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Titel
Freunde Roms und Völker der Finsternis. Die päpstliche Konstruktion von Anderen im 8. und 9. Jahrhundert


Autor(en)
Gantner, Clemens
Erschienen
Anzahl Seiten
322 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Alraum, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Fragen zu Bildung und Konstruktion von Identitäten werden in der mediävistischen Forschung seit einiger Zeit verstärkt gestellt.1 Daneben wurden auch Aspekte der Wahrnehmung von Fremdheit im Mittelalter in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht, auch unter dem Gesichtspunkt der Quellenterminologie.2 Clemens Gantner greift nun diese Themenfelder in seiner Studie, mit der er 2011 an der Universität Wien promoviert wurde, auf und blickt dabei durch die Brille des frühmittelalterlichen Papsttums, indem er Wahrnehmung und Konstruktion von „Anderen“ in der päpstlichen Kommunikation mit und über Andere im 8. und 9. Jahrhundert untersucht.

Dabei konzentriert sich die Studie auf drei größere Gruppen von „Anderen“, die im behandelten Zeitraum in längerem beziehungsweise engem Kontakt mit den Päpsten standen: die Greci, womit Gantner nicht nur das byzantinische Reich und den kaiserlichen Hof, sondern auch griechische Einwohner und griechisch geprägte kulturelle Elemente Roms meint, ferner Langobarden sowie Franken im 8. Jahrhundert und zuletzt der Konflikt mit Sarazenen im 8. und vor allem 9. Jahrhundert. Bewusst klammert Clemens Gantner Gruppen und Individuen aus, die im Kontext der christlichen Mission oder durch Pilgererfahrungen als Andere und Fremde wahrgenommen wurden, ebenso Juden, die „in allen Fällen nur als generische Andere [meist negativ] erwähnt“ würden (S. 149).

Im ersten Kapitel wird das verwendete Quellenkorpus vorgestellt: der Liber Pontificalis, der Codex epistolaris Carolinus sowie die Collectio Britannica und das Register des Papstes Johannes‘ VIII. Die Darstellung der Textentwicklung des Liber Pontificalis erhält dabei besonders viel Raum, was wohl mit Gantners Vorarbeiten zu diesem Thema in Form seiner Magisterarbeit zu erklären ist. Daneben kommen aktuellere Erkenntnisse der Forschung zu den anderen Hauptquellen manchmal zu kurz. So fehlt beispielsweise bei den Ausführungen zum Register Johannes‘ VIII. eine Erwähnung des Anfang 2013 erschienen Regesta-Imperii-Bandes zu Johannes VIII.3, bei jener Passage zur Collectio Britannica sucht man vergeblich nach einer Rezeption der Studien Christof Rolkers.4

Theoretische und methodische Überlegungen zum Problem- und Begriffsbereich der Alterität und Extimität werden im zweiten Kapitel unternommen. Gantner greift hier kultur- und geschichtswissenschaftliche Theorien auf und passt sie an die thematischen Bedürfnisse seiner Studie an. Darauf fußend unterscheidet er schließlich die Bereiche „Wahrnehmung“ und „Konstruktion“ als zentrale Ebenen seiner Arbeit. In diesem Zusammenhang charakterisiert Gantner das Papsttum treffend als heterogene „päpstliche in-group“ (S. 51) und stellt heraus, dass deren Wahrnehmung vom Anderen vom zeitgenössischen Alteritätsdiskurs geprägt gewesen sei. Mit „Andere“ meint Gantner jene Personen und Personengruppen, die nicht der päpstlichen in-group angehörten. Besser quellenbasiert fassbar als die Wahrnehmung sei die – nicht immer zwingend planvoll gestaltete – „Konstruktion des Anderen“ (S. 52), die von Gantner mithilfe des Othering-Modells und analog dazu der entgegengesetzten Sameing-Strategie beschrieben wird.

