S. Manz: Constructing a German Diaspora

Cover
Titel
Constructing a German Diaspora. The "Greater German Empire": 1871–1914


Autor(en)
Manz, Stefan
Erschienen
Oxford 2014: Routledge
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
€ 124,97
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Moritz Glaser, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Zweifellos besitzen Fragen nationaler Zugehörigkeit und deren politischer Instrumentalisierung, sei es in Diskussionen über Einwanderer- und Staatsangehörigkeitsgesetze, in Reden des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan in Deutschland oder im Krieg in der Ukraine eine äußerst hohe Aktualität. Deshalb ist das zu besprechende Buch eine willkommene, fundierte Auseinandersetzung mit historischen Bestrebungen, eine aktive Diasporapolitik zu betreiben. Die Studie „Constructing a German Diaspora. The ‚Greater German Empire‘, 1871–1914“ von Stefan Manz stellt eine innovative Verknüpfung neuerer Ansätze der Migrationsgeschichte und Nationalismusforschung in globaler Reichweite dar. Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert, in denen der Frage nachgegangen wird, wie sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Akteure im Deutschen Kaiserreich und an Orten, an denen sich deutsche Auswanderer im Verlauf des langen 19. Jahrhunderts zusammenfanden, versuchten, eine deutsche Diaspora zu schaffen. Dabei stützt sich Manz in den einzelnen Kapiteln teilweise auf früher publizierte Aufsätze in „German History“1 und „Nations & Nationalism“2, die in Teilen hier wiederabgedruckt wurden. Die thematische Gliederung des Buches umfasst neben einem überblicksartigen Kapitel Einzelaspekte wie Politik, Religion und Sprache. Russland und den USA, die Manz gewissermaßen als Sonderfälle der deutschen Auswanderung und der politischen Diasporakonstruktionen interpretiert, wird ein gemeinsames ergänzendes Kapitel zugestanden.

Die Innovativität des methodischen Vorgehens von Manz liegt in erster Linie in seinem konsequent kulturgeschichtlichen Zugriff auf das von ihm bearbeitete Quellenmaterial. Anstatt zu diskutieren, ob die Gesamtheit der deutsche Auswanderer während des 19. Jahrhunderts als deutsche Diaspora bezeichnet werden kann, geht es ihm in erster Linie darum, nachzuzeichnen, wie zeitgenössische Akteure versuchten, nationale Loyalitäten zum Deutschen Reich zu perpetuieren bzw. erst aufzubauen (S. 11). Das Konzept der Diaspora ist damit keine Analysekategorie, um die Auswandererkulturen zu beschreiben, sondern wird zum Untersuchungsgegenstand einer kulturwissenschaftlich argumentierenden Migrationsgeschichte. So ist auch der Begriff der ‚Diaspora‘ in erster Linie ein Quellenbegriff. Mit der Bearbeitung dieses Themas führt Manz drei Forschungsfelder zusammen, die bisher weitgehend in eigenen Forschungstraditionen und Diskussionskontexten verharrten. Erstens stützt er sich auf Ansätze jüngeren Datums innerhalb der Migrationsgeschichte, die den Begriff der Diaspora erweiterten, zweitens auf Paradigmen der transnationalen Geschichte und drittens auf Grundlagenforschungen zum deutschen nation buildung und Nationalismus sowie die mit beiden Konzepten verknüpften Akteure im 19. Jahrhundert.

Die zentrale These des Buches, mit der Manz die Forschungsdiskussionen zu diesen Themen bereichern und erweitern will, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Deutsche Auswanderer wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend sowohl als wirtschaftliche, kulturelle und auch politische Außenposten eines ‚Deutschtums‘ bezeichnet und so als eine homogene und miteinander verbundene Gemeinschaft imaginiert. So zeigt er, dass einerseits Auswanderer als Potential für informelle Herrschaftserweiterungen gesehen wurden und andererseits Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Herkunftsland innerhalb der Gruppe der Migranten aktiv von diesen ausgehen konnten und sie somit nicht nur passive Adressaten einer metropolitanen Diasporapolitik waren.

