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Titel
Logos und Praxis. Sparta als politisches Exemplum in den Schriften des Isokrates


Autor(en)
Blank, Thomas
Reihe
KLIO. Beiträge zur Alten Geschichte. Beihefte Neue Folge 23
Erschienen
Berlin 2014: de Gruyter
Anzahl Seiten
XII, 692 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Wojciech, Seminar für Alte Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Isokrates, einer der interessantesten Denker im klassischen Athen, erfreute sich stets einer großen Aufmerksamkeit seitens der Altertumswissenschaften.1 Thomas Blank legt eine neue Studie vor, die das geistige Schaffen des Isokrates anhand dessen Beschäftigung mit Sparta erläutert. Es ist die erste ausschließlich diesem Aspekt gewidmete, umfassende Einzeluntersuchung in Form einer Monographie. Sie eröffnet einen neuen Zugang zum Verständnis des isokratischen Wirkens, indem zwei weit verbreitete Einschätzungen innerhalb der Forschung in Frage gestellt und grundsätzlich revidiert werden: zum einen, dass die Schriften des Isokrates als politische Publizistik zu verstehen und mit der Absicht der Einwirkung auf die Tagespolitik verfasst worden seien2; zum anderen, dass die Schriften des Isokrates als ideale Exemplare seiner rhetorischen Kunst anzusehen seien, also dem Zweck der Selbstdarstellung dienten.3 Thomas Blank begreift Isokrates hingegen als Schriftsteller und Philosophen, der sich vor allem mit moralischen Fragestellungen beschäftigte (S. 12; 35ff.) und seine Schüler mittels verfasster Reden zum eigenständigen Denken, zu Kritik und Diskussion animieren und anleiten wollte (S. 57ff.; 238f.; 563ff.). Um das kritische Urteilsvermögen zu schulen, habe Isokrates dabei absichtlich Widersprüche / Inkonsistenzen konstruiert, so dass in seinem Werk stets mit mehreren Aussageebenen zu rechnen sei (zum Beispiel S. 27ff.; 68ff.). Die hieraus gewonnene Erkenntnis ändere vor allem die Lesart der isokratischen Lobreden, denen meist eine Kritik implizit sei (zum Beispiel 244ff.). Diese Vorbereitung sollte es dem philosophisch gebildeten Publikum ermöglichen, die logoi pseudeis der zeitgenössischen rhetorischen Praxis zu durchschauen und kompetent zu bewerten (S. 617).

Im Hauptteil der Untersuchung (S. 75–587) wird ein konsistentes Tableau des Exemplum Sparta entworfen und dessen prinzipielle Kontinuität während der gesamten Schaffensperiode des antiken Autors betont. Als wichtig erscheine die Unterscheidung zwischen der Frühzeit Spartas bis zu den Perserkriegen (Schlacht bei den Thermopylen) und der zeitgenössischen Polis. Während das Sparta der Vorfahren sowohl für die innere Verfasstheit als auch für seine Außenpolitik meist gelobt werde (zum Beispiel im Panegyrikos, Philippos), sei das Spartabild der Gegenwart lediglich noch im Inneren durch Relikte eines Idealstaates gekennzeichnet. Die guten militärischen Einrichtungen setze Sparta allerdings zu verwerflichen Zwecken ein. Es sei die kriegerische Außenpolitik, die gewaltsame Durchsetzung der Herrschaft über andere Hellenen sowie der insgesamt mangelnde Sinn für das griechische koinon und Ausrichtung auf das Eigeninteresse (idion), die immer wieder kritisiert werden. Negative Bewertung erfahre bei Isokrates schließlich die Einseitigkeit der spartanischen politeia in ihrer Ausrichtung auf die gymnische paideia und somit das Kriegswesen, die für das entsprechende Verhalten verantwortlich gemacht werden kann (vor allem im Panegyrikos, Philippos, Areopagitikos, Archidamos, Panathenaikos und in der Friedensrede). Das isokratische Spartabild sei dennoch nicht statisch, sondern erfahre im Verlauf der Zeit durchaus Konkretisierungen und Ausdifferenzierungen. Ein gutes Beispiel dafür sei die Bewertung der spartanischen basileia. Sie werde erst im Philippos mit aller Deutlichkeit als nachahmenswertes Ideal konsensorientierter politischer Führung entwickelt und erfahre im Folgenden weder ausschließlich Lob noch ausschließlich Tadel. Den positiven Aspekten wie Legitimation durch die Bürger der Polis als freiwillige Gefolgschaft (zum Beispiel im Nikokles, Philippos und in der Friedensrede) stelle Isokrates auch negative gegenüber, so die starke oligarchische Prägung des Systems (und die damit einhergehende Unterdrückung großer Teile der Bevölkerung), in dem das Königtum eingebettet war (vor allem im Panathenaikos).