In den historischen Kontext führt ein drittes Kapitel ein. Hier stellt Gantner einerseits die Bedingungen der päpstlichen Herrschaft in Rom und im Patrimonium Petri dar und charakterisiert anderseits Rom als Kontaktraum von Lateinern und Griechen, in dem den Greci eine wesentliche kulturelle und soziale Bedeutung zukommt und auch die wechselvolle Beziehung zwischen dem Kaiser und den Päpsten determinierend wirkt. Hier knüpft nun Kapitel 4 an, das den herrschaftlichen Beziehungen zwischen dem Kaiser und seinen Beamten zum Papsttum im 8. Jahrhundert gewidmet ist und dabei drei Etappen (bis 750, 750–772 sowie bis 795) erschließt. Hierbei erweist sich die Verwendung des Terminus „Greci“ auch als Indikator für diese Beziehungsgeflechte: die Greci sind im Rom des 8. Jahrhunderts „vertraute Andere“ (S. 273), die seit Stephan II. durch entschiedene rhetorische Abgrenzung als andersartig gekennzeichnet werden müssen.

Im fünften Kapitel widmet Clemens Gantner sich im Zeithorizont des 8. Jahrhunderts der chronologisch gegliederten Untersuchung der päpstlichen Wahrnehmung der langobardischen und fränkischen Gruppen und geht dort intensiv auf verschiedene Quellen ein. Er sieht hier die „Langobardenbeziehungen“ (S. 217) eng mit dem päpstlich-fränkischen Bund verwoben, weshalb er sowohl jenen Dreiklang der Beziehungen, als auch gesondert in einem kürzeren Abschnitt die „Frankenbeziehungen“ (S. 14) behandelt. Die Langobarden seien laut Gantner trotz Momenten der Vertrautheit und vereinzelter Kooperationen vom päpstlichen Personal weitestgehend in politisch recht flexibler und differenzierter Spielart sowohl positiv als auch negativ wertend als „Andere“ wahrgenommen und dadurch deutlich abgegrenzt dargestellt worden. Der Pontifikat Stephans II. markiere bedingt durch den Bund mit den Franken einen Wendepunkt hin zur deutlich abwertenden Rhetorik gegenüber den Langobarden. Für die Beziehungen zu den Franken stellt Gantner fest, dass durch vereinzelte Sameing-Akte zwar Identität suggeriert worden sei, aber in anderen Fällen ein „subtiles Othering“ (S. 275) stattgefunden habe, um möglicherweise weiterhin Unterscheidbarkeit zur eigenen Position zu wahren.

Die Sarazenen stehen als Gruppe der „Anderen“ für das 8. und vor allem 9. Jahrhundert im Zentrum des sechsten Kapitels. Gerade das Bild der Sarazenen scheint einer ganz bestimmten Art der päpstlichen Konstruktion beziehungsweise des Othering unterlegen zu haben: Unterschiede zwischen einzelnen Gruppen seien nivelliert und die Sarazenen als Einheit dargestellt worden. Gerade unter dem Eindruck einer Bedrohung charakterisieren die römischen Quellen die Sarazenen zudem fast ausschließlich als Feinde von Papsttum und Christenheit und versuchen, in einem Sameing-Akt eine Einheit aller Christen zu konstruieren; in diesem Zusammenhang wird auch die päpstlich-theologische Position zu Kriegen gegen Andersgläubige verändert und neu formuliert – laut Gantner „Rüstzeug für einen religiös begründeten Krieg“ (S. 271), auf welches im 11. Jahrhundert zurückgegriffen werden sollte.

In dem als „Conclusio“ überschriebenen Kapitel fasst Gantner seine Ergebnisse zusammen und hält fest, dass eine Unterscheidung zwischen Wahrnehmung von Alterität und Konstruktion von anderen Identitäten häufig nur schwerlich zu leisten ist. Unterscheidbar sind verschiedene Niveaus der Alterität in unter anderem ein „fernes“ und „nahes“ Anderes (S. 278), dem der Papst und sein engstes Umfeld gegenüber stehen. Dieses komplexe und als dynamisch zu begreifendes Beziehungsgeflecht illustriert Gantner anschaulich in einem Diagramm.

