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Titel
Kalifen und Assassinen. Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge 1074–1171


Autor(en)
Halm, Heinz
Erschienen
München 2014: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Obenaus, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

Der renommierte Islamwissenschafter Heinz Halm, Professor emeritus an der Universität Tübingen, legt mit seinem neuesten Buch den letzten Band einer Trilogie vor, die sich der mittelalterlichen schiitisch-ismailitischen Herrscherdynastie der Fatimiden widmet. Die beiden ersten Bände mit den Titeln „Das Reich des Mahdi“1 und „Die Kalifen von Kairo“2 erschienen bereits in den Jahren 1991 beziehungsweise 2003 im Verlag C. H. Beck und behandeln den Ursprung dieser Dynastie im Maghreb, deren Aufstieg und Machtübernahme in Ägypten, Palästina und Syrien sowie ihre Blütezeit. Im aktuellen Werk stellt Halm das letzte Jahrhundert fatimidischer Herrschaft sowie ihren Sturz dar. Aufgrund der Bedeutung der schiitisch-ismailitischen Fatimiden-Kalifen, die einerseits als weltliche Herrscher die Machtpolitik des Vorderen Orients entscheidend mitgestalteten und andererseits mit den sunnitischen Kalifen von Bagdad um den religiösen Führungsanspruch in der islamischen Welt wetteiferten, gibt dieses Buch jedoch einen überaus weitreichenden Überblick über die Geschichte des Nahen Ostens im Zeitraum vom späten 11. bis zum späten 12. Jahrhundert.

Aufgrund der Breite der in diesem Buch behandelten historischen Materie werden die Hauptthemen von Heinz Halm in seiner Einleitung dankenswerter Weise kurz umrissen, damit diese nach seiner eigenen Aussage „dem mit der mittelalterlichen Geschichte des Vorderen Orients unvertrauten Leser […] als rote Fäden dienen können“ (S. 6). Dabei kommt Halm auf insgesamt neun große Bereiche, die sowohl überregionale Entwicklungen im Nahen Osten als auch interne Phänomene des Fatimidenreiches umfassen. Zu diesen gehören der religiös-politische Konflikt zwischen den schiitisch-ismailitischen Kalifen von Kairo und den sunnitischen Kalifen von Bagdad als auch die Westwanderung der Turkvölker und deren Auswirkungen auf die Machtverhältnisse und Militärstrukturen im Nahen Osten. Innenpolitisch wird die Ausbildung eines neuen Herrschaftssystems mit dem Fatimiden-Kalifen als vornehmlich religiösem sowie dem Sultan als weltlichem Oberhaupt beleuchtet, wobei damit verbunden auch der Aufstieg der Armenier in Ägypten, aus deren Reihen bedeutende Sultane entstammten, skizziert wird. Die Rolle der Christen und Juden im Fatimidenreich, der Gegensatz zwischen Sunniten und Ismailiten, die zahlreichen Schismen des ismailitischen Islam, speziell auch das Entstehen sowie die Relevanz der Nizariten, besser bekannt als „Assassinen“, und nicht zuletzt die christlichen Kreuzzüge ins Heilige Land sowie die Geschichte der lateinischen Kreuzfahrerstaaten im Nahen Osten zählen ebenso zu den Hauptthemen in Halms Buch.

