P. Barceló: Das Römische Reich im religiösen Wandel

Cover
Titel
Das Römische Reich im religiösen Wandel der Spätantike. Kaiser und Bischöfe im Widerstreit


Autor(en)
Barceló, Pedro A.
Erschienen
Regensburg 2013: Pustet
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 26,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Ziel des zu besprechenden Buches zur Spätantike ist es, „die Bedingungen des religiösen Wandels ins Visier zu nehmen und dessen Entwicklungslinien in einen historischen Kontext zu stellen“ (S. 14). Die Grundthese Pedro Barcelós, der zugleich einen Überblick zur Religionspolitik der spätantiken Kaiser und zur Kirchengeschichte gibt, lautet dabei: Je stärker und überzeugter die Kaiser sich an kirchlichen Angelegenheiten und Glaubensfragen beteiligten, desto geringer wurde ihr durch bischöfliche Autorität und Widerstände eingeschränkter Handlungsspielraum.

Barcelós Buch ist in seiner ersten Hälfte hauptsächlich chronologisch aufgebaut: Mit Ausnahme des fünften Kapitels zur Sakralkunst (S. 89–100) bieten die ersten sechs Kapitel (S. 19–110) einen Überblick zu den religionspolitischen kaiserlichen Entscheidungen und den innerkirchlichen Auseinandersetzungen von Valerian bis Julian, daneben ist das achte Kapitel (S. 129–154) hauptsächlich Theodosius I. und das zehnte Kapitel (S. 171–182) vor allem den theologischen Streitfragen des 5. Jahrhunderts gewidmet.

Zentral ist das siebte Kapitel: „Entzauberung der Tradition – Von der Göttlichkeit zur Gottesnähe der Imperatoren“ (S. 111–128). Barceló betrachtet hier die Problematik, dass die christlichen Kaiser gleichermaßen durch die Traditionen des römischen Kaisertums und die Erwartungshaltung ihrer christlichen Untertanen gebunden waren und daher die Entwicklung neuer Umgangsformen (etwa eine größere Zurückhaltung bei der Präsentation der Göttlichkeit des Kaisers) notwendig war, sich gleichzeitig aber bei den heidnischen Kult- und Verehrungspraktiken nur wenig änderte, da der Kaiser den Kaiserkult ohne größere Einschränkungen fortbestehen ließ. Mit dem Verlust des Aspektes der kaiserlichen Göttlichkeit und der damit einhergehenden Verdrängung aus dem Zentrum der Kultpolitik habe der Kaiser auch politisches Gestaltungspotential verloren.

Im neunten Kapitel zum „Zerfall der religiösen Autorität des Kaisertums“ (S. 155–170) behandelt Barceló zudem den Verlust richterlicher und militärischer Kompetenzen des Kaisers. Für Ersteres weist Barceló darauf hin, dass die Urteile der Prätorianerpräfekten inappellabel wurden, was er als Kompetenzverlust deutet: „Durch die Delegierung der richterlichen Kompetenzen an ihre Stellvertreter schwächten die Kaiser des späten 4. Jahrhunderts ihre Position als Schlichtungsinstanz, indem sie sich entbehrlich machten“ (S. 156). Die Frage ist allerdings, ob die Kaiser überhaupt noch ein Interesse daran hatten, zumindest theoretisch jeden einzelnen Fall selbst prüfen zu können. Die Ausweitung der Kompetenzen von Institutionen wie den iudices pedanei (die unter den Statthaltern stehenden Hilfsrichter) spricht eher dagegen. Auch bleibt Barcelós Heranziehung einer Angabe des Ammianus Marcellinus (30,4,2) in mehrfacher Hinsicht bedenklich: Während das von Barceló (S. 201, Anm. 3) genannte Gesetz des Codex Theodosianus (11,30,16) über die Unmöglichkeit der Appellation gegen Urteile der Prätorianerpräfekten aus konstantinischer Zeit stammt, beschreibt Ammianus an der erwähnten Stelle den Einfluss des Prätorianerpräfekten Modestus auf Valens, der versucht habe, den Kaiser von der Richtertätigkeit abzubringen – er spricht somit über einen Zeitpunkt, in dem das Gesetz längst etabliert sein müsste. Des Weiteren wäre es notwendig gewesen, die Ammianstelle in ihrer Vollständigkeit zu analysieren: So handelt es sich bei Modestus nicht um die einzige Person, die Valens davon abrät, persönlich Recht zu sprechen. Auch beschreibt Ammianus Valens oder Modestus1 als von den Hofeunuchen abhängig und bemerkt, dass die Korruption bei Rechtsangelegenheiten vor allem durch die Käuflichkeit der Palastbeamten bedingt sei. Erachtet man die Berichte als historisch, handelt es sich also nicht um einen systematischen Verzicht auf richterliche Kompetenzen durch den Kaiser, sondern um Maßnahmen korrupter Höflinge, die ihre Einnahmen steigern wollten, und somit um eine Konstellation, die höchst abhängig von der einzelnen Herrscherpersönlichkeit ist. Ähnliches lässt sich auch über die schwache Stellung Valentinians II. gegenüber dem Heermeister Arbogast sagen, die Barceló als Beleg für die schwindenden militärischen Kompetenzen des Kaisers anführt (S. 157f.); immerhin war die Situation unter Theodosius I. wieder eine andere.

