W. Sunderland: The Baron’s Cloak

Cover
Titel
The Baron’s Cloak. A History of the Russian Empire in War and Revolution


Autor(en)
Sunderland, Willard
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 344 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tim Buchen, University of Edinburgh

Sunderlands jüngstes Buch erzählt das Leben von Roman von Ungern-Sternberg (1885–1921), einem baltendeutschen Aristokraten und zarischen Offizier, der während der Russischen Bürgerkriege zweifelhaften Ruhm als grausamer Warlord und Herrscher über die Äußere Mongolei erlangte. Wie der Titel des Buches verrät, ist es jedoch keine Biographie der Person Ungern-Sternbergs, sondern vielmehr eine Studie über das Zarenreich zu Lebzeiten des Barons. Die Aufmachung des Barons auf den letzten Fotografien vor seinem Tod erscheint eklektisch. Ein hochaufgeschossener blonder und hellhäutiger Mann trägt den für Kosaken typischen Schnauzbart, er trägt den titelgebenden Mantel, einen auf mongolischen Adel verweisenden Seidendeel, mit aufgenähten Schulterstücken des Offiziersstandes. Karnevalesk bis grotesk wirkte diese Figur jedoch erst im Moment der Entmachtung und bolschewistischer Gefangenschaft. Ihre Identität hatte sich mit dem Zerfall des eurasischen Großreiches aufgelöst, eines Reiches, dessen heterogene Teile über Jahrhunderte durch eine multiethnische, militärisch geprägte Adelselite beherrscht worden waren. Ungern-Sternberg trachtete danach, seine in Krieg und Revolution untergegangene kosmopolitische aber durch eine gottgegebene strikte Hierarchie zentrierte Welt wieder herzustellen. Mit Gewalt und durch Auslöschung der feindlichen Ideen aus dem Westen sollten die Reiche der Quing, der Mongolen und der Romanovs von Osten her wieder errichtet werden. Aus seinen Briefen und Befehlen spricht religiöser Fanatismus, vielleicht Wahnsinn. Dennoch behauptet Sunderland, dass es sich lohnt, den „verrückten Baron“ nicht als Abweichung und Kuriosum zu sehen. Wer ihn vielmehr als nicht untypischen Repräsentanten der adligen Elite liest und sich die Weitläufigkeit seiner Karriere und persönlichen Kontakte bewusst macht, der versteht mehr vom Zarenreich, vom Prozess seiner Zerstörung und der Welt, die es hinterließ. Die Ansammlung von Zugehörigkeiten, Bekenntnissen und Fähigkeiten, die eben noch den Elitenstatus gesichert hatten, war plötzlich widersprüchlich, lächerlich und zugleich gefährlich. Letztlich machten die Bolschewiki dem Baron im heutigen Novosibirsk den Prozess. Jaroslavskij trat als Ankläger auf und verspottete den Baron im Deel ob seiner Naivität und fehlenden politischen Organisation. Am Prozessende stand die zuvor von Lenin bestellte Erschießung.

Wie das heterogene Russländische Reich zur Heimat eines Mannes werden konnte, der außerhalb seiner Grenzen geboren wurde, erfährt der Leser in elf chronologisch aufgebauten Kapiteln. Sie haben jeweils einen Ort oder Raum zum Gegenstand, in dem Ungern-Sternberg lebte. Sein Wirken und seine persönlichen Erfahrungen auf diesen Stationen treten dabei regelrecht in den Hintergrund. Das ist einerseits der Quellenarmut geschuldet. Andererseits sind sie zweitrangig, da der Baron vor seiner Zeit im Bürgerkrieg weder von besonderem Interesse ist, noch sich aus der persönlichen Geschichte erklären ließe, was er nach 1917 denken und tun sollte. Sunderland zieht es vor zu zeigen, wie die Bedingungen des Raumes und der darin ausgefüllten Rolle den Menschen Ungern-Sternberg geradezu prägen mussten. Roman Fjodorowitsch bewohnte nicht einfach unterschiedliche Orte, er war immer Angehöriger seines Standes, ein Baltendeutscher und Protestant, später Offizier und immer ein Monarchist.

Jedes Kapitel ließe sich gut auch einzeln lesen, als Einblick in eine eigene Welt innerhalb des gigantischen Staates, in der lokale Realitäten mit einer vom Zentrum angestoßenen Agenda aneinander gerieten und von Menschen wie Ungern-Sternberg erfahren und ausgeführt wurden.

