E. Bauer: Gerusien in den Poleis Kleinasiens

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Titel
Gerusien in den Poleis Kleinasiens in hellenistischer Zeit und der römischen Kaiserzeit. Die Beispiele Ephesos, Pamphylien und Pisidien, Aphrodisias und Iasos


Autor(en)
Bauer, Ennio
Reihe
Münchener Studien zur Alten Welt 11
Erschienen
München 2014: Herbert Utz Verlag
Anzahl Seiten
388 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karin Wiedergut, Institut für Kulturgeschichte der Antike, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Ennio Bauer versucht in der überarbeiteten Version seiner Bamberger Dissertation, das Wesen jener Vereinigung genauer herauszuarbeiten, die unter dem Begriff gerousia, daneben aber auch als geraioi, gerontes bzw. presbyteroi, aus einer Vielzahl kleinasiatischer Inschriften bekannt ist. Er bietet damit eine sehr ausführlich gestaltete Ergänzung zu einer oft bezeugten, aber insgesamt schwer verständlichen Institution vor allem der kaiserzeitlichen Polis. Die Vereinigungen alter Männer hatten ohne Zweifel eine gesellschaftlich wichtige Stellung inne. Wie weit ihre Kompetenzen im Einzelfall aber gingen und ob sie, je nach Polis, mehr sozialer oder mehr politischer Natur waren, ist Gegenstand von Kontroversen. Im Mittelpunkt von Bauers Arbeit stehen daher Fragen, die den Status, die Funktionsweise und das polisinterne Wirken der Gerusien betreffen. Dazu wird, auf allgemeiner Ebene, eine Neubewertung des Alters in der griechisch-römischen Antike angestrebt.

Zunächst widmet sich der Autor anhand literarischer Quellen dem Altersbild in hellenistischer und römischer Zeit (S. 9–30), das gemischt ausfällt. Für eine positive Bewertung alter Menschen sei vor allem der Leistungsaspekt bedeutsam gewesen; wertvoll sei gewesen, wer auch im vorgerückten Alter noch zum Gedeihen der Gesellschaft beitragen konnte, und genau hier kam nach Bauer der Gerusie als Interessengemeinschaft der Alten eine zentrale Rolle zu.

Anschließend bietet er einen Überblick über das Wesen der griechischen Polis (S. 31–57), der Exkurse zum Euergetismus (S. 40–49) und zur Institution des Gymnasions (S. 52f.) beinhaltet. Für ihn wesentlich ist daran, dass das Gymnasion, als eines der sozialen Zentren der Polis, entscheidend zum Miteinander der Generationen beitrug, während der Euergetismus den Älteren die Möglichkeit gab, dem oben erwähnten Leistungsaspekt zu entsprechen. Hier formuliert Bauer das übergeordnete Ziel seiner Arbeit: eine Darstellung der Rolle der Gerusie in der „Ehr-, Solidar-, Kult-, Rechts- und Schicksalsgemeinschaft, die die Polisbewohner bildeten“ (S. 57).
Danach (S. 58–65) bespricht Bauer die Quellenlage zu den Gerusien: Sein Material umfasst Zeugnisse vom Hellenismus bis in die späte Kaiserzeit und ist überwiegend epigraphischer Natur; dazu kommen einige literarische Zeugnisse und vereinzelt Münzen. Er ist sich der Einseitigkeit seines Materials bewusst, ebenso der Problematik des epigraphic habit der ersten drei nachchristlichen Jahrhunderte, die eine potentielle Verzerrung in inhaltlicher und chronologischer Hinsicht verursachen könnte.

Es folgt ein Forschungsüberblick (S. 66–74), in dem sich Bauer kritisch mit jenen Studien auseinandersetzt, die der Gerusie im Allgemeinen gewidmet sind. Auf diesem Fundament aufbauend, formuliert er auf Seite 75–77 drei Zielsetzungen respektive programmatische Punkte für sein weiteres Vorgehen: 1) die strikt lokale Behandlung einzelner Gerusien innerhalb ihrer jeweiligen Polis, 2) eine Neubewertung des Altersaspektes in Hellenismus und Kaiserzeit, 3) nachzuweisen, dass die Gerusien für ihre Poleis Funktionen übernahmen und welche dies waren. Dem unter 1) formulierten lokalen Ansatz entsprechend, geht Bauer im Hauptteil seiner Arbeit in vier separaten Fallstudien vor: Ephesos (S. 78–219), Pamphylien und Pisidien (S. 220–292), Aphrodisias (S. 293–322) und Iasos (S. 323–344).

Für die erste Fallstudie kann der Autor aus einer Fülle von Quellen schöpfen, für Ephesos verzeichnet er zumindest 102 einschlägige epigraphische Zeugnisse. Sie zeigen eine sehr aktive Vereinigung, die als Euerget fungierte, die Kreditgeschäfte tätigte, bei Feierlichkeiten zu Ehren des Kaisers und der Artemis wichtige Aufgaben für die Kultgemeinschaft übernahm und die auch gemeinschaftlich in der Volksversammlung auftrat. Ferner genoss die Gerusie von Ephesos seitens der römischen Herrschaft erhebliche Vorrechte (wie v.a. aus dem Briefdossier SEG 43, 757–772 hervorgeht; siehe S. 103–141): Darunter sind die Autonomie bei der Eintreibung säumiger Gelder (die ansonsten über Amtsträger der Polis abgewickelt wurde), die Befreiung von bestimmten Leistungen (etwa der Einquartierung ausländischer Gäste) oder auch die Freistellung von gewissen Zahlungen (z.B. von den logeiai, die Bauer als „außerordentliche Zahlungen auf Provinzebene“ versteht). Markant zur Schau gestellt waren die Privilegien der Gerusie an einer Archivwand – wohl der Außenwand des Versammlungsgebäudes der Vereinigung.

