C. Jørgensen u.a. (Hrsg.): Industrial Heritage in Denmark

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Titel
Industrial Heritage in Denmark. Landscape, Environments and Historical Archaeology


Herausgeber
Jørgensen, Caspar; Pedersen, Morten
Erschienen
Anzahl Seiten
285 S., 106 Abb., 37 Karten
Preis
€ 42,46
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jelena Steigerwald, Graduiertenschule „Human Development in Landscapes“, Universität Kiel

Das Sammelwerk „Industrial Heritage in Denmark“ bietet einen Überblick zur Geschichte der dänischen Industriekultur von 1840 bis 1970. Es basiert auf Beiträgen die Großteils bereits 2009 auf Dänisch erschienen sind1 und geht auf ein Programm der dänischen Denkmalschutzbehörde (Kulturarvstyrelsen) von 2003 zurück, das sich von 2004–2007 dem Kulturerbe der Industriegesellschaft widmete.

Die Beiträge decken neben einem Artikel über industrielle Gebäude und Landschaften in Dänemark von 1770–1970 die Geschichte der wichtigen Industrien ab: die Häfen, die Zuckerrübenfabriken und die Betonfabriken. Ein zweiter Aspekt des Buches ist der Bezug zum heutigen Denkmalschutz. Drei Beiträge beschäftigen sich mit der Entstehung von industriellen Denkmälern sowie den Arbeitsergebnissen des dänischen Denkmalschutzes. Im Mittelpunkt des Sammelbandes steht die materielle Kultur der Industriegesellschaft; sein Ziel ist es, die internationale Diskussion in diesem Forschungsfeld zu intensivieren.

Aus der Diskussion innerhalb des Faches in den letzten Jahren ist ersichtlich, dass die Frage, was unter „Industrie“ und was unter „Archäologie“ verstanden wird, wichtige Eckpunkte eines Forschungsprojektes in der industriellen Archäologie darstellen. Die Herausgeber reißen diese Thematik mit einem kurzen Forschungsüberblick zur industriellen Archäologie in der Einleitung an. Darin wird deutlich, dass dieses Sammelwerk nicht den Anspruch erhebt, theoretische Maßstäbe innerhalb der dänischen Forschung zu setzen, sondern lediglich die Forschungsentwicklungen abzubilden und zusammenzufassen. Die gewählte Zeitspanne – 1840–1970 – macht deutlich, dass unter Industrie im engeren Sinne die Phase der Industrialisierung verstanden wird.

In der Einleitung widerlegen Caspar Jørgensen und Morten Pedersen das noch heute vorherrschende Selbstbild, Dänemark sei vor allem ein Agrar-, aber kein Industrieland gewesen. Allerdings hatte dieses Selbstbild zur Folge, dass das Interesse an der Industrielandschaft lange Zeit gering war. Dieses Selbstbild greift Caspar Jørgensen auch in einem folgenden Überblickartikel auf. Darin stellt er den Prozess der Industrialisierung in Dänemark dar und welchen Einfluss dieser auf die Entwicklung der Industrielandschaft hatte. Damit legt er die Grundlage für die weiteren Beiträge. Bemerkenswert ist hier die Erkenntnis, dass das Bild des Agrarlandes Dänemark gestützt wird durch verhältnismäßig kleine Betriebe, die sich der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte widmen und deswegen nicht als Industrie wahrgenommen werden. Außerdem fehlen in Dänemark bis auf Kreide und Ton größere Rohstoffvorkommen, so dass sich die Industrie zunächst in Städten ansiedelte und damit weniger auffällig war.

Daran anschließend liefert erneut Caspar Jørgensen mit dem Beitrag „25 fantastic industries“ eine chronologische Kurzbeschreibung von unter Denkmalschutz stehenden Industriegebäuden in Dänemark. Darunter fallen Gebäudekomplexe wie die bekannte Brauerei Carlsberg in Kopenhagen, aber auch eine kleine Meierei auf dem Lande, die stellvertretend für die Industrialisierung in der Landwirtschaft steht. Nach einem kurzen Abriss der Bau- und Nutzungsgeschichte der Industriekomplexe wird jeweils zusammengefasst, warum diese zum dänischen Denkmal erklärt wurden. Kartenskizzen und Fotos bebildern diesen Teil, allerdings fehlen Quellen- und Literaturangaben. Die Texte sind zumeist wortgleich auf der Internetseite „25 fantastische Industrien“ der dänischen Kulturbehörde zu finden.2 Die Internetseite bietet zudem weitere Fotos und in der dänischsprachigen Version auch weitere Informationen wie z.B. Auszüge aus Interviews mit Angestellten und Leitungspersonal unter der Rubrik Arbeitsleben,3 weiterführende Literaturangaben oder Tourenvorschläge.4

Die darauffolgenden Beiträge beschäftigen sich mit drei ausgesuchten Industrien und gehen auf Forschungen an dänischen Museen zurück.