Konkret diagnostiziert Manz Versuche einer Diasporakonstruktion, die vor allem ab den 1880er-Jahren verstärkt einsetzten und sich vornehmlich in Überlegungen äußerten, wie die Masse der deutschsprachigen Auswanderer ideologisch an Deutschland gebunden werden konnten. Teilweise war dies eine Erwartungshaltung von deutschen communities an so unterschiedlichen Orten wie Glasgow, Mexiko oder Blumenau in Brasilien. Anderenteils waren dies innerhalb der Metropole existierende Hoffnungen, eine deutsche, nationale Zugehörigkeit bei den Auswanderern durch eine gezielte Diasporapolitik aufrechterhalten zu können. Diese Erwartungen, Hoffnungen und Forderungen analysiert Manz anhand einer Vielzahl von Quellen, die er zum einen in deutschen, zum anderen aber auch in amerikanischen, britischen und russischen Archiven zusammengetragen hat. Neben staatlichen Akten stützt er sich auf kirchliche Archivalien, Dokumente deutscher Schulen im Ausland und Auswandererzeitungen. Dadurch wird die transnationale Einbettung gesellschaftlicher und staatlicher Institutionen des Kaiserreiches und der Migranten in einen globalen Argumentationskontext deutlich, der sich bis 1918 halten konnte.

Die Auswertung der Quellen unter der oben genannten Fragestellung wirft allerdings einige methodische und konzeptionelle Probleme auf. Eine Schwierigkeit in diesem an die Diskursanalyse angelegten Vorgehen besteht nämlich darin – und das erkennt Manz natürlich auch – dass die analysierten Quellen in erster Linie die Sprachrohre nationalistisch denkender Akteure waren, während die große Mehrheit der Auswanderer sich zu diesem Thema nicht äußerte. Dies gilt ebenfalls in Bezug auf die Akteure innerhalb Deutschlands. Auch hier besteht das Problem darin, die tatsächliche Verbreitung und die Wirkmächtigkeit des Konzepts einer deutschen Diaspora zu erkennen. So ist es mitunter recht schwierig zu bestimmen, wer etwa die Auffassung teilte, dass Brasilien eine weitere deutsche Kolonie werden könnte und dass den bisher dort siedelnden deutschen Auswanderern eine Schlüsselrolle zukommen sollte. Manz löst das Problem, indem er versucht zu plausibilisieren, dass es sich zwar nicht um einen einheitlichen Diaspora-Diskurs gehandelt habe, dass aber global gesehen, das Konzept der deutsche Diaspora eine Art Thematisierungskonjunktur hatte. Diese manifestierte sich wiederum lokal in unterschiedlichen Facetten, war nicht unbedingt repräsentativ für alle Migranten, aber ab ca. 1880 in allen migrantischen Gemeinschaften und in der Metropole zumindest präsent (S. 123).

Dabei wurde sie aber ganz eindeutig vom Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum getragen, die letztlich auch den fast überwiegenden Teil der Quellen produzierten (S. 123). Dies weist Manz zwar in seinen Fallstudien nach. Doch inwiefern diese Stimmen tatsächlich innerhalb der deutschen communities relevant waren, verdient weiterer Klärung. Dazu hätten sich beispielsweise Quellen aus den jeweiligen Aufnahmegesellschaften heranziehen lassen können, die Manz leider fast vollkommen ausblendet. Gerade im Sinne einer globalgeschichtlichen Untersuchung wäre dies unter Umständen gewinnbringend gewesen. Dann hätte sich möglicherweise zeigen lassen, inwiefern die Stimmen, die einer deutschen Diaspora das Wort redeten, von der Aufnahmegesellschaft als repräsentative Äußerungen der Migranten aufgefasst wurden.

