Y. Vanden Berghe: Der Kalte Krieg 1917-1991

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Titel
Der Kalte Krieg 1917-1991.


Autor(en)
Vanden Berghe, Yvan
Erschienen
Anzahl Seiten
413 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

In der internationalen zeitgeschichtlichen Forschung hat sich die Bezeichnung "Kalter Krieg" für die vom Zentralgeschehen des Ost-West-Konflikts bestimmte Epoche vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und der Vereinigung Deutschlands durchgesetzt. In der Zeit vorher wie nachher dominierten andere Gesichtspunkte die innen- und außenpolitischen Beziehungen und Entwicklungen. Der Autor der vorliegenden Darstellung hat sich demgegenüber für eine Periodisierung entschieden, welche die Vorgeschichte seit der Russischen Revolution von 1917 und der Machtergreifung von Lenins Bolschewiki einbezieht. Dabei kann er sich darauf berufen, dass die kommunistische Herausforderung der alten Ordnung kein Novum von 1944/45 war, sondern die Politik der Sowjetunion und ihrer Führer von Anbeginn an charakterisierte. Gleichwohl bleibt einzuwenden, dass der UdSSR bis zu ihrem Sieg im "Großen Vaterländischen Krieg" gegen Hitlers Deutschland die Macht fehlte, auf das politische Gesamtgeschehen in der Welt entscheidend einzuwirken.

Das Werk ist die Arbeit eines flämischen Journalisten, die aus Fernsehsendungen über das Thema hervorgegangen ist. Im Literaturverzeichnis sind viele Buchveröffentlichungen - durchweg Sekundärquellen oder Memoiren - angegeben. Diese Publikationen wurden in der Darstellung augenscheinlich nur zu einem kleinen Teil verwendet. Zudem hat der Autor nur aus einer sehr begrenzten und einseitigen Auswahl geschöpft. Von den seit Anfang der neunziger Jahre bekannt gewordenen Dokumenten und den darauf gestützten russischen Arbeiten, die eine enorme Erweiterung unserer Kenntnis der sowjetischen Innenvorgänge erbracht haben, hat er nicht die mindeste Ahnung.

Aber auch westliche Quellen, die ihm nicht ins Konzept passen, werden einfach ignoriert. Die Darstellung des Geschehens ist daher durchweg oberflächlich und mit ungenauen oder sogar falschen Angaben durchsetzt. Im Krieg gegen Hitler habe Stalin allein das Ziel verfolgt, eine Wiederholung des deutschen Angriffs zu verhindern. Demzufolge habe er die Schaffung eines ostmitteleuropäischen cordon sanitaire als "erste Verteidigungslinie gegen den preußischen Militarismus" im Auge gehabt. Dass er bereits im Dezember 1941 gegenüber der britischen Seite weitergehende Ansprüche anmeldete, ist dem Autor offenbar ebenso wenig bekannt wie die Tatsache, dass die treibende Kraft der deutschen Aggression der Österreicher Hitler war, während die preußisch geprägte Militärführung 1938 geplant hatte, den Krieg mit der Waffe in der Hand zu verhindern (was im folgenden Jahr auf Grund personeller Veränderungen nicht mehr möglich war). Der Verfasser glaubt auch, dass Stalin 1944 an einer Besetzung Finnlands grundsätzlich nicht interessiert war. Dem Waffenstillstand lag jedoch nachweislich das Motiv zugrunde, die Finnen so rasch wie möglich aus der Front der Gegner herauszunehmen und sie zugleich für den Kampf gegen die deutschen Truppen im Nordabschnitt zu gewinnen, damit die sowjetischen Streitkräfte für den Vorstoß gegen Berlin frei wurden. Das wollte der Kremlführer auf jeden Fall vor den Westmächten erreichen, um von dort aus entscheidenden Einfluss auf das besetzte Deutschland ausüben zu können.

Zum geschichtlichen Halbwissen kommt eine eigenwillige Interpretation des Geschehens, die selbst radikale Vertreter der revisionistischen Denkschule in den sechziger und siebziger Jahren verblassen lässt. Die Ergebnisse des seitherigen historischen Diskurses, der auch sie zu Korrekturen veranlasst hat, bleiben unberücksichtigt. Der Autor betont zwar immer wieder seine Ablehnung gegenüber der kommunistischen Diktatur und dem stalinistischen Terror, doch wenn es zum Thema, zu den Auseinandersetzungen zwischen Ost und West, kommt, übernimmt er entweder die Argumente der sowjetischen Seite oder erfindet eigene Rechtfertigungen für die Politik der UdSSR.