René Schrøder Christensens Artikel über die dänischen Häfen basiert auf einem Forschungsprojekt des Stadtmuseums in Odense. In diesem Projekt wurden 75 Häfen, die die Kulturbehörde ausgewählt hatte, auf ihre Baugeschichte hin untersucht sowie Detailstudien an sieben Häfen durchgeführt. Der Forschungsansatz, die Kategorien sowie die Ergebnisse der im Jahre 2008 daraus entstandenen Publikation5 werden hier in Kurzform vorgestellt. Der Doktorand an der Syddansk Universitet und Kurator im Eisenbahnmuseum Odense teilt die dänischen Regionalhäfen zwischen 1840 und 1970 in vier Entwicklungsphasen ein. Die Phasen spiegeln jeweils die baulichen Veränderungen im Kontext der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung wider. Auf die Frage, welche Häfen unter Denkmalschutz stehen und wie das industrielle Erbe geschützt wird, geht Schrøder Christensen allerdings nicht ein. Wer sich dafür interessiert, muss auf die obenerwähnte Publikation zurückgreifen.
Mit den neun dänischen Zuckerrübenfabriken, die zwischen 1872 bis 1912 entstanden, beschäftigt sich der Beitrag der Historikerin und Mitarbeiterin im Museum Lolland-Falster, Hanne Christensen. Sie erklärt, wie die Zuckerherstellung funktioniert, zeigt auf, wie diese Technologie von Deutschland aus nach Dänemark transferiert wurde und welche wirtschaftlichen und ökonomischen Strukturen die Entwicklung beeinflussten. Ihr gelingt es, sowohl die generelle Entwicklung im europäischen Kontext zu berücksichtigen wie auch anhand von einzelnen Beispielen auf die führenden Personen und die Schwierigkeiten in der jeweiligen Region bei der Einführung einer neuen Produktionsweise einzugehen. Anhand der organisatorischen und technologischen Entwicklung sowie der architektonischen Ausprägung unterscheidet sie dabei zwischen den lokalen Initiativen von Landbesitzern und der nationalen Kooperation „De Danske Sukkerfabrikker A/S“. Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, dem sei ihr Buch auf Dänisch empfohlen.6 Obwohl Christensen kurz erwähnt, dass es noch zwei funktionierende Zuckerrübenfabriken in Nakskov auf Lolland und in Nykøbing auf Falster gibt, fehlt auch hier der Hinweis auf den Denkmalschutz. Zumindest ein Querverweis zu dem Kurzbetrag über die unter Denkmalschutz stehende Zuckerrübenraffinerie „Lolland“ im Beitrag von Jørgensen wäre wünschenswert gewesen.

Der Beitrag von Morten Pedersen, Post-Doc an der Syddansk Universitet, über die 23 dänischen Zementfabriken von 1890 bis 1930 erklärt ausgehend von den technologischen Innovationen die Veränderungen der Gebäude. Von der dänischen Zementindustrie gingen in dieser Phase technologische Entwicklungen aus, die weltweite Auswirkungen hatten. Pedersen zeigt am Beispiel des Wechsels zu horizontalen Drehrohröfen und Rohrmühlen auf, dass die Versuche, den Produktionsprozess zu optimieren, einher gingen mit einem großen Einfluss der Ingenieure auf die Struktur und Gestaltung der Gebäude. Möglichst flexibel nutzbare und erweiterbare Hallen traten an die Stelle von hochspezialisierten Gebäuden. Diese Flexibilität wird auch als Planungsmethode der Ingenieure analysiert, die dazu diente, auf zukünftige Veränderungen möglichst schnell reagieren zu können. Pedersens Beitrag bietet die Zusammenfassung seiner Forschungen zu diesem Thema, die er als Kurator am Museum Nordjylland durchführte.7