Gegliedert ist das Werk neben der hilfreichen Einleitung in fünf große Teile, die den Herrschaftsphasen von Kalifen oder aber bedeutenden Sultanen des Fatimidenreichs gewidmet sind, sowie einem anschließenden Kapitel mit dem Titel „Ausblicke“. So behandeln die beiden ersten Teile die Regierungszeiten des armenischen Sultans Badr al-Ǧamālī (1074–1094) und seines Sohnes al-Afḍal (1094–1121), der ihm in diesem Amt nachfolgte. Dabei gibt der erste Teil unter anderem einen guten Einblick in die Entstehung des neuen Machtgefüges zwischen Kalif und Sultan, die politisch-religiöse Fragmentierung des Nahen Ostens vor der Ankunft der ersten Kreuzfahrerheere als auch in die Entstehungsgeschichte und Frühphase der berüchtigten Assassinen. Der zweite Teil wiederum beschäftigt sich über weite Strecken mit der Ankunft der Kreuzfahrerheere, dem Entstehen der lateinischen Kreuzfahrerstaaten sowie den sehr unterschiedlichen Reaktionen darauf in der islamischen Welt. Auch wird die Ausbreitung der Assassinen und deren spektakuläre Attentate auf vornehmlich muslimische, aber auch christliche Würdenträger beleuchtet. Der dritte Teil beschreibt die Regierungsphase des Kalifen al-Āmir, der nach dem Tod des Sultans al-Afḍal im Jahr 1121 die weltliche Macht wieder stärker an das Kalifat binden konnte. Niederlagen gegen die Kreuzfahrerstaaten, vor allem aber sein gewaltsamer früher Tod – vermutlich ein Assassinen-Attentat im Jahr 1130 – stürzten das Fatimidenreich jedoch in schwere Krisen. Ihm sollte nach inneren Machtkämpfen sein Vetter ʿAbd al-Mağīd als Kalif al-Ḥāfiẓ (1130–1149) nachfolgen, dessen Herrschaft im vierten Teil beschrieben wird. Der fünfte Teil des Buches zeigt das Ende der Fatimidendynastie während der Herrschaftsphasen dreier Kinderkalifen von 1149 bis 1171, gekennzeichnet durch innere Wirren und massive Interventionen aus dem syrischen Raum sowie den Kreuzfahrerstaaten. Ebenso wird dem Schicksal weiterer Familienmitglieder der Fatimiden, deren Spur sich erst nach der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts endgültig verliert, nachgegangen. Zuletzt gibt Halm in einem umfangreichen Kapitel noch Ausblicke auf die Herrschaft der den Fatimiden nachfolgenden Dynastien der Ayyubiden und Mamluken, die den sunnitischen Islam wieder zur Staatsreligion in Ägypten machen sollten, das Ende der Kreuzfahrerstaaten im Nahen Osten sowie die weitere Entwicklung der verschiedenen ismailitischen Glaubensrichtungen. Ein ebenso umfangreicher Anhang mit einer kurzen Danksagung, einer Stammtafel der fatimidischen Imame, Hinweisen zur Aussprache arabischer Begriffe und zur Umrechnung islamischer Jahresangaben, detaillierten Quellen- und umfangreichen Literaturangaben sowie einem sehr nützlichen Begriffsregister schließt das Buch ab. Insgesamt 22 Schwarz-Weiß-Abbildungen und 15 Karten bilden eine sinnvolle grafische Bereicherung.

Summa summarum gelingt es Heinz Halm in seinem Buch das letzte Jahrhundert fatimidischer Herrschaft auf eindrucksvolle Weise und auch gut leserlich darzustellen. Bereichernd sind dabei die vielen Nebenstränge, wie die Geschichte der Assassinen, die von ihm ebenso behandelt werden. Auch der Blick auf die Kreuzfahrerstaaten – jedoch aus der Sicht der islamischen Welt – sowie die Darstellung der innerislamischen Gegensätze im Nahen Osten am Vorabend und während der Kreuzzüge stellen für den deutschsprachigen Leser eine Bereicherung dar. Wenn man einen kleinen Makel an diesem Buch suchen will, dann ist dieser wohl nur dem C. H. Beck Verlag zuzuschreiben. Gerade bei Transkriptionen aus dem Arabischen übersah das Lektorat immer wieder Tippfehler, die sich in verschiedenen Schreibweisen ein und desselben Begriffes (z.B. Amū Daryā/Amu Darya, S. 336/340) oder aber auch in im halben Wort endenden Kursivierungen (z.B. ad-daʿwa, S. 333) niederschlagen. Darüber hinaus ist es auch nicht ganz verständlich, warum ein so renommierter Verlag offensichtlich keinen Wert darauf gelegt hat, die Beschriftungen einiger aus anderen Werken übernommener Abbildungen und Karten einheitlich ins Deutsche zu überführen und stattdessen die ursprünglichen Formen, darunter englische, französische sowie griechische Beschriftungen (S. 116, 212, 231, 287), beließ. Trotz dieser Kleinigkeiten ist das Buch von Heinz Halm für das Fachpublikum wohl eine Pflichtlektüre, während man es den interessierten Laien auf jeden Fall empfehlen darf.

Anmerkungen:
1 Heinz Halm, Das Reich des Mahdi. Der Aufstieg der Fatimiden 875–973, München 1991.
2 Heinz Halm, Die Kalifen von Kairo. Die Fatimiden in Ägypten 973–1074, München 2003.

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