B. Bleckmann u.a. (Hrsg.): Griechische Profanhistoriker

Cover
Titel
Griechische Profanhistoriker des fünften nachchristlichen Jahrhunderts.


Herausgeber
Bleckmann, Bruno; Stickler, Timo
Reihe
Historia. Zeitschrift für Alte Geschichte – Einzelschriften 228
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
228 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, München

Die Palette der Überlieferungszustände (spät)antiker Werke reicht bekanntermaßen von vollständig erhalten (Orosius) über teilweise (Ammianus Marcellinus) oder nur in Auszügen/ Zusammenfassungen (Paraxagoras von Athen) überliefert bis hin zu den Schriften, von denen nur durch vereinzelte Erwähnungen überhaupt bekannt ist, dass sie jemals existiert haben (prominentestes Beispiel sind die Annales des Nicomachus Flavianus). Die größten Probleme stellen sich für gewöhnlich dem Erforscher der Schriften, die nur in Auszügen erhalten sind. Bei nur durch wenige Testimonien bekannten Werken kommt man recht bald über Hypothesen nicht hinaus, während Werke, bei denen zumindest größere zusammenhängende Blöcke vollständig überliefert sind, im Allgemeinen eine solide Materialbasis von ausreichendem Umfang für weiterführende Studien bieten. Wo aber nur eine überschaubare Zahl kleiner und mittelgroßer Bruchstücke vorliegt, sieht man sich für gewöhnlich mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert. Diese Schwierigkeiten sind das Thema des zu besprechenden Bandes, der sich hauptsächlich, um den Titel zu präzisieren, mit den fragmentarischen griechischen Profanhistorikern des fünften Jahrhunderts befasst. Enthalten sind darin die meisten Beiträge einer 2010 in Düsseldorf abgehaltenen Tagung zum genannten Thema sowie ein Aufsatz von Mischa Meier, der an der Tagung selbst nicht teilnehmen konnte (S. 5).

Die Einleitung des Herausgebers Bruno Bleckmann (S. 7–18) – dass dieser verdiente Gelehrte keine eigene Studie beisteuert, ist bedauerlich – bietet eine gute Einführung in den Forschungsstand und die mit der Erforschung fragmentarischer Historiographie einhergehenden Probleme sowie eine Zusammenfassung der einzelnen Beiträge. Der teilweise in italienischer, teilweise in französischer Sprache verfasste Beitrag von Antonio Baldini und François Paschoud zum Geschichtswerk des Eunapios (S. 19–50) hat hauptsächlich Überblickscharakter. Unterteilt ist er in vier Abschnitte: Zunächst stellt Paschoud die gesicherten Fakten (etwa zur Herkunft der Fragmente, zu den vorhandenen Editionen und zur Bedeutung des Zosimos für die Rekonstruktion) zusammen, daraufhin präsentiert Baldini die Hypothesen, bei denen sich die beiden Autoren einig sind (hauptsächlich werden hierbei die Quellen des Eunapios behandelt). In den beiden übrigen Abschnitten vertreten beide Autoren die Hypothesen, von denen der jeweils andere nicht überzeugt ist. Uneinigkeit besteht in den folgenden beiden Punkten: Baldini nimmt an, dass die nur durch Photios bekannte erste Ausgabe des eunapianischen Geschichtswerkes bis zum Jahr 378 reichte, während Paschoud noch die Zeit des Theodosius I. bis 395 behandelt sehen will. Die auf Eunapios zurückgeführte Geschichtskonzeption bei Zosimos, wonach der Zerfall des römischen Reiches sich in etwa derselben Dauer vollzogen hat wie sein 53 Jahre dauernder Aufstieg, bezieht Baldini auf die Jahre von 326 bis 378 (von der Alleinherrschaft Konstantins und seiner nach Zosimos späten Hinwendung zum Christentum bis zur Schlacht von Adrianopel), während Paschoud den Zeitraum von 363 bis 410 (vom Tod Julians bis zur Eroberung Roms durch Alarich) annimmt.