Dieses Bild und seine Bewertung entsprechen dem philosophisch-erzieherischen Konzept des Isokrates. Thomas Blank zufolge beruht es auf der Prämisse, dass gute Gesetze und Institutionen ohne eine richtige Anwendung durch die Bürger nicht zu guter Politik führen können; die richtige Werteorientierung sei aber eine Folge der richtigen paideia. Hier zeigt Thomas Blank die Parallelen zwischen Philosophie und Politik auf. Während im geistigen Bereich das richtige Urteilsvermögen eine Voraussetzung für die moralische Anwendung einer formalen Lehre (zum Beispiel der Redekunst) darstelle, ermögliche erst die richtige politeia der Bürger (verstanden als richtige Haltung gegenüber dem Gemeinwesen) ein positives Wirken guter Einrichtungen im staatlichen Bereich. Übertragen auf Sparta bedeute dies, dass das Lob der militärischen Ordnung nicht das Lob des konkreten militärischen Handelns einschließe. Isokrates wolle eine auf moralischen Normen beruhende Urteilskraft vermitteln; da für die Moral die Psyche, nicht der Körper verantwortlich sei, vermittle die gymnische paideia und die Handlungsfähigkeit im militärischen Bereich nicht die Fähigkeit eines guten Urteils bei der Anwendung (S. 605ff.).

Das Exemplum Sparta diene aber insgesamt der Vermittlung grundsätzlicher politischer Ideen des Isokrates. Dazu gehöre der Standpunkt, dass nur die Verpflichtung auf das koinon den dauerhaften und erstrebenswerten Erfolg einer Polis sichern kann. Der zu verurteilenden arche wird eine am Dienst an den Untertanen orientierte hegemonia gegenübergestellt (besonders deutlich im Panegyrikos und in der Friedensrede). Ungerechte, gewaltsam ausgeübte Herrschaft entfalte aber zerstörerische Wirkung und führe in den Untergang, da sie zwangsläufig den Hass der Beherrschten und somit den Umsturz der Verhältnisse provoziere. Sparta diene dabei als Folie für die athenische Politik des 4. Jahrhunderts, insbesondere ihr Verhalten im Seebund, das mal implizit (im Panegyrikos), mal explizit (im Areopagitikos und in der Friedensrede) kritisiert werde. Dem athenischen Publikum solle auf diese Weise die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit seiner machtpolitischen und demokratischen Selbstdarstellung auf der einen und seines Handelns auf der anderen Seite aufgezeigt werden. Als die spezifischen Adressaten der Kritik könnten somit einerseits die Bewunderer Spartas, andererseits die Verfechter einer athenischen Herrschaftspolitik nach dem Modell des Delisch-Attischen Seebundes gelten. Der darin enthaltene (und an die geistige Elite gerichtete) Appell rufe zu einer Orientierung an der (idealisierten) Haltung der athenischen Vorfahren gegenüber dem Gemeinwesen auf.

Die durch den veränderten Ansatz vorgenommene Korrektur des Forschungsbildes hinsichtlich einzelner Reden kann hier als Ergänzung nur exemplarisch vorgestellt werden. Am deutlichsten erscheint sie wohl im Hinblick auf zwei Reden: den Panegyrikos und den Archidamos. Während die erste Rede häufig als proathenische Propagandarede oder sogar als Plädoyer für die Gründung des Zweiten Attischen Seebundes gelesen wurde, interpretiert Thomas Blank die Kritik an Sparta als Mittel, das scheinbare und im athenischen Alltag allgegenwärtige Lob der athenischen Herrschaftsansprüche als falsch bloßzustellen (S. 157–250). Die Lektüre des Archidamos schien wiederum aufgrund des scheinbaren Lobes nicht recht in das isokratische Spartabild zu passen; durch seine Konzentration auf die Sprecherrolle des Archidamos und ihre Identifikation als Anti-Isokrates konnte Thomas Blank zeigen, dass hier Thesen vertreten werden, die im klaren Gegensatz zum Denken des antiken Autors stehen und so den Widerspruch auflösen (S. 287–377).

Es bleibt abschließend festzustellen, dass die Studie wesentlich mehr bietet als der Titel andeutet. Neben der Darstellung der Rolle des Beispiels Sparta wird eine umfangreiche Interpretation der Reden II–XV aus dem Corpus Isocraticum vorgelegt, die die gängigen Ansichten zu Isokrates berichtigt und ein schlüssiges Gesamtkonzept der isokratischen Philosophie / paideia entwirft. Mit seiner Untersuchung leistet Thomas Blank zweifellos einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der intellektuellen Landschaft Athens im 4. Jahrhundert v.Chr.

Anmerkungen:
1 Aus der umfangreichen Publikationstätigkeit der letzten Jahre sei wenigstens die Monographie von Jonathan D. Pratt, Isocrates in Athens. Public Philosophy and the Rhetoric of Display, Berkeley 2006, sowie der Sammelband von Wolfgang Orth (Hrsg.), Isokrates. Neue Ansätze zur Bewertung eines politischen Schriftstellers, Trier 2003, genannt.
2 Zuletzt m.W. Peter Hunt, War, Peace, and Alliance in Demosthenes’ Athens, Cambridge 2010, S. 271–272.
3 Zuletzt m.W. Edward Schiappa, The Beginnings of Rhetorical Theory in Classical Greece, New Haven 1999, S. 179–180; Thomas Blank folgt in seiner Kritik hier allerdings in Teilen Pratt, Isocrates in Athens, S. 1–36.

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