Dass die USA und Russland gewissermaßen als Sonderfälle der Diasporakonstruktion aufgefasst werden, ist äußerst bemerkenswert. Denn bekanntlich waren es ja die Vereinigten Staaten, die die große Mehrheit der zwischen 1848 und 1914 ausgewanderten Deutschen aufnahmen. Manz zeigt recht eindrücklich, dass im Fall der in den USA und Russland bestehenden deutschen communities der Diasporadiskurs deutlich schwächer war und vor allem in Hinsicht auf nationale Zugehörigkeit kaum eine Rolle spielte. Selbst die radikalsten Akteure dieser communities hinsichtlich der Diasporapolitik stellten so gut wie nie in Frage, wem gegenüber sie sich stärker verpflichtet fühlten, wenn es um die nationale Zugehörigkeit ging. Anstatt sich als deutsche Staatsbürger zu fühlen, plädierten sie eindeutig für eine nationale Zugehörigkeit zu dem Land, in dem sie lebten. An dieser Stelle wird einerseits deutlich, dass der nationalistische Diasporadiskurs deutliche Grenzen hatte. Andererseits macht Manz an diesem Befund auch sichtbar, dass nationale Zugehörigkeit am Ende des 19. Jahrhunderts durchaus kompatibel war mit ethnisch-kulturell basierten Identitätsentwürfen. Die Tatsache also, dass in den USA und in Russland Versuche der Diasporakonstruktion besonders gering und wenig wirkmächtig ausfielen (S. 167)3, führt Manz deshalb zur Schlussfolgerung, dass eine nationalistische Diasporakonstruktion eher der Sonderfall und eine Aufrechterhaltung der eigenen Sprache und Kultur bei nationaler Loyalität zur Aufnahmegesellschaft der Normalfall waren.4

Zwar bettet Manz seine Arbeit in mehrere Forschungsansätze ein, positioniert sich in der Einleitung und im Verlauf des Textes sehr eindeutig gegen den methodologischen Nationalismus und plädiert zugleich gegen eine völlige Vernachlässigung des Nationalstaats als Analysekategorie (S. 6). Eine Rückkopplung der Forschungsergebnisse an aktuelle Kontroversen, wie etwa der Frage, wie relevant die Rückwirkungen des Kolonialismus und der Migrationsprozesse auf das deutsche Kaiserreich überhaupt waren, bleibt allerdings fast ganz aus. Trotzdem ist diese Studie der Diasporadiskurse eines sich imperialisierenden Nationalstaats5 ein guter Ausgangspunkt für weitere Forschungen im Kontext einer Globalgeschichte des Nationalismus, für die die Analyse von Diasporakonstruktionen sicherlich auch ein fruchtbares Forschungsfeld ist.

Anmerkung:
1 Stefan Manz, The ‘Hauptverein Deutscher Flottenvereine im Auslande’ 1898–1918, in: German History 30 (2012), H. 2, S. 199–221.
2 Ders., Protestantism, Nation and Diaspora in Imperial Germany, in: Nations & Nationalism 18 (2012), H. 4, S. 744–764.
3 Ebenso bescheinigt jüngst Heike Bungert den Versuchen vonseiten deutscher Diplomaten in den Vereinigten Staaten hinsichtlich ihrer Einflussnahme auf die Deutschamerikaner nur einen partiellen Erfolg. Vgl. Heike Bungert, Migration und Internationale Beziehungen im Kaiserreich. Wilhelm II., das Auswärtige Amt und ihr Interesse an den Deutschamerikanern, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 63 (2015), H. 5, S. 413–434, hier S. 433.
4 Vgl. dazu auch: Leo Lucassen, Is Transnationalism Compatible with Assimilation? Examples from Western Europe since 1850, in: Jochen Oltmer (Hrsg.), Historische Integrationssituationen, Osnabrück 2006, S. 15–35, bes. S. 22.
5 Jörn Leonhard / Ulrike von Hirschhausen, Empires und Nationalstaaten im 19. Jahrhundert, Göttingen 2009.

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