M. Benesch: Die Wiener Christlichsoziale Partei 1910–1934

Titel
Die Wiener Christlichsoziale Partei 1910–1934. Eine Geschichte der Zerrissenheit in Zeiten des Umbruchs


Autor(en)
Benesch, Markus
Erschienen
Anzahl Seiten
420 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Gröller

Infolge des Niedergangs des Liberalismus, der Erweiterung des Wahlrechts und einiger weiterer Faktoren konnten sich auf dem Gebiet der Österreichisch-Ungarischen Monarchie die großen Massenparteien der Christlichsozialen sowie der Sozialdemokratie entwickeln. Diese Parteien und ihre Teilorganisationen waren es auch, die fortan die politische Geschichte Österreichs über weite Strecken prägten und dies – in eingeschränkterem Ausmaß – nach wie vor tun. Von besonderem Interesse sind dabei ihre Entwicklungen und Wechselwirkungen auf prestigeträchtigem, engem Raum, nämlich in der Reichshaupt- und Residenz-, respektive der späteren Bundeshauptstadt Wien.

Während die Geschichte der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) von zahlreichen Historikerinnen/Historikern ausführlich und umfangreich (und partiell recht subjektiv) dokumentiert wurde, gibt es diesbezüglich von Seiten der Christlichsozialen Partei (CSP) meines Erachtens durchaus einen gewissen Nachholbedarf. Die Gründe für den unterschiedlichen Grad der Aufarbeitung der jeweiligen Parteigeschichte sind vielfältig. Ein Faktor mag sicherlich die Neugründung der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) nach dem Zweiten Weltkrieg sein, die sich dadurch von ihrer Vorgängerorganisation, der CSP strikt abgrenzte. Im Gegensatz dazu hatte die Sozialdemokratische bzw. dann zwischenzeitlich Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) „lediglich“ die Unterbrechung durch den Ständestaat und die NS-Diktatur zu überwinden, konnte sich aber ansonsten auf eine Kontinuität der Parteigeschichte stützen. Eine zusätzliche Herausforderung bei der Aufarbeitung der CSP-Historie bildet sicherlich der Umstand, dass beträchtliche Bestände des CSP-Archivs in Gabelsberger-Kurzschrift verfasst wurden und so die Zugänglichkeit nur einem kleinen Personenkreis gegeben ist. Nicht zuletzt ist es aber auch die Person des übermächtigen Parteivorsitzenden Dr. Karl Lueger, der durch seine unumschränkte, alles auf sich konzentrierende Position und den ihn umgebenden Kult1 die übrige Parteigeschichte (auch posthum) überdeckte, was auch durch die vergleichsweise zahlreichen Lueger-Biographien bzw. die wenigen Darstellungen der CSP verdeutlicht wird.

Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass sich nun mit Markus Benesch ein Historiker gefunden hat, der sich durch seine Forschungen an die Ausgleichung dieses Defizits gemacht hat. Benesch, selbst als Bezirksrat für die ÖVP in Wien-Landstraße tätig, hat sich mit der Materie im Zuge seiner Dissertation auseinandergesetzt und diese Ergebnisse nun auch in Buchform einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seine Studie beschäftigt sich eingehend mit der Geschichte der Wiener CSP in der Zeit nach dem Tod Luegers (1910) bis zur Auflösung der Partei (1934). Diese Zeitspanne von 24 Jahren unterteilt der Autor in drei Phasen: Die erste Phase, die er zwischen 1910 und 1919 ansetzt, beschreibt er als eine des Niedergangs. Die Gründe für denselben sind, neben dem Tod der charismatischen Führungspersönlichkeit Lueger, das Fehlen von Parteistrukturen sowie die internen Streitigkeiten um den Parteivorsitz und das Amt des Wiener Bürgermeisters. Dies mündete unter anderem in das Debakel der Reichsratswahl 1911. Doch während die Konflikte innerparteilich anhielten, wurden diese für die außenstehende Öffentlichkeit durch die Ereignisse des Ersten Weltkriegs und die damit einhergehende immer schwieriger werdende Versorgungslage der Stadt Wien „überdeckt“. Durch das kriegsbedingte „Einfrieren“ demokratischer Prozesse blieb der Partei dadurch zunächst auch ein absehbares Wahldebakel und der Verlust der Bürgermeisterschaft erspart. All dies traf dann letztendlich mit Verzögerung nach Ende des Krieges, jedoch mit unverminderter Vehemenz ein, womit Benesch diese erste Phase des Niedergangs als abgeschlossen erachtet.

Es folgt die Darstellung der Periode von 1919 bis 1929, ein Zeitabschnitt, in dem sich die Wiener CSP konsolidieren und bei verschiedenen Wahlen moderate Zugewinne erzielen konnte. In einem ersten Abschnitt, der die Jahre von 1919 bis 1923 behandelt, stellt der Autor zunächst die Protagonistinnen/Protagonisten seitens der CSP sowie der SDAP in Wien gegenüber. Anschließend skizziert Benesch den (Wieder-)Aufbau der christlichsozialen Wiener Landesgruppe, die ihre Strukturen zunächst der veränderten Situation als kleine Oppositionspartei anzupassen hatte. Eine weitere Adaptierung machte in der Folge die Trennung Wiens von Niederösterreich und die damit einhergehende Dominanz des „Roten Wien“ notwendig. Hinzu kamen auch die bundespolitischen Auswirkungen auf Wien, wie beispielsweise das Ergebnis der Wahlen von 1920 bzw. 1923 sowie das Genfer Sanierungswerk unter der Federführung Ignaz Seipels.