Ebenfalls mit Eunapios, allerdings hauptsächlich mit den Philosophenviten, befasst sich der reichhaltige und gut recherchierte Beitrag von Udo Hartmann (S. 51–84). Dieser weist nach, dass Eunapios trotz seines pessimistischen Blickes eine grundsätzlich positive Sicht auf den historischen Prozess aufweist. Das wohl durch die zeitgenössischen neuplatonischen Diskussionen beeinflusste Konzept einer allgegenwärtigen göttlichen Vorsehung (prónoia), die Freunde der heidnischen Götter belohne und die Verfolger der Philosophen bestrafe, vermittle die positive Botschaft, dass die schlechten Zustände unter den christlichen Kaisern nicht dauerhaft sein werden. Die beiden Werke des Eunapios, das Geschichtswerk und die Philosophenviten, sieht Hartmann als komplementäre Schriften an: Das Geschichtswerk ist auf das Versagen der christlichen Kaiser und ihre Bestrafung konzentriert, während die Schilderungen des Lebens heidnischer Philosophen ein positives Gegenbild bieten.

Der Beitrag von Timo Stickler über das Geschichtswerk des Olympiodor von Theben (S. 85–102) demonstriert hervorragend die eingangs geschilderten Probleme fragmentarischer Geschichtswerke.1 So weist Stickler darauf hin, dass die Zusammenfassung dieses Werkes in der Bibliothek des Photios kein an den Hauptthemen orientiertes Exzerpt ist, sondern dass Photios Details hervorhob, die ihm persönlich unbekannt waren, ohne dass diese eine größere Bedeutung bei Olympiodor haben müssen. Hinzu komme, dass die negative Beurteilung durch Photios nicht antike, sondern byzantinische Maßstäbe offenbare. Ein spezielleres Thema behandelt Dariusz Brodka, der sich mit der Darstellung des Feldzuges gegen den Vandalenkönig Geiserich im Jahre 468 auseinandersetzt (S. 103–120). Er rekonstruiert den Bericht des Priskos aus dessen späteren Benutzern (als umfangreichsten Textzeugen nennt er Prokopios) und kommt auf Basis dessen zu dem Schluss, dass der Bericht des Priskos über diese Militäroperation detailliert, umfangreich und gut informiert gewesen ist. Hans-Ulrich Wiemer setzt sich mit zwei (bei Photios nicht überlieferten) Exzerpten aus dem Historiker Malchos über Verhandlungen mit dem Vandalenreich sowie dem Exzerpt zu den Ereignissen nach der Absetzung des Romulus Augustulus auseinander. Anhand des ersten Fragmentes zeigt Wiemer, dass Malchos das historische Geschehen stark an dem Charakter der einzelnen Personen festmacht, während er gleichzeitig keine Details über die Bedingungen des dort genannten Vertrages mitteilt. Auch die religiöse Dimension von Konflikten scheine bei Malchos wenig Beachtung gefunden zu haben. Wiemer charakterisiert Malchos insgesamt als Autor, dessen politische Urteile weder von besonderer Kompetenz noch von Originalität zeugen. Besonders erfreulich ist der Anhang, in dem Wiemer eine Übersetzung der beiden Testimonien sowie der drei diskutierten Exzerpte bietet, die er an strittigen Stellen detailliert begründet.

Gleich zwei Aufsätze befassen sich mit dem nur aus zwei Fragmenten bekannten Geschichtswerk des Kandidos. Der Beitrag von Hartwin Brandt (S. 161–170) ist hierbei als nüchtern und direkt zu charakterisieren. Er bietet einen kurzen Überblick zu Leben und Werk des Autors und befasst sich mit den Versuchen, diesem Werk weitere Fragmente zuzuweisen, die er ausnahmslos ablehnt. Dem Urteil des Photios, dass Kandidos eine uneinheitliche Darstellung geboten habe, stimmt Brandt vorsichtig zu. Erheblich weiter greift die Studie von Mischa Meier (S. 171–193) aus. Im Gegensatz zu seinem auf die wenigen direkt mit Autor und Werk verbundenen Aspekte konzentrierten Vorgängerbeitrag geht es Meier um die Einordnung des Werkes des Kandidos in den Kontext seiner Zeit. Als Ziel dieses Geschichtswerkes sieht Meier die Verteidigung und Rechtfertigung der von Anastasios I. als geschlossene Gruppe attackierten Isaurier – ein Diskurs, der die Isaurier als Gruppe jedoch erst erschuf. Das negative Urteil des Photios erklärt Meier (neben den Problemen, die Photios mit der Klassifizierung des Werkes gehabt zu haben scheint) plausibel damit, dass Photios die Kaiser der sogenannten Syrischen Dynastie, deren Herkunft in Isaurien verortet wurde, als Urheber des Ikonoklasmus verachtete. In das Urteil des Photios floss somit auch die Tatsache ein, dass die Bezeichnung Isaurier in seiner Zeit als Schimpfwort galt.

