J. Lansbury: A Spectacular Leap

Cover
Titel
A Spectacular Leap. Black Women Athletes in Twentieth-Century America


Autor(en)
Lansbury, Jennifer H.
Erschienen
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
€ 27,61
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Orban, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Als Alice Coachman im August 1948 den olympischen Hochsprungwettbewerb für sich entschied, nahm auch die New York Times davon Notiz. Ein knapper Satz am Ende eines Artikels, der den Erfolg des US-amerikanischen Olympiateams bilanzierte, führte ihre Leistung an: Als einzige US-amerikanische Leichtathletin hatte sie sich in London eine Goldmedaille erarbeitet und dabei einen olympischen Hochsprungrekord etabliert. Viel mehr war über den abschließenden Höhepunkt ihrer beeindruckenden Karriere darin nicht zu lesen. Stattdessen fokussierte die Darstellung auf die niederländische Sprinterin und Vierfachsiegerin Fanny Blankers-Koen, „[the] blond, slender 30-year-old mother of two“, die als idealtypische „heroine“ der Sommerspiele gefeiert wurde. Im Juli 2014, im Alter von 90 Jahren, verstarb Alice Coachman Davis in ihrer Heimatstadt Albany, Georgia. Posthum würdigte die New York Times die erste schwarze Frau, die eine olympische Goldmedaille gewann, als beispielhafte Vorkämpferin. Ein Beitrag in Artikellänge konturierte ihre Lebensleistungen und zugleich die gesellschaftlichen Einschränkungen, mit denen sie sich im segregierten Amerika konfrontiert sah und die sie durch ihren Sporterfolg herausforderte. „It encouraged the rest of the women to work harder and fight harder“, so Coachman.1

Mit der Veröffentlichung ihrer Dissertation hat die US-Historikerin Jennifer H. Lansbury nun eine Studie vorgelegt, in der sie den historisch kontingenten Wahrnehmungs-, Handlungs- und Denkweisen afroamerikanischer Athletinnen nachspürt. Darin beschreibt sie gemäß dem Haupttitel des Buches „A Spectacular Leap“, der auf Coachmans Goldsprung und die angedeutete vermehrte Anerkennung schwarzer Sportlerinnen im Verlauf des 20. Jahrhunderts hinweist. Dieser langwierige, offene Prozess schließt in ihrer Untersuchung die Selbstpositionierungen schwarzer Akteurinnen, das Erkämpfen von für sie nicht vorgesehenen Subjektpositionen ein. Gleichzeitig bezieht sie sich auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen in den USA, aber ohne hierbei die Fortschrittserzählung hin zu einer egalitären Sozialordnung zu bedienen. Vielmehr historisiert Lansbury das Hervortreten und Sichtbarwerden afroamerikanischer Athletinnen, indem sie beleuchtet, wie diese sich zur andauernden intersektionalen Diskriminierung schwarzer Menschen raumzeitlich spezifisch verhielten. Hierzu nimmt sie race, Geschlecht und soziale Klasse als interdependente Ungleichheitskategorien in den Blick, die sich wechselseitig bedingen, aufeinander beziehen und aus ihrer Verschränkung heraus operieren und hier schwarze Frauen sozial platzieren. Ein emanzipatorisches Drängen derselben, gegen Rassismus, Sexismus, Klassismus und auf gesellschaftliche Teilhabe, wird über die Betrachtung ihrer Sportpartizipation herausgearbeitet. Dabei zeigt Lansbury, dass leistungs- und wettkampforientiertes Sporttreiben als eine die Ordnung überschreitende Körperpraxis fungierte. So veruneindeutigten respektable schwarze Athletinnen normative Weiblichkeitsvorstellungen und konterkarierten rassistische wie klassistische Grenzziehungen. Erfolgreiches Sporthandeln diente Afroamerikaner/inne/n als eine gangbare Subjektivierungsstrategie, die Bildungszugänge schuf und damit soziale und geografische Mobilität ermöglichte. Die Kultivierung der Körperlichkeit war sonach auf eine aufstrebende Selbstführung ausgerichtet, welche wiederum um die Kräftigung schwarzer Gemeinschaften kreiste. In dieser Hinsicht verdeutlicht Lansbury die jeweilige harte Arbeit an sich selbst als Gemeinschaftsprojekte, an denen zuvorderst männliche Akteure als Trainer und Mentoren maßgeblich beteiligt waren. Aufstiegsorientierte Athletinnen bewegten sich daher stets in einem Spannungsverhältnis von Selbstbestimmung und Fremdführung. Während sie die hergestellten Ermöglichungen ausagierten, mussten sie zwischen Anpassung, Eigensinn und Widerstand mit den Erwartungen und Vorstellungen schwarzer Gemeinschaften und weißer Mehrheitsgesellschaft umgehen und erfahren „what it meant to be a woman and black in American society“ (S. 4).