Das kurze Kapitel über die Geburtsstadt Graz beschreibt den kosmopolitischen Hintergrund der Familie Ungern-Sternbergs, der über Reichsgrenzen hinweg reichte. Zugleich mehrten sich im späten 19. Jahrhundert in ihrer Umwelt nationalistische Interpretationen der Verwendung der deutschen Sprache und der Zugehörigkeit zu einer deutschen Adelsfamilie in einem zunehmend als deutsch-slawisches Grenzgebiet verstandenen Raum. Im Alter von vier Jahren zog Roman auf den Familiensitz des Vaters in Estland. Auch hier wurde die Beziehung zwischen Adel und Bauernschaft zunehmend in nationalen Antagonismen interpretiert. Höhepunkt der estnisch-baltendeutschen Entfremdung war die Revolution von 1905, während der auch der Familiensitz auf Dagö niedergebrannt wurde. Nachhaltiger prägte den jungen Roman die Auseinandersetzung mit der russischen Sprache, die er durch den Abbau deutschsprachiger Bildungsinstitutionen früher und intensiver erlernte als seine Standesgenossen eine Generation früher. Die Schilderung seiner Zeit im Gymnasium in Reval und auf der Marineakademie in St. Petersburg ist eine eindrucksvolle Studie über die „Russifizierung“ eines baltendeutschen Offiziers im Laufe seiner Karriere, die auch seine weitere Familie und deren unterschiedliche Reaktionen integriert. Als Kosmopolit musste Ungern-Sternberg den Zerfall der Reiche am Ende des Krieges fundamental anders wahrnehmen als bürgerliche Nationalisten. An den Konflikten, die zur Entstehung des Krieges führten, waren Ungern-Sternberg und seine Familie freilich aktiv beteiligt.

In den Kapiteln über Ungern-Sternbergs Stationierung in der Mandschurei im Japanisch-Russischen Krieg und bei den Trans-Bajkal Kosaken nach 1908 beschreibt Sunderland, wie die Expansion des Russischen Reiches nach Osten ebenso die infrastrukturelle und militärische Durchdringung Sibiriens umfasste wie die informelle und ökonomische Beherrschung angrenzender Territorien. Die Mongolei, die Randgebiete der 1911 kollabierten Qing-Dynastie und der Konflikt mit Japan werden konzise als imperialistische Interessengebiete St. Petersburgs beschrieben. Deutlich werden die verschiedenen Spielarten, mit denen das Zarenreich auch ohne Eroberungen politische und ökonomische Abhängigkeiten in der Mongolei und der Mandschurei herstellte. Militärische Potenz spielte dabei eine manchmal indirekte aber immer bedeutende Rolle. Ungern-Sternberg langweilte sich zwar als junger Offizier in Friedenszeiten, aber er war Teil einer Großmachtpolitik, die allmählich zum Großen Krieg eskalierte. Bekanntlich wurde auch der russische Imperialismus von Ideen der kulturellen Überlegenheit und religiöser Sendung angetrieben und rationalisiert. Zugleich bot Ungern-Sternbergs Dienst in den grenznahen Kosaken-Heeren Gelegenheit, zentralasiatische Militärtechniken und östliche Glaubenslehren aufzunehmen. Theosophische Ideen halfen Ungern-Sternberg dabei, unterschiedliche religiöse Überzeugungen miteinander zu verbinden.

Als nach der Revolution von 1917 das Zarenreich zusammenbrach, die Monarchen abdankten, der Adel enteignet und die Offiziere gedemütigt wurden, brach auch für Roman eine Welt zusammen. Er setzte den Krieg fort für die weiße Sache, zunächst in Diensten von Ataman Grigorij Semjonow. Seine Brutalität gegenüber der Zivilbevölkerung und gefangenen Kontrahenten spielt Sunderland nicht herunter, er stuft sie aber als im Russischen Bürgerkrieg nicht außergewöhnlich ein. In diesen Kapiteln erfährt der Leser etwas über die Logik und Praxis des Bürgerkriegs im östlichen Grenzgebiet und die Rolle der chinesischen und mongolischen Alliierten von Bolschewiki und weißen Warlords. Wer sich eine genaue Beschreibung der Herrschaft Ungerns in der Mongolei erwünscht, wird wohl enttäuscht sein. Über das Regiment des „blutigen weißen Barons“ und „letzten Khans der Mongolei“ erfährt man eher wenig, so wie einem insgesamt der Held der Geschichte als Person eher fremd bleibt.1 Sein Leben bietet jedoch eine faszinierende Perspektive auf das Zarenreich und darauf, wie es das Handeln und Denken von Menschen noch prägte, als es in Krieg und Revolution längst untergegangen war. Mehr kann man von einer „imperialen Biographie“2 nicht erwarten.

Das Buch schließt mit höchst anregenden Reflexionen über die Ähnlichkeiten zwischen der alten aristokratischen und der neuen bolschewistischen Elite, die gleichermaßen Produkte des Zarenreiches waren. Kosmopolitisch und misstrauisch gegenüber der lokalen Bevölkerung, waren auch den neuen Herrschern politische Entitäten ohne übergeordneten multinationalen Staatszusammenhang letztlich undenkbar.

„The Baron’s Cloak“ ist ein großartiges Buch, eines der besten, die ich je gelesen habe. Es ist elegant und fesselnd geschrieben, es argumentiert durchweg transparent auf einer vielsprachigen Quellen- und Literaturbasis. Vor allem trägt es viel zum Verständnis des Zusammenbruchs der eurasischen Imperien im frühen 20. Jahrhundert bei.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu Nick Middleton, The Bloody Baron. Wicked Dictator of the East, London 2001, und James Palmer, Der blutige weiße Baron. Die Geschichte eines Adligen, der zum letzten Khan der Mongolei wurde, Frankfurt am Main 2010.
2 Tim Buchen und Malte Rolf (Hrsg.), Eliten im Vielvölkerreich. Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850–1918), München 2015.

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