Den zweiten Teil der Konsolidierungsphase setzt Benesch zwischen 1924 bis 1927 an, wobei er die Vorgänge auf den Parteitagen von 1924 und 1926 besonders ausführlich schildert, ehe er mit der Skizzierung des für die österreichische Geschichte so folgeschweren Jahres 1927 beginnt und sich in diesem Abschnitt zunächst auf die Wahlen konzentriert. Die Schilderung der Ereignisse rund um den Wiener Justizpalastbrand dominieren dann den letzten Teil der Konsolidierungsphase von 1927 bis 1929, der zudem eine detaillierte Erörterung des Parteitages 1928 sowie die politische Kritik der Wiener CSP an der Kommunalpolitik der SDAP beinhaltet.

Es folgt die Darstellung der letzten Phase der CSP vor ihrer Auflösung. Folglich ist es eine des erneuten Abstiegs, der durch die Weltwirtschaftskrise und das Auftreten radikaler politischer Bewegungen eingeläutet wird. Behandelt werden dabei neben der Verfassungsreform von 1929 und dem Parteitag 1930 auch die Wahlen von 1930 und 1932. Die verbleibende Zeit bis 1934, von Benesch als „weiterer Niedergang“ tituliert, beinhalten die Darstellung der letzten Parteitage, die Außerkraftsetzung des Parlaments sowie die letzten Widerstände seitens der Wiener CSP (Vaugoin, Kunschak) gegen ihre Auflösung.

Beschlossen wird das Buch mit einem weiteren äußerst informativen Abschnitt, welcher einige statistische Betrachtungen zur Entwicklung der Wiener CSP sowie ein Schlusswort beinhaltet. Letzteres verdeutlicht nochmals, was Benesch bereits in seiner Dissertation konstatiert hat, nämlich, „[…] dass die Geschichte der Wiener Christlichsozialen Partei eine Geschichte der Widersprüche, der Schwierigkeiten aber auch der kleinen Erfolge ist. Wien war in dieser Zeit für die Christlichsozialen ein sehr schwieriges Pflaster.“2

Resümierend lässt sich das Werk Markus Beneschs als sehr anschauliche Erörterung des Themas charakterisieren, wodurch er sicherlich eine Lücke in der Forschungslandschaft schließt. Großes Verdienst erwirbt er sich vor allem durch die ausführliche Archivrecherche und der Wiedergabe des dort vorgefundenen Materials, welches er gekonnt in seine Darstellung zu integrieren versteht und dadurch deren Anschaulichkeit erhöht. Dabei sei besonders die umfangreiche Schilderung der christlichsozialen Parteitage hervorgehoben, welche in dieser Ausführlichkeit bisher nicht zur Verfügung stand. Des Weiteren greift Benesch auch auf eine Fülle an Sekundärliteratur zurück, wiewohl diesbezüglich leider einige relevante Publikationen unberücksichtigt blieben.3 Auch ist die Tatsache, dass an manchen Stellen der Historiker dem ÖVP-Bezirksrat weicht4, der an sich hohen Qualität der Arbeit partiell etwas abträglich. Dessen ungeachtet stellt sich der Autor mit dieser Publikation in eine Reihe mit zum Beispiel einem Johannes Hawlik, der einst durch seine Lueger-Biographie5 ebenfalls zur Wissensvermittlung bezüglich der Parteihistorie beigetragen hat. Somit bietet Benesch durch sein Werk all jenen Unterstützung und Orientierung, die sich zukünftig mit der Geschichte der Wiener CSP beschäftigen werden.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu z.B. Harald D. Gröller, Facetten des Personenkults um Karl Lueger: Eine Annäherung, in: Hermann Blume [u.a.] (Hrsg.), Inszenierung und Gedächtnis. Soziokulturelle und ästhetische Praxis, Bielefeld 2014, S. 71–82.
2 Markus Benesch, Die Geschichte der Wiener Christlichsozialen Partei zwischen dem Ende der Monarchie und dem Beginn des Ständestaates, Phil. Diss., Wien 2010, online: <http://othes.univie.ac.at/9259/> (20.05.2014).
3 Folgende Werke hätten eventuell zur „Abrundung“ des vorliegenden Buches noch zusätzlich beitragen können: John W. Boyer, Karl Lueger (1844–1910): Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biografie, Wien 2010; Ernst Bruckmüller, Die Entwicklung der Christlichsozialen Partei bis zum Ersten Weltkrieg, in: Christliche Demokratie 9 (H. 4/1991/92), S. 343–368; Gerhard Melinz, Die Christlichsoziale Partei Wiens. Von der Majorität zur Minorität und „Kerntruppe“ der Vaterländischen Front. Eine parteipolitische Annäherung, in: Wiener Geschichtsblätter 49 (1994/1), S. 1–14; Christian Mertens, Zwischen Krise und Konsolidierung. Die Christlichsoziale Partei Wiens vom Tod Luegers bis in die Frühzeit der Republik, in: Helmut Wohnout (Hrsg.), Demokratie und Geschichte. Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich 7/8 (2003/04), S. 157–181.
4 So bekunden unter anderem der problematische Terminus der „Selbstausschaltung des Parlaments“ (S. 360f.) sowie der letzte Absatz des Schlusswortes (vgl. S. 402) Beneschs Verbundenheit mit der ÖVP und ihrer diesbezüglichen Perspektive.
5 Johannes Hawlik, Der Bürgerkaiser. Karl Lueger und seine Zeit, Wien 1985.

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