Neben verschiedenen gängigen Verzeichnissen und einigen Tabellen enthält Gantners Monographie einen Appendix zu den Text- und Handschriftenklassen des Liber Pontificalis für das 8. Jahrhundert. Zwei sehr hilfreiche Register erschließen zum einen Personen, Orte und Sachen, zum anderen die zitierten mittelalterlichen Handschriften.

Insgesamt legt Clemens Gantner eine fundierte Studie vor, die sich stark an den Quellen und der dort verwendeten Begrifflichkeit orientiert. Der Kernbereich der Arbeit ist in die neuere Forschungslandschaft eingebettet. An einigen wenigen Stellen wird wie angesprochen jedoch die neuere Forschung zu Randgebieten der Studie nicht zur Kenntnis genommen. Die Arbeit ist in erfrischendem Stil gut lesbar verfasst und erweist sich gerade als Basis für an die Thematik anschließende Nachfolgestudien als nutzerfreundlich: So übersetzt Gantner längere Quellenzitate ins Deutsche, wobei er zum Teil direkt aus der Originalsprache überträgt, in anderen Fällen auf die englischen Übersetzungen einschlägiger Liber-Pontificalis-Teile von Raymond Davis zurückgreift.5 Wünschenswert wären hier und da konkretere Belegstellen zu Begriffen oder zur erwähnten Literatur (so auf S. 40, wo genauere Angaben zum Faksimile der Wiener Handschrift des Codex Carolinus fehlen). Positiv ergänzt hätte die Studie eine konkrete, gegebenenfalls überblicksartige Einordnung der Kernthematik in die (mediävistische) Forschungslandschaft.

Die angesprochenen Kritikpunkte sollen den Verdienst Gantners jedoch nicht schmälern. Er zeichnet in seiner quellennahen und zitatreichen Untersuchung ein differenziertes und facettenreiches Bild von Wahrnehmung und vor allem Konstruktion von Anderen durch das Papsttum im 8. und 9. Jahrhundert. Die Studie von Clemens Gantner wird deshalb für künftige Forschungen zum frühmittelalterlichen Papsttum und dessen vielfältigen Beziehungen einerseits und zu Konzepten der Alterität im Mittelalter andererseits von großem Wert sein.

Anmerkungen:
1 So in verschiedenen Arbeiten Walter Pohls beziehungsweise unter seiner Herausgeberschaft publizierten Beiträgen, unter anderem in: Walter Pohl / Bernhard Zeller (Hrsg.), Sprache und Identität im frühen Mittelalter, Wien 2012.
2 Zum Beispiel: Hans-Werner Goetz, „Fremdheit“ im frühen Mittelalter, in: Peter Aufgebauer / Christine van der Heuvel (Hrsg.), Herrschaftspraxis und soziale Ordnung im Mittelalter und der frühen Neuzeit, Hannover 2006, S. 245–265; ders., Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.–12. Jahrhundert), Berlin 2013.
3 Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751–918(987). Bd. 4: Papstregesten, 800–911, Tl. 3: 872–882, bearb. von Veronika Unger nach Vorarbeiten von Dorothee Arnold, Klaus Herbers und Sofia Meyer, Köln 2013.
4 Christof Rolker, Canon Law and the letters of Ivo of Chartres, Cambridge 2010.
5 The lives of the eighth-century popes (Liber pontificalis). The ancient biographies of nine popes from AD 715 to AD 817, translated by Raymond Davis, Liverpool 1992; ders., The Lives of the Ninth-Century Popes (Liber Pontificalis). The ancient biographies of ten popes from A.D. 817–891, translated by Raymond Davis, Liverpool 1995; ders., The lives of the eighth-century popes (Liber pontificalis). The ancient biographies of the first ninety roman bishops to AD 715, translated by Raymond Davis, Liverpool 2010.

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