„A Spectacular Leap“ spricht demnach ein breites Fachpublikum an, da das Buch an der Schnittstelle zwischen US-/afroamerikanischer Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, der Geschichte von Körpern und Sport, von Selbst- und Fremdführung sowie Geschlechtergeschichte zu verorten ist. In ihrer „story of African American women’s relationship with competitive sport during the twentieth century“ (S. 4) verzichtet Lansbury auf unnötige Theoretisierungen und sprachliche Schnörkel. Dagegen besticht ihr leser/innen/freundliches, erfreulich quellenbasiertes Narrativ durch seine klare Struktur. So entwickelt sie auf 250 Seiten, in sechs chronologisch arrangierten Kapiteln, gerahmt von einer kurzen Einführung und einem Epilog, eine gut informierte Darstellung der vielfältigen Erfahrungen, gesellschaftlichen Positionierungen und Wahrnehmungen schwarzer Athletinnen. Ausgehend von den 1920er-Jahren, als Afroamerikanerinnen in den Wettkampfsport eintraten, bis hin zur Gegenwart, in der sie ihnen zugängliche Sportarten wie Basketball und Leichtathletik dominieren, bringt Lansbury über personalisierte Nahaufnahmen eine analytisch wertvolle Langzeitaufnahme ihrer Sportpartizipation und deren Bedeutungen hervor. Hierzu steht in jedem der sechs Kapitel, die aufeinander aufbauen, aber auch als eigenständige Texte funktionieren, eine ausgewählte Athletin in einer historisch spezifischen Konstellation im Fokus ihrer Untersuchung. Dabei werden die verknüpften Einzelstudien, in denen sie die Lebenswege teils wenig bekannter Frauen umreißt und in Kontexte wie den Kalten Krieg oder die lange Bürgerrechtsbewegung einordnet, weder als repräsentativ, noch als Kurzbiografien gedacht. Vielmehr ruht das Hauptaugenmerk auf den bedeutungsvollen Sportkarrieren individuell herausragender Athletinnen. Mitunter traten diese als Pionierinnen auf, auch weil sie über die Arbeit an ihren fitten, befähigten Körpern und durch die Unterstützung schwarzer Gemeinschaften aus sich selbst ein erfolgreiches Projekt machten, das Lansbury mit gesellschaftlichen Strukturen und Wahrnehmungen ins Verhältnis setzt. Auf diese Weise gelingt es ihr, in der Zusammenschau der einzelnen Kapitel Brüche, Widersprüche und Kontinuitäten einzufangen, die Aufschluss über historisierte, aufeinander bezogene Selbstführung und soziokulturelle Zuschreibungen geben können. Im Zuge dessen wird die um heteronormative Weiblichkeit kreisende und rassistisch-klassistische Stereotype beantwortende Verkörperung von Differenz in den Blick genommen. „Rejecting the stereotypes of white society was not the same thing as ignoring them“ (S. 61), wie Lansbury auf die veranschaulichten afroamerikanischen Umgangsstrategien abhebt.