Die zweite Fallstudie gilt den Landschaften Pamphylien und Pisidien. Begründet wird die in diesem Fall städteübergreifende Behandlung der Quellen durch geographische, sozialgeschichtliche und wirtschaftshistorische Überlegungen (S. 220f.). Für die Zeit des Hellenismus existieren so gut wie keine Quellen. Die häufiger geäußerte Annahme, dass es in den Städten Pisidiens Ältestenräte mit politischen Befugnissen gegeben habe, entkräftet Bauer: Drei der vier so gedeuteten Quellen sind nicht stichhaltig (Diod. XVIII 44–47, S. 221–228; Pol. V 72–77, S. 228–323; CIG 4342, S. 239f.). Es verbleibt allein der Brief des späteren Attalos II. aus dem Jahr 160/159, der explizit an die polis und die geraioi der Ambladäer adressiert ist (sieh S. 232–239).
Etwas besser sieht die Quellenlage für die Kaiserzeit aus. Zur Verfügung stehen Zeugnisse aus Termessos, Side, Perge, Selge, Sillyon und Attaleia. Sie zeigen die Vereinigung bei religiösen Aufgaben (Side, Perge) und in politisch-administrativen Funktionen (Side, Perge, Termessos, Attaleia), woraus dem Autor zufolge eine Rolle der Gerusie als drittes Polisorgan neben Boule und Demos hervorgehen soll. In einigen Fällen rangiert die Gerusie in der Rangfolge der Polisorgane sogar noch vor der Volksversammlung (siehe S. 282f. zu Perge, S. 270–274 zu Sillyon), wobei Bauer allerdings zu Recht betont, dass es sich um Einzelfälle handelt, die nicht auf andere Poleis übertragbar seien. Generell scheinen in Pisidien und Pamphylien – anders als etwa in Ephesos – die Gerusien jedenfalls harmonisch in ihre jeweiligen Polis-Gemeinschaften eingebettet gewesen zu sein und etwaiger Sonderrechte oder Interventionen seitens der römischen Verwaltung nicht bedurft zu haben.

In der Fallstudie zu Aphrodisias versucht der Autor zunächst, die These von Friedemann Quaß zu entkräften, nach der der Grund für die Beteiligung der Gerusie an Ehrungen immer in der Person des Honoranden zu suchen sei.1 Bauer tut dies anhand von Zeugnissen, in denen der Geehrte keinen erkennbaren Bezug zur Gerusie hat und erschließt aus ihnen eine stadtinterne soziopolitische Funktion der Vereinigung (S. 305–317). Für eine irgendwie geartete außenpolitische Funktion der Gerusie, etwa der Ehrung römischer Beamter oder des Kaiserhauses, findet jedoch auch Bauer kein Anzeichen. Für Aphrodisias bespricht der Autor ferner drei Münzserien (wohl des 3. Jahrhunderts n.Chr.), die auf dem Avers die Gerusie entweder in Form einer alten Frau oder eines jungen Mannes zeigen. Bemerkenswert ist ferner, dass für diese Stadt das Bestehen einer Gerusie anhand einer fragmentierten Inschrift höchstwahrscheinlich bis in die Spätantike zu verfolgen ist.

Die Quellen zu Iasos zeichnen ein blasses Bild. Sie zeigen die Gerusie als eine kontinuierlich vom Hellenismus bis in die Kaiserzeit tätige gymnasiale Vereinigung, die vor allem ehrend in Erscheinung tritt. In einem Fall (I.Iasos 23) wird ihr von Boule und Demos die eigenständige Eintreibung verliehener Gelder zugestanden. Bemerkenswert ist ferner die Inschrift I.Iasos 93, weil sie Auskunft über die Anzahl der an einem Abstimmungsvorgang beteiligten presbyteroi gibt: Es wurden, bei vier Stimmenthaltungen, 70 psephoi abgegeben (S. 329f. und 336).

Im Fazit der Arbeit (S. 346–348) kommt der Autor auf seine eingangs gemachten drei Punkte zurück: Ad 1) Die lokale Herangehensweise an die Quellen habe deutliche ortsspezifische Unterschiede hinsichtlich des Status und der Aufgaben einzelner Gerusien ergeben. Die Gerusie existiere somit (selbst für die Kaiserzeit) nicht. Ad 2) Das ausgewertete epigraphische Material erlaubt weder eine Bestätigung noch eine Widerlegung des aus literarischen Quellen gewonnenen, eher negativen Altersbildes, da das Lebensalter in den Inschriften von oder über die Gerusien keine Rolle spielt. Bauer zieht aus dem Schweigen der Quellen dennoch folgenden Schluss: dass die Gerusien ihre Privilegien dann nicht aufgrund ihres Lebensalters haben konnten, sondern als „Belohnung für Anstrengungen und Leistungen der alten Menschen“ (S. 347). Ad 3) Der Nachweis, dass Gerusien für ihre Poleis wichtige Funktionen übernahmen, sei für einige der untersuchten Städte erbracht worden (Ephesos: ökonomische Funktion, Kaiserkult; Side: Kaiserkult; Perge: Ehrungen; Attaleia: Ehrungen; Aphrodisias: Ehrungen). In einigen Fällen stehe die Vereinigung den Regierungsorganen Boule und Demos sogar so nahe, dass von einem "civic triumvirate" gesprochen werden könne.

Anmerkung:
1 Friedemann Quaß, Die Honoratiorenschicht in den Städten des griechischen Ostens, Stuttgart 1993, S. 418–421.

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