Die letzten zwei Beiträge legen den Fokus auf das industrielle Kulturerbe. Der Artikel über die Wahrnehmung von industriellen Komplexen als Denkmäler von Anna Storm, Post-Doc am humangeographischen Institut der Universität Stockholm, basiert auf ihrer Doktorarbeit im Bereich Technikgeschichte.8 Sie unterscheidet anhand von drei Beispielen aus Schweden, England und Deutschland, die den Zeitraum von 1960 bis in die 1980er-Jahre abdecken, zwischen einer zunächst vorherrschenden mehrdeutigen Wahrnehmung, die dann von einer wertschätzenden Perzeption der Industrieruinen abgelöst wird. Außerdem geht sie auf die Akteure ein, die diese Wahrnehmungsveränderung begünstigten, und stellt diese Entwicklung in den Kontext der Gentrifizierung. Sie weist an zwei Stellen auch auf dänische Beispiele hin, allerdings steht in diesem Beitrag der europäische Bezug im Vordergrund.

Der abschließende Artikel von Caspar Jørgensen basiert auf einem überarbeiteten Statusbericht des Denkmalpflegeamtes von 2003 und soll die Aktivitäten der letzten Dekaden sowie die Ausbildung des Interesses am industriellen Kulturerbe beleuchten. Als Grundlage dient ihm das Interesse an Technik, dass er über die Ausstellungsgegenstände in Sammlungen bis 1600 zurückverfolgt, sowie Forschungen zur Industriekultur, die an Museen stattgefunden haben. Statt dieses Rückgriffes in die Frühe Neuzeit, der nicht zur bisherigen Verwendung des Begriffes Industrie passt, wäre es sinnvoll gewesen, die erwähnten Forschungen und Unterschutzstellungen der letzten Jahre in einer Tabelle darzustellen und mit einem thematisch strukturierten Literaturverweis zu versehen, um diese Forschungsleistung würdigen zu können und einen leichteren thematischen Zugriff auf die einzelnen Projekte zu bieten.

Zusammenfassend bietet diese englischsprachige Publikation einen Einstieg ins Thema, für eine tiefergehende fachliche Auseinandersetzung sind allerdings die zumeist dänischen Originalwerke vorzuziehen, die sich über die Literaturangaben hinter den einzelnen Beiträgen finden lassen. Durch Übersichtskarten, Bilder, Bauzeichnungen und verständliche Statistiken ist das Sammelwerk sehr ansprechend gestaltet und damit auch für interessierte Laien geeignet. Für das angestrebte internationale Fachpublikum bietet der Band Literatur- und Quellenverzeichnisse hinter den einzelnen fachlich fundierten Artikeln. Wer hier allerdings Beiträge zum Umgang mit der dänischen Industriekultur erwartet, wird enttäuscht sein. Es werden weder Bauuntersuchungen und archäologische Ausgrabungsergebnisse präsentiert, noch theoretische Konzepte zum Thema Industrial Heritage oder bauliche Erhaltungsmaßnahmen diskutiert. Der Vorteil dieser Publikation liegt in seiner Zusammenfassung verschiedener Forschungsprojekte, die diese für ein breiteres nicht dänisch sprachiges Publikum zugänglich machen.

Anmerkungen:
1 Per Vingaard Klüver (Hrsg.), Industrimiljøer, Den jyske historiker. historieteoretisk tidsskrift 121–122 (2009).
2 Kulturstyrelsen: 25fantastiske industrier. Home, <http://www.kulturarv.dk/25fantastiske/english/home/> (31.07.2014).
3 Kulturstyrelsen: 25fantastiske industrier. Arbejdsliv, <http://www.kulturarv.dk/25fantastiske/arbejdsliv/> (31.07.2014).
4 Kulturstyrelsen: 25fantastiske industrier. Ud paa tur, <http://www.kulturarv.dk/25fantastiske/ud-paa-tur/> (31.07.2014).
5 Henrik Harnow u.a. (Hrsg.), Industrisamfundets havne 1840–1970. Bygninger, miljøer og bevaringsværdier på danske havne, Kopenhagen 2008.
6 Hanne Christensen, Dansk Industri. Sukkerfabrikkerne. Roer i lange baner, Nykøbing Falster 2007.
7 Morten Pedersen, De danske cementfabrikkers bebyggelsesmiljø – forandringer i en branches industrielle miljø ved den anden industrielle revolution, Odense 2008.
8 Anna Storm, Hope and rust. Reinterpreting the industrial place in the late 20th century, Stockholm 2008.

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