L. Loosen: Deutsche Frauen in den Südsee-Kolonien

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Titel
Deutsche Frauen in den Südsee-Kolonien des Kaiserreichs. Alltag und Beziehungen zur indigenen Bevölkerung, 1884–1919


Autor(en)
Loosen, Livia
Anzahl Seiten
675 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bettina Brockmeyer, Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie, Universität Bielefeld

Schöne, nackte, tanzende Frauen zeigt die Südseefolge der ZDF Dokumentationsreihe „Das Weltreich der Deutschen“. Mit zeitgenössischen Aufnahmen und nachgestellten Bildern wird hier das Jahrhunderte alte Klischee der Südseeinseln als Paradies des heterosexuellen Mannes untermalt. Formate wie diese Fernsehproduktion, aber auch Romane wie „Imperium“ von Christian Kracht zeigen, dass die deutsche Kolonialzeit in der populären Geschichtsvermittlung angekommen ist. Auch in der wissenschaftlich betriebenen, deutschsprachigen Geschichtsschreibung ist seit wenigen Jahrzehnten eine Trendwende hin zu vermehrten kolonialgeschichtlichen Fragestellungen zu verzeichnen. Besonders die Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent haben inzwischen einige Aufmerksamkeit erfahren. Dabei ist auch die geschlechtergeschichtliche Perspektive nicht unberücksichtigt geblieben, zumal die Verknüpfung der Kategorien race, class und gender zur Auslotung neuer Handlungsräume für Frauen auf dem Feld des europäischen Imperialismus geführt hat.1

Die Dissertation von Livia Loosen behandelt nun mit ihrem Fokus auf deutsche Frauen in der Südsee ein bis dato noch nicht eingehender untersuchtes Forschungsfeld. Die „German Women for Empire“2 waren bislang vor allem Frauen, die nach Deutsch Südwestafrika oder Deutsch Ostafrika gingen. Auf über 600 Seiten wird den Fragen nachgegangen, welche Frauen aus dem Kaiserreich warum in die deutschen Kolonien der Südsee migrierten und was sie dort erlebten und von dort berichteten. Dass sich die Autorin nahezu ausschließlich mit der europäischen Perspektive befasst, rechtfertigt sie mit der für die Kolonialgeschichte so typischen einseitigen Quellenlage. Sie versucht, der fehlenden Sichtweise der Kolonialisierten mit einer aufmerksamen und besonders vorsichtigen und abwägenden Interpretation der Berichte kolonialisierender und missionierender Frauen zu begegnen.

Die Arbeit ist in sechs große Kapitel gegliedert. Inhaltlich spannt Livia Loosen dabei einen chronologischen Bogen, der drei Blöcke umfasst: Ankunft, Alltag, Abschied. Die Autorin hat Einblick in zahlreiche Privatarchive erhalten und kann deshalb mit bislang nie ausgewertetem Material aufwarten. Private Briefe und Tagebuchblätter von Missionarinnen, Missionarsgattinnen, Reisenden oder Beamtinnen finden Eingang in die Studie. Loosen betont, dass sie mit den Akten der Beamtinnen auch einen gänzlich unbearbeiteten Quellenbestand hinzugezogen habe (S. 592). Das reiche Material bietet einen mitunter sehr intimen, sehr eindrücklichen und vielfältigen Blick auf den möglichen Alltag einer in die Südseekolonien ausgewanderten deutschen Frau. Was es nicht bietet, und das hebt Loosen auch immer wieder hervor, ist einen Einblick in das Leben von Angehörigen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Südseeinseln unter der Kolonialherrschaft. Gleichwohl versucht Loosen mitunter, aus den europäischen Quellen Rückschlüsse auf die Perspektive der Inselbewohnerinnen (es interessieren sie auch hier vornehmlich die Frauen) zu ziehen. Dieses „Bemühen um die indigene Perspektive“ (S. 43) kennzeichnet sie als Anregung der postcolonial studies, ebenso wie ihr Interesse an Fragen des Transfers. Abgesehen davon betont sie ein eher eklektisches Vorgehen im Hinblick auf Theorieangebote und ordnet ihre Arbeit prinzipiell der Frauen- und Geschlechtergeschichte zu. Eine geographische, anthropologische und historische Einordnung der Südseekolonien schließt das einleitende Kapitel ab. Die Vielfalt und die Unübersichtlichkeit des deutschen Kolonialgebietes, das Teile Neuguineas, Samoa sowie zahlreiche kleinere Inselgruppen umschloss, wird hier augenfällig.

Deshalb waren die Südseekolonien auch nie zur Besiedelung gedacht und damit auch nicht für eine Massenemigration vorgesehen. Der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft warb demensprechend auch nicht für die Südsee, sondern wollte die ausreisewilligen Frauen Richtung Afrika lotsen. Die Zahl der in die Südseegebiete auswandernden Frauen blieb somit gering. Missionsschwestern, Ehefrauen, Lehrerinnen und manch Reisende zog es in diese Weltregion, die eine wochenlange Schiffsreise von der Heimat entfernt war. In einem sozialgeschichtlich ausgerichteten Unterkapitel widmet sich Loosen dem sozialen Hintergrund dieser Frauen und ihren Ausreisemotiven. Am Ende ihres Buches befindet sich auch eine Namensliste aller Frauen, die sie ausfindig machen konnte. Die Dissertation bietet demnach eine sehr gute Dokumentation der Daten, die über deutsche Frauen in der Südsee erhalten sind. Zusammengefasst waren es vor allem Frauen „aus einfachen bis bürgerlichen Verhältnissen“ (S. 172), die die Ausreise aus dem Reich antraten. Das entspricht Ergebnissen der bisherigen Forschung für die Südseekolonien, die zeigen konnte, dass die Region offensichtlich für hochrangige Militärs und Adel nicht attraktiv war. In ihren Untersuchungen zur Ausreise befasst sich Loosen auch eingehend mit der Diskussion um die Emanzipation in der Kolonie. Vertreterinnen der ersten Frauenbewegung und heutige Forscherinnen betonen gleichermaßen den emanzipatorischen Charakter des Koloniallebens. Loosen will das in ihren Quellen überprüfen.