Ein zentraler Ansatzpunkt von „A Spectacular Leap“ liegt folglich darin, zu zeigen, wie sich schwarze Frauen, verschiedene Athletinnen, bisweilen ihre Teamkolleginnen und Unterstützungsnetzwerke zu historisch hervorgebrachten, gesellschaftlich konstitutiven Wahrnehmungs- und Handlungsmustern verhielten und diese aktiv mitgestalteten. Die von Lansbury besprochenen Akteurinnen, die in unterschiedlichen gesellschaftlichen Konfigurationen situiert danach strebten, sich selbst zu verwirklichen und zu definieren, sind Ora Washington, Alice Coachman, Althea Gibson, Wilma Rudolph, Wyomia Tyus und Jackie Joyner-Kersee mit Florence Griffith Joyner.2 Ergänzend werden im Epilog zudem die Selbstpositionierungen und Rezeptionen von Gail Devers, Marion Jones sowie von Venus und Serena Williams diskutiert. Was diese Generationen afroamerikanischer Athletinnen verbindet, ist, dass sie mehrheitlich soziale Schranken überwanden, persistente Negativzuschreibungen herausforderten und etablierte Vorstellungen von Frau- und Schwarzsein unterliefen. Alice Coachman etwa, die in den 1940er-Jahren als erste schwarze Athletin regelmäßig gegen weiße Sportlerinnen inter/national antrat und sie für ein Jahrzehnt dominierte, präsentierte sich als (leicht-)athletische und respektable schwarze Frau, die damit eine antirassistische, verbürgerlichende Feminisierung aufführte. Jene Selbstpräsentation, die als ästhetisierende Image- und Körperarbeit auf die Legitimierung der randständigen ‚Frauen-Leichtathletik‘ und die Anerkennung ihrer angeblich vermännlichten Praktikerinnen abzielte, wurde in den 1960er-Jahren erfolgreich durch Wilma Rudolph gepflegt. Das hyper-feminine, körperzentriert sexualisierende Stereotyp, dem sich Rudolph alsdann ausgesetzt sah, eignete sich Florence Griffith Joyner in den 1980er-Jahren selbstbestimmt an. Als ‚FloJo‘ bot sie eine aufsehenerregende Körper- und Modenschau dar, die zugleich eine andere, athletisierte Ästhetik und kommerziellen Erfolg bedeutete. Trotz dieses emanzipatorischen Drängens stellt Lansbury zu Recht fest: „The confluence of race, class, gender that surrounded black women in sport during much of the twentieth century remains, invoking similar and revised images on the athletes in today’s mainstream society“ (S. 243).

„A Spectacular Leap“ ist somit ein politisches Buch, da es auf die anhaltende intersektionale Diskriminierung schwarzer Frauen hinweist und ihre strategischen Umgangsweisen mit körperlich gedachten Ungleichheitskategorien wie vor allem race und Geschlecht analysiert. Insbesondere betrifft dies das weiterhin männlich dominierte Handlungsfeld des Sports, in dem über den Körper hinterfragt und beurteilt wird, wer und was frau (nicht) ist und wo sie (nicht) steht. Lansburys Studie ist zudem auch ein wichtiges Buch, weil es sich einem von der historischen Forschung unzureichend bearbeiteten Untersuchungsgegenstand widmet und schwarze Athletinnen als Frauen und historische Akteurinnen ernst nimmt. In Buchlänge trägt sie so zu einer (Sport-)Geschichtsschreibung bei, die hinsichtlich aktiver Körper-Subjekte die Komplexitäten von Differenz und Gleichheit, von Selbst- und Fremdführung kritisch historisiert.3

Anmerkungen:
1 The Associated Press, U.S. Outstanding with 38 Victories, in: New York Times, 15.8.1948, S. S1; Richard Goldstein, Alice Coachman, 90, Dies; First Black Woman to Win Olympic Gold, in: New York Times, 14.7.2014, <http://www.nytimes.com/2014/07/15/sports/alice-coachman-90-dies-groundbreaking-medalist.html> (23.07.2014).
2 Sie wuchsen zumeist in ärmlichen Verhältnissen im segregierten Süden auf, wo sie Sport für sich als Aufstiegsvehikel wahrnahmen und sich als vielseitige Amateur-Athletinnen profilierten, die alle im Basketball, zumal im Tennis (Washington und Gibson) oder der Leichtathletik aktiv waren und in ihren Sportarten als Wegbereiterinnen gelten können.
3 Verwiesen sei hier auf Susan K. Cahn, Coming on Strong. Gender and Sexuality in Twentieth-Century Women’s Sport, New York 1994; Cindy Himes Gissendanner, African-American Women and Competitive Sport, 1920–1960, in: Susan Birrell / Cheryl L. Cole (Hrsg.), Women, Sport, and Culture, Champaign 1994, S. 81–92; Patricia Vertinsky / Gwendolyn Captain, More Myth than History. American Culture and Representations of the Black Female’s Athletic Ability, in: Journal of Sport History 25 (1998), S. 532–61; Rita Liberti, „We Were Ladies, We Just Played Basketball Like Boys.“ African American Womanhood and Competitive Basketball at Bennett College, 1928–1942, in: Journal of Sport History 26 (1999), S. 567–84; Martha H. Verbrugge, Active Bodies. A History of Women’s Physical Education in Twentieth-Century America, Oxford 2012; und Christian Orban, Body Work: Körperpraxis und Selbstverhältnis afroamerikanischer Leichtathletinnen in den 1930er und 1940er Jahren, in: Body Politics. Zeitschrift für Körpergeschichte 1 (2013), im Erscheinen.

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