Mit dem Ribbentrop-Molotow-Pakt von 1939, der Hitler von der Sorge des Zweifrontenkrieges befreite (der ein Albtraum der deutschen Seite war) und ihm, mit rüstungswichtigen Lieferungen verbunden, den Weg in den Zweiten Weltkrieg öffnete (der Stalins seit langem bekundetem Desiderat einer wechselseitigen Selbstvernichtung der "imperialistischen" Mächte entsprach), folgte der sowjetische Führer demnach nur seinem "Selbsterhaltungstrieb". Dass sich der Kreml nach dem Sieg von 1945 um Einfluss auf ganz Deutschland bemühte, wie etwa die Forderung nach Aufrichtung einer Vier-Mächte-Kontrolle über das wirtschaftliche Herzland der Westzonen, das Ruhrgebiet, erkennen lässt, wird darauf zurückgeführt, dass diese Machtausdehnung allein deshalb notwendig gewesen sei, um die verlangten Reparationen in Höhe von zehn Milliarden Dollar eintreiben zu können. Die Tatsache, dass die UdSSR aus ihrer Zone sehr viel mehr herausholte, bleibt bei dieser Darstellung unberücksichtigt.

Selbstverständlich erscheinen die Amerikaner nach Roosevelts Ableben - und ebenso die Briten - als von vornherein von heftigem Antisowjetismus beseelt. Natürlich gab es auch in den USA Politiker, die gegenüber dem Kreml misstrauisch waren oder gar frühzeitig eine Gegenposition zu ihm bezogen, aber, wie zahllose längst frei zugängliche Zeugnisse aus amerikanischen und mittlerweile auch russischen Archiven belegen, die herrschende Linie war das zunächst keineswegs. Erst im Laufe eines mehrjährigen Prozesses, der in verschiedenen Werken detailliert nachgezeichnet worden ist, setzte sich die Auffassung durch, dass Kompromiss und Einigung mit Moskau nicht möglich seien, wenn man nicht eine Entwicklung zulassen wolle, die ganz Kontinentaleuropa in sowjetische Hand fallen lassen werde. Auch bezweifelt der Verfasser trotz dem gegenteiligen Zeugnis zahlloser sowjetischer Dokumente, dass "Stalin bereits im Zeitraum 1944/45 die Absicht hatte, die osteuropäischen Länder ‚gleichzuschalten'." Es sehe vielmehr "so aus, als habe er sie anfangs auf eine vage Art ‚befreundet' und innerhalb seines Einflussbereichs halten wollen."

Chruschtschow brach die Berlin-Krise, die mehr als vier Jahre lang immer wieder die Gefahr eines nuklearen Weltkrieges am Horizont auftauchen ließ, dem Buch zufolge deswegen vom Zaum, um ein diplomatisches Gespräch über eine von ihm befürchtete Stationierung von Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik zu erzwingen. Bezeichnend ist, dass die Entschärfung der Krise dem britischen Premierminister Macmillan zugeschrieben wird. Dieser wurde zwar, wie übereinstimmend aus den russischen wie westlichen Akten hervorgeht, bei seinem diesbezüglichen UdSSR-Besuch geradezu brüsk behandelt, aber in der Sicht des Autors kommt ihm das Verdienst der Nachgiebigkeit zu, die angeblich allein zur Verständigung führen konnte. In Wirklichkeit freilich respektierte der sowjetische Führer Festigkeit und Macht der USA. Während der Wiener Gespräche mit Kennedy am 3. und 4. Juni 1961 fand Chruschtschow "kein Gehör" mit seinem – vom Verfasser offensichtlich für vernünftig und berechtigt gehaltenen - Verlangen nach Abschluss von Friedensverträgen mit beiden deutschen Staaten und Westberlin zu einer freien Stadt ohne militärische Besatzung zu machen. Worauf eine derartige Regelung hinauslaufen sollte, wird dem Leser vorenthalten. Ihm wird lediglich erklärt, der amerikanische Präsident habe befürchtet, die Stadt könnte "langfristig von der DDR beansprucht werden". Auch im Blick auf die Beziehungen unter den Warschauer-Pakt-Staaten hält der Verfasser der sowjetischen Seite die Stange. Als im Verlauf des Prager Frühlings von 1968 der tschechoslowakische Parteichef Dubcek den gestellten Forderungen nicht nachkam, "musste" der Kreml zum Mittel der militärischen Intervention greifen.

Die angeführten Beispiele sind repräsentativ für die Darstellung der Fakten und die Deutung der Zusammenhänge. Es ist bedauerlich, dass dieses erste Werk über das Gesamtthema des Kalten Krieges als so unzulänglich gelten muss, dass es trotz ansprechender Bebilderung in keiner Weise empfohlen werden kann.

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