Die beiden folgenden Hauptkapitel sind dem Leben in den Kolonien gewidmet. Auf S. 185 befindet sich die Leserin zum ersten Mal vor Ort, die dort vermerkte „lange Reise in die Südsee“ kann man also durchaus im doppelten Sinne verstehen. Loosen differenziert die Frauen nach den aussendenden Institutionen und den verschiedenen Motiven, die in die Kolonie geführt haben. Sie kommt durch diese Differenzierungen zu interessanten Befunden. So reichten die jeweiligen Ziele der Tätigkeit von der Erlangung deutscher Hygienezustände bis zum reinen Seelenheil. Sowohl für diejenigen, die aus religiösen und missionarischen Gründen in die Südsee kamen, als auch für Ehefrauen, Krankenschwestern, Beamtinnen sowie Reisende resümiert Loosen, dass diese Frauen in einem oftmals aufreibenden Alltag doch nie die sogenannte colour bar vergaßen, sie also in einem hierarchischen, rassistischen Denken verhaftet blieben, ob sie nun zum Christentum erziehen wollten oder den Haushalt des Bezirkamtmannes führten. Gleichzeitig betont die Autorin, dass die Quellen verdeutlichen, wie wandel- und verhandelbar die Kategorie „Rasse“ war, was man z.B. an der „Mischehen-Debatte“ (S. 412) habe sehen können. Ein weiterer wichtiger Befund der Arbeit ist, dass die in der Metropole entwickelten Emanzipationsgedanken keineswegs auf ungeteilte Gegenliebe bei den Frauen in den Kolonien stießen. Die meisten Frauen waren, Loosen zufolge, gar nicht aufgebrochen, um Emanzipation zu erfahren und entsprechend wenig taten sie auch für deren Umsetzung.

Die Transferfrage beantwortet Loosen recht nüchtern: Zwar hätten die deutschen Frauen in den Kolonien manches Kochrezept übernommen, ansonsten sei die Übernahme neuer Praktiken doch eher in eine Transferrichtung gegangen, zu sehen beispielsweise an den sich hegemonial verbreitenden europäischen Kleidungsgewohnheiten. Insgesamt scheint die Südseekolonie jedoch manche Freiheit geboten und die europäische Gesellschafts- und Genderordnung gelockert zu haben. Im Kapitel zum Abschied betont die Autorin denn auch, dass die meisten Frauen mit Kummer weggegangen seien. Das habe freilich auch am Krieg und dem geringen Wissen um die Zustände im Deutschen Reich gelegen. Insgesamt kommt die Studie zu zahlreichen wichtigen Ergebnissen für die Kolonialgeschichte. Kritisch anzumerken ist, dass das „Bemühen um die indigene Perspektive“ an vielen Stellen an Grenzen stößt. Die meisten benennt Loosen selbst. Jedoch liegt wohl schon in der Formulierung das Hauptproblem verborgen, denn DIE Perspektive zu suchen, erscheint als unmögliches Unternehmen. Mitunter tauchen „die Indigenen“ denn auch als eine homogene Masse auf (S. 489). Das ist freilich eine Gefahr, der man auch nicht mit der Unterscheidung Kolonialisierte und Kolonialisierende entgehen kann, auch wenn die Begriffe wegen ihrer Sperrigkeit vielleicht zumindest irritierend wirken. Kritisch anzumerken ist außerdem, dass Loosen viele Bilder einfügt, diese aber nicht in gleichem Maße quellenkritisch einführt, wie das mit den Schriftquellen erfolgt. Mitunter stehen zeitgenössische Abbildungen illustrativ im Text. Hier hätte der Arbeit eine theoretisch methodische Schärfung gut getan, auch im Text hätte mehr theoretische Anbindung, z.B. an entangled histories, zu mehr Pointierung statt Deskription führen können. So taucht man am Ende doch, allein ob der Fülle an Beispielen, Zitaten, Situationsbeschreibungen, in eine genuin ‚weiße’ Welt ab und landet da, wo einen die Autorin mit ihren quellenkritischen und vorsichtigen Deutungen bestimmt nicht haben möchte. Die aufschlussreiche und vielschichtige Arbeit verweist damit aber nur einmal mehr auf ein grundsätzliches Problem des Schreibens über die Kolonialzeit: Wie schreiben, ohne ungewollt Asymmetrien zu reproduzieren?

Anmerkungen
1 Vgl. z.B. Birthe Kundrus, Weiblicher Kulturimperialismus. Die imperialistischen Frauenverbände des Kaiserreichs, in: Sebastian Conrad / Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2006, S. 213–235.
2 Lora Wildenthal, German Women for Empire, 1884–1945, Durham 2001.

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