Etwas unerwartet stößt man auf Henning Börms Aufsatz zu dem Chronisten Hydatius (S. 195–214). Unerwartet aus zwei Gründen: Erstens ist Hydatius ein lateinischer Autor des Westens, zweitens ist der Überlieferungszustand seiner Chronik nicht unbedingt das, was man fragmentarisch nennen könnte (anderenfalls wäre etwa auch Ammianus als nur fragmentarisch erhaltener Historiker zu bezeichnen). Börm diskutiert hierin die problematischen Bedingungen für die Abfassung der Chronik in Form der geographischen Randlage Spaniens, die Hydatius dennoch nicht daran gehindert haben, zahlreiche und oft wertvolle Informationen in sein Werk einzuarbeiten. Daneben arbeitet er heraus, wie Hydatius sich als Teil des römischen Reiches sah und dass seine Chronik ein Indiz für die Hypothese bildet, dass die Zeitgenossen den Ereignissen des Jahres 476 keine große Bedeutung beimaßen. Der letzte, von Philippe Blaudeau stammende Beitrag behandelt mehrere fragmentarisch erhaltene Kirchenhistoriker, insbesondere Hesychios von Jerusalem (S. 215–228). Mit seiner präzisen Rekonstruktion der Umstände der Abfassung dieses Werkes trägt Blaudeau nicht nur zur Kenntnis über diesen konkreten Autor bei, sondern zeigt auch die Bedeutung heterodoxer Autoren für den Historiker.

Insgesamt also ein erfreulicher Band, an dem sich nicht viel kritisieren lässt. Die fachliche und sprachliche Qualität der einzelnen Aufsätze ist eine hohe.2 Das Problem nicht weniger Sammelbände, dass man vor einer festschriftartigen Ansammlung vermischter Beiträge unter einem wenig aussagekräftigen Titel steht, wird erfolgreich vermieden. Und auch wenn es sich primär um einen Forschungsbeitrag handelt, so besitzt der Band auch Handbuchqualitäten für sein behandeltes Thema. Ein aufgrund seiner Seltenheit interessantes Detail ist die Tatsache, dass sich kein einziger Beitrag in englischer Sprache findet.

Allerdings hätte man gerne noch erfahren, um welche Beiträge es sich handelt, die „von Anfang an nicht für die Publikation vorgesehen waren oder an anderer Stelle erscheinen sollen“ (S. 5); insbesondere Letztere wären von Interesse gewesen. Auch das Fehlen jeglicher Art von Register fällt nicht unbedingt positiv auf. Nennenswerten mindernden Einfluss auf den hohen Wert dieses Bandes aber haben diese Details natürlich nicht.3

Anmerkungen:
1 Siehe auch S. 100: „Das Dilemma, vor dem wir stehen, ist nicht unbedingt olympiodorspezifisch, sondern typisch für viele fragmentarisch erhaltene Geschichtsschreiber des 5. Jahrhunderts n. Chr.“
2 Auch die Anzahl der Druckfehler und kleineren Versehen ist ausgesprochen gering. Neben „Dumberton Oak“ (S. 155, statt richtig „Dumbarton Oaks“) fanden sich lediglich zwei fehlerhafte Worttrennungen: S. 136 steht durch die fehlende Trennung „Entgegen kommen“, während S. 144 in einer einzigen Zeile (mit Trennstrichen) „Ara-bien-Exkurs“ zu finden ist.
3 Siehe auch die Rezension von Laura Mecella, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: <http://www.sehepunkte.de
/2014/10/25183.html> (12.11.2014).

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