: SED und SPD. Ein Dialog. Berlin 2002 : edition ost, ISBN 3-360-01038-8 280 S. € 14,90

: Dialog durch die Mauer. Die umstrittene Annäherung von SPD und SED. Frankfurt am Main 2002 : Campus Verlag, ISBN 3-593-37066-2 449 S. € 29,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Nakath, Potsdam

Am 27. August 1987 stellten Vertreter der SED-Akademie für Gesellschaftswissenschaften und der SPD-Grundwertekommission auf parallelen Pressekonferenzen in Ost-Berlin und Bonn das gemeinsame Dokument „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ vor. In der DDR in vollem Wortlaut und in großer Auflage veröffentlicht, bewirkte das Ideologiepapier vor allem im Inneren des Landes und innerhalb der SED bis dahin nicht gekannte breite Diskussionen. Die formulierten Ansätze bzw. Grundregeln „einer Kultur des politischen Streits“ gingen schließlich davon aus, dass sich „beide Systeme gegenseitig für friedens- und reformfähig halten“ und setzten auf das „Nebeneinander von Streit, Wettbewerb und Kooperation“ in den Beziehungen zwischen den Systemen.

Zwei der damals auf SED-Seite beteiligten Autoren des Ideologiepapiers, der Sozialwissenschaftler Rolf Reißig und Erich Hahn, Philosoph und ZK-Mitglied, haben 15 Jahre später interessante Publikationen zur Entstehungsgeschichte, den Inhalten sowie den Auswirkungen dieses für die Geschichte beider Parteien eminent wichtigen Dokuments vorgelegt.

Sein Buch sei – so Rolf Reißig – „nicht primär für Historiker geschrieben, sondern für alle, die dem auf die Spur kommen wollen, was in dieser fast schon vergessenen Zeit der Ost-West-Konfrontation Politiker und Intellektuelle, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Weltanschauung antrieb und bewog, den Dialog durch die Mauer zu führen, um Abgrenzungen zu überwinden, Verständigungen und Annäherung zwischen Ost und West zu bewirken und die ideologischen Gegensätze sachlich auszutragen“.

Die Aufnahme von Kontakten zwischen SED und SPD ging auf einen Brief Willy Brandts zurück, den Günter Gaus am 12. November 1982 Honecker erläuterte. Das SED-Politbüro hatte bereits zehn Tage vor dieser Briefübergabe (!?) beschlossen: „Dem Ersuchen des Vorsitzenden der SPD, Willy Brandt, Parteibeziehungen zwischen der SPD und der SED herzustellen, wird entsprochen“.

Reißig beschreibt in seinem Buch die historischen und politisch-strategischen Ausgangspositionen für den Dialog, die nicht zuletzt durch den Regierungswechsel in der Bundesrepublik nach der „Bonner Wende“ im Herbst 1982 beeinflusst waren. Die Teilnahme einer SPD-Delegation an der Karl-Marx-Konferenz im April 1983 in Berlin hatte damals in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt und Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel zur Weiterführung und Intensivierung der Parteikontakte zur SED veranlasst. Neben den von Egon Bahr und Hermann Axen geführten Diskussionen zu sicherheitspolitischen Fragen begannen im Frühjahr 1984 erstmals ideologische Grundsatzgespräche zwischen der Grundwertekommission der SPD und der Akademie für Gesellschaftswissenschaften der SED, die bis 1989 andauerten und deren „wechselvollen Verlauf“ Reißig und Hahn rekonstruieren. Thomas Meyer und Rolf Reißig hatten schließlich den Textentwurf des Ideologiepapiers formuliert, den Erhard Eppler und Otto Reinhold redigierten. Im Juni 1987 stimmte das SPD-Präsidium und erst vier Wochen später das SED-Politbüro dem Dokument zu.

