Cover
Titel
Dachau and the SS. A Schooling in Violence


Autor(en)
Dillon, Christopher
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 282 S.
Preis
€ 64,58
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Veronika Springmann, Berlin

In den letzten Jahren sind vermehrt Studien entstanden, die sich nicht nur mit der Organisationsstruktur der Konzentrationslager-SS auseinandergesetzt, sondern auch nach Dienstalltag, Praktiken und konkretem Handeln der Wachleute gefragt haben. Christopher Dillon hat sich intensiv mit der SS in Dachau in der Vorkriegszeit auseinandergesetzt und bringt damit zwei Forschungsstränge zusammen: die Forschung zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern in der Vorkriegszeit und die Tätergeschichtsschreibung. Obwohl das Konzentrationslager Dachau zum Vorbild für das System der Konzentrationslager geworden ist, wurde gerade die Frühphase dieses Lagers bisher kaum in den Blick genommen. Doch nicht nur dazu kann Christopher Dillon etwas beitragen, sondern mit seinem Buch ist endlich auch eine Studie entstanden, die die Handlungen von SS-Männern in ihren unterschiedlichen Rängen und Funktionen, vom Kommandanten bis zum Blockführer, untersucht.1

Die Entscheidung, sich mit seiner Untersuchung auf die SS in Dachau in der Vorkriegszeit zu konzentrieren, ist deswegen sinnvoll, weil hier die künftigen Anforderungen für jene Männer formuliert wurden, deren Arbeitsbereich in den vielfältigen Aufgabenbereichen der entstehenden Konzentrationslagern liegen würde. Das Buch ist in sechs Kapitel eingeteilt. Das erste Kapitel erläutert die Entstehung der frühen Dachauer SS und geht dabei den personellen Traditionslinien nach; gleichzeitig zeigt Dillon, welche Bedeutung das Narrativ des revolutionären Kampfes für das Selbstverständnis der frühen SS in Dachau hatte, das auch als Legitimation für das gewalttätige Handeln den Häftlingen gegenüber diente (S. 41).

Das zweite Kapitel beschreibt, wie die Wachtruppen aufgebaut und welchen Regeln sie unterworfen waren. Entscheidend dafür war das Wirken von Theodor Eicke, der von Heinrich Himmler zum Kommandanten des Konzentrationslagers Dachau ernannt wurde. Seinem Einfluss auf das Selbstverständnis der SS räumt Dillon zu Recht großen Raum ein. Er betont, wie wirkungsmächtig der Topos der Freiwilligkeit in Bezug auf die für die SS so wichtigen Konzepte wie Stolz, Ehre und Gemeinschaft war (S. 54). Wie der Kommandanturapparat aufgebaut war, ist Thema des dritten Kapitels. In Kapitel vier beleuchtet Dillon dann das Verhältnis von SS und Häftlingen. Darüber wissen wir viel, sei es aus Erinnerungsberichten ehemaliger Häftlinge oder auch aus Studien, die in den letzten Jahren im Anschluss an die Historische Gewaltforschung entstanden sind. Gerade für die frühe Zeit der Konzentrationslager stellt sich die Frage, wie Häftlinge zu Häftlingen gemacht wurden. Gerade hier zeigt sich, auch als Konsequenz für den Umgang mit den Häftlingen in anderen Lagern, die Wirkmächtigkeit der von Eicke eingeführten Lagerordnung.

Kapitel 5 ist sicherlich das innovativste und interessanteste Kapitel der Studie. Ausgehend von Theodor Eickes Diktum „Toleranz bedeutet Schwäche“ macht Dillon die Kategorie Männlichkeit produktiv. Zwar hat die Kategorie Geschlecht schon lange Einzug gehalten in die Erforschung der Konzentrationslager, doch wird sie vor allem auf Frauen bezogen. Welche Bedeutung Vorstellungen und Repräsentationen von Männlichkeit für das Handeln der SS hatten, ist nach wie vor eine Frage, die viel zu selten gestellt wurde, auch wenn gerade der Zusammenhang von Staatsbürgerschaft, Militär und Männlichkeit seit Jahren ein produktives Forschungsfeld ist. Dillon stellt nicht nur fest, wie wichtig der Topos der Kameradschaft war2, sondern zeigt an Beispielen, welche Bedeutung diese in nuce für das Selbstverständnis der SS hatte. Gerade das Auftreten von Theodor Eicke, der oft paternalistisch als „Papa Eicke“ bezeichnet wurde, ist nicht zu unterschätzen, da es ihm gelang, die Idee der „Volksgemeinschaft“ auf die Dachauer-SS zu übertragen: „It was to be a familial, brotherly phenomen under his personal tutelage.“ (S. 186) Dass dieses Gemeinschaftsgefühl immer auch die Figur des „Anderen“ benötigte, zeigt Dillon sehr deutlich. Der Dienst in der SS müsse, so Eicke, gnadenlos sein, doch habe es außerhalb des Dienstes eine „warme Kameradschaft“ zu geben. Dazu passt dann auch die zentrale Forderung an den einzelnen SS-Mann: „Härte gegen sich selbst“ und das „Ausmerzen“ jeglicher Empathie im Umgang mit den Häftlingen (S. 205).

Sprachlich ist die Studie sehr gut gearbeitet, Christopher Dillon ist ein fantastischer Erzähler. An anderer Stelle merkte ein Rezensent an, der Studie würden eine übergeordnete Analyse und der Vergleich mit anderen Konzentrationslagern fehlen.3 Dieser Kritik kann man sich sicherlich anschließen. Aus meiner Sicht jedoch liegt die Stärke von Dillons Studie darin, dass sie neue Fragen aufwirft und deutlich macht, wie viel wir einerseits über die Geschichte der Konzentrationslager wissen, andererseits aber immer wieder neue Fragen gestellt werden können und müssen. „Dachau was the product of human interaction and its guards amenable to analysis as social phenomena“ (S. 2), so umschreibt Dillon sein Forschungsprogramm in der Einleitung. Dieses Verständnis für die Analyse der frühen Dachauer-SS fruchtbar zu machen, ist ihm mit dieser Studie gelungen.

Anmerkungen:
1 Entstanden ist seine Studie innerhalb der Arbeitsgruppe um Nikolaus Wachsmann am Birkbeck College in London. Andere Untersuchungen in diesem Forschungsverbund sind: Julia Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938 (im Erscheinen); Paul Moore, German Popular Opinion on the Nazi Concentration Camps, 1933–1939, Ph.D. University of London 2010, Kim Wünschmann, Before Auschwitz. Jewish Prisoners in the Prewar Concentration Camps, Cambridge/ Mass. 2015.
2 Thomas Kühne, Kameradschaft: Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006.
3 Marc Buggeln, Rez. zu Christopher Dillon. Dachau and the SS: A Schooling in Violence, in: The American Historical Review 121 (2016), S. 671–672.

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