiert als „Gründungsakt des Neuen deutschen Films“ ausgebe. Marchiori dekonstruiert dieses Narrativ insofern, als er die maßgebliche Referenz, auf die sich die Oberhausener bei ihrem Aufstand gegen die Väter selbstbewusst beriefen, nämlich die eigenen Erfahrungen in der Kurz- und Experimentalfilmpraxis, unter (montage)ästhetischen und Sujetaspekten einer näheren Analyse unterzieht, zumal im Kontext der bipolaren Block-Konfiguration des Kalten Krieges.

Oberhausen mit seinem 1954 zunächst als Kulturfilmfestival gegründeten, dann zum Kurzfilmfestival umbenannten Event war aber nicht der alleinige Ort eines neuen filmischen Aufbruchs und der Begegnung im geteilten Deutschland: 1955 wurde die Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche gegründet. Andreas Kötzing untersucht vor allem Zusammenhänge und Austauschverhältnisse zwischen westdeutschen und ostdeutschen Filmemachern, die sich Mitte der 1950er-Jahre sozusagen im „Grenzraum“ dieser Festivals ergaben – und binnen Kurzem aufgrund politischen Drucks der Regierungen in West wie Ost unterbunden wurden.

Caroline Moine betont eine auch durch dramatische realpolitische Veränderungen (insbesondere die Revolution in Kuba und den Krieg in Vietnam) neu eröffnete Perspektive auf die Programm- und Kommunikationspolitik der beiden deutschen Festivals im Namen „internationaler Solidarität“: die Überlagerung der Ost-West-Block-Politik durch Prärogative der im Zuge der Dekolonialisierung entstehenden oder verstärkten Nord-Süd-Konflikte. Der Beitrag von Perrine Val fokussiert ebenfalls – wenn auch in einer beschränkteren Perspektive – eine sich neu ausbildende Wahrnehmungskonfiguration in diesem realpolitischen Kontext: Sie untersucht die Entstehung und Arbeitsweise des Studios H&S der DDR-Filmer Walter Heynowski und Gerhard Scheumann mit ihren selbstverstandenen „kapitalistisch-antiimperialistischen“ Filmproduktionen im Prozess der revolutionären Befreiungskriege der „Dritten Welt“. Darüber hinaus thematisiert sie die Rezeption dieser ostdeutschen Filme seitens der westeuropäischen, vor allem französischen Linken. Maria Fritsche schließlich fragt anhand zweier Fallstudien zum Kostümfilmgenre, wie sich das österreichische Nachkriegskino zwischen „anti-deutschen“ und „anti-sowjetischen“ Abgrenzungsbemühungen seinen Weg suchte – vor und nach der 1955 staatsvertraglich fixierten „Neutralitätsverpflichtung“.

Insgesamt weist die vorliegende Publikation manche der für Konferenz-Sammelbände charakteristischen Eigenschaften auf. Als gewinnbringend sind vor allem die Vielfalt an thematischen Aspekten und der Reichtum an Facetten zu würdigen, die hier zur Sprache kommen. Insofern erfolgt damit ein wichtiger, ausgesprochen differenzierter Beitrag zum kultur- und mediengeschichtlichen Diskurs über die Funktion und Instrumentalisierung des deutschsprachigen Films im Kalten Krieg. Was derartige Sammelbände in der Regel nicht oder nur bedingt repräsentieren – den kommunikativen Austausch der Kolloquiumsteilnehmer gerade auch über individuelle methodische oder methodologische Differenzen hinweg –, das versucht Corine Defrance in dem fulminanten Schlusswort „Le cinéma allemand: miroir et acteur de la guerre froide. Éléments de conclusion“ für die Leserinnen und Leser zu kondensieren. Insgesamt also ein sehr empfehlenswerter, panoramatisch angelegter Reader!