Heute dürfte für jeden Betrachter klar sein, dass mit dem gemeinsamen Dokument vor allem innere Prozesse in der SED und der DDR ausgelöst worden sind. Darin lag seine eigentliche Wirkung. Die „Mehrheit der SED-Mitglieder sah in dem Papier einen Befreiungsschlag“, griff aber „das Angebot bzw. die Aufforderung zum gesellschaftlichen Dialog nur teilweise auf und setzte es nur ansatzweise um“, schreibt Reißig. Folglich belässt er es in seinem Buch nicht bei der Beschreibung von Vorgeschichte, Zustandekommen und Textanalyse des Dokuments. Er geht auch ausführlich auf dessen Aufnahme und Bewertung in der evangelischen Kirche der DDR ein, schildert die Positionen und die kontroverse Debatte in den politisch-alternativen und oppositionellen Gruppen in der DDR und fragt nach Diskussionen in der Bundesrepublik sowie der internationalen Resonanz des Dialogpapiers. So fand das Dokument in der Sowjetunion zunächst kaum Widerhall. Erst Anfang 1988 begrüßte die KPdSU-Führung das Dokument, zu einem Zeitpunkt, als in der SED die Gegner des Dialogpapiers bereits auf Distanz gingen. Der Autor belegt anhand von Fallstudien, wie der Inhalt des Papiers ungewollt den Differenzierungs- und Erosionsprozess innerhalb der SED beschleunigte, das demokratisch-sozialistische Potenzial stärkte und somit zum politischen Umbruch in der DDR beitrug.

Reißig hat in der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“, der „Birthler-Behörde“ sowie in weiteren Archiven die wichtigsten Quellen ausgewertet. Hinzu kamen Zeitzeugengespräche mit rund 50 wichtigen Persönlichkeiten, darunter Egon Bahr, Erhard Eppler, Günter Gaus, Hans-Jochen Vogel, Karsten Voigt, Richard von Weizsäcker und Egon Krenz, Herbert Häber, Wolfgang Herger sowie Friedrich Schorlemmer, Heino Falcke, Günter Krusche, Martin Ziegler, Wolfgang Templin, Hans Misselwitz, Christoph Hein und Christa Wolf, deren Aussagen für den Band von erheblicher Bedeutung sind.

Erich Hahn widmet sich in seinem Buch ausführlich den sieben Gesprächsrunden in Wendisch-Rietz und Freudenstadt und schildert die Gesprächsatmosphäre. Die Inhalte der damaligen Diskussionen sowie der vorgelegten Thesenpapiere beider Seiten konfrontiert er mit seiner heutigen Sicht. Damit weicht er von den bisherigen Publikationen, die vor allem den Inhalt des „Ideologiepapiers“ in den Mittelpunkt rückten, ab. Dies dürfte für Historiker als willkommene Ergänzung durch einen Zeitzeugen von Interesse sein, zumal es über diese Treffen keine Tagungsprotokolle gibt. Hahns nachvollziehbare Begründung für seine Schwerpunktsetzung lautet: „Nur ein Bruchteil der in den Gesprächen thematisierten Probleme fanden im Dokument Niederschlag“.

Sowohl Hahn als auch Reißig vertreten die Ansicht, dass für das Zustandekommen des Dialogs die Vorgespräche des Leipziger Philosophen Helmut Seidel mit Erhard Eppler von erheblicher Bedeutung gewesen seien. Seidel hatte im Frühjahr 1983 Eppler vorgeschlagen, dem Beispiel des Schriftstellerdialogs zu folgen und Gesellschafts- und Sozialwissenschaftler aus Ost und West zum Gedankenaustausch zusammenzuführen.

Für die Forschung von Interesse sind die in Hahns Band vollständig wiedergegebenen persönlichen Notizen von Egon Krenz aus der für das gemeinsame Dokument wichtigen Sitzung des SED-Politbüros am 28. Juli 1987. In dieser Sitzung ist der Wortlaut des Dokuments bestätigt worden, ohne dass es zu inhaltlichen Auseinandersetzungen gekommen wäre. Honecker, der auf der Politbürositzung am 28. Juli 1987 von Egon Krenz vertreten wurde, vermerkte aus seinem Urlaubsort, das Dokument sei „von großer historischer Bedeutung für Diskussion und Aktion der Arbeiterbewegung“.

In beiden Publikationen wird der Wortlaut des Dokuments im Anhang vollständig wiedergegeben.

Erhard Eppler vertritt im Nachwort des Reißig-Bandes die Ansicht, dass mit diesem Buch ein Standardwerk zum SPD-SED-Dialog und seinen Folgen vorliegt. Gemeinsam mit dem Band von Erich Hahn können sich Wissenschaftler und interessierte Leser gut und tiefgründig über den SPD-SED-Dialog in den 80er-Jahren informieren.

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