Ob man den Argumentationsgang in der Betrachtung der Herrschaftspraxis Kaiser Julians (S. 101–109), die als eine Gegenprobe zu den christlichen Herrschern dient, als gelungen ansehen kann, sei dahingestellt. Wenn Julians Programm zur Wiederherstellung des Heidentums – das vieldiskutierte Ausmaß christenfeindlicher Handlungen sei hier beiseitegelassen – nur wenig Anklang fand, wie Barceló richtig feststellt, so wird dies weniger mit der „fortschreitenden Ausbreitung des Christentums“ (S. 105; ähnlich S. 107), sondern eher mit dem Gedankengut Julians, das für große Teile der heidnischen Bevölkerung aufgrund der Komplexität der Inhalte kaum nachvollziehbar war (so auch Barceló S. 108), oder mit den exzessiven Opferpraktiken, die auch heidnische Kritik und Widerstände hervorriefen, zu tun haben. So spricht Barceló selbst von den „lauen heidnischen Kultgenossen“, für die Julian erheblich mehr Verachtung als für die Christen übrig hatte (S. 106). Auch lässt sich das komplexe Bild Julians in heidnischen und christlichen Quellen nicht mit den Schlagworten „überschwänglich gefeiertes Idol“ und „vielgeschmähtes Zerrbild“ abtun (S. 105), aus dem nur der Objektivität anstrebende Prudentius herausrage. So weist beispielsweise der Kirchenhistoriker Sokrates ein vielschichtiges Julianbild auf, das sich keineswegs darin erschöpft, Julians christenfeindliche Maßnahmen aufzuzählen.2 Zuletzt sollte in Erinnerung behalten werden, dass zwar auf Julian mit Kaiser Jovian gleich wieder ein (gemäßigter) Christ folgte, zuvor jedoch der heidnische Prätorianerpräfekt Salutius Saturninius Secundus als Kandidat nominiert worden war (Amm. 25,5,3). Barcelós Grundthese kann also in ihrer Argumentation zu den christlichen Kaisern zugestimmt werden, nicht aber in ihrer Wertung der Religionspolitik Julians, die in der Überschrift als „Verspäteter Weckruf“ (S. 101) tituliert wird.

Des Weiteren haben sich in das Kapitel zu Julian leider einige gravierende sachliche Irrtümer eingeschlichen: Abbildung 31 (S. 100) zeigt eine bekannte im Louvre befindliche Statue, die lange für Julian gehalten wurde, was nun seit der Studie Flecks aber widerlegt ist.3 Auch die These, dass Julian sich und seine Frau Helena als Sarapis und Isis darstellen ließ (S. 103), ist längst widerlegt.4 Zudem meint Barceló, dass Julian „sich der Zustimmung der heidnisch gebliebenen intellektuellen Eliten sicher sein konnte, wie uns eine Reihe von epigraphischen Zeugnissen aus den verschiedenen Teilen des Reiches lehrt“ (S. 105), führt als Beleg dafür aber lediglich den gesamten Inschriftenkatalog Arces an, ohne eine konkrete Inschrift zu nennen.5 Abgesehen davon, dass die Inschriften Julians nun nach dem reichhaltigeren und aktuelleren Corpus Contis6 zu zitieren wären, fallen die wenigsten der von Arce erfassten Inschriften (zumeist Meilensteine) unter diese Kategorie, und nur einzelne Texte aus Kleinasien lassen Barcelós Behauptung überhaupt zu.7

Ratlos steht der Leser vor dem Quellenverzeichnis (S. 204f.). Hierbei handelt es sich um eine Auflistung offensichtlich aller Stellen aus der antiken Literatur, die im Verlauf des Buches herangezogen wurden. Da die Seitenangaben fehlen, ist eine Benutzung als Quellenregister nicht möglich; für einen Lektürekanon zur Thematik stehen dagegen relevante und unergiebige Autoren (etwa Appian, Eutropius und Sallust) zu undifferenziert nebeneinander.

Barcelós Buch ist gut geschrieben, interessant zu lesen und vertritt die Grundthese meist mit durchaus erwägenswerten Argumenten. Die Einarbeitung der sonst oft vernachlässigten spanischsprachigen Forschung ist zudem ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Wo Barceló aber den direkten Weg seiner Hauptthese verlässt und sich auf Nebenpfade begibt, endet die Zustimmung öfter und schneller, als dies wünschenswert wäre. Ohne Gewinn wird man dieses Buch, das sich zugleich als Überblicksdarstellung zur Spätantike mit Fokus auf die Religions- und Kirchengeschichte lesen lässt, allerdings nie zur Hand nehmen.8

Anmerkungen:
1 Zur Diskussion der Bezugnahmen in dieser Stelle kürzlich Hermann Tränkle, Modestus und Kaiser Valens (Amm. 30,4,2), in: Hermes 136 (2008), S. 505–508.
2 Dazu vor allem David F. Buck, Socrates Scholasticus on Julian the Apostate, in: Byzantion 73 (2003), S. 301–318.
3 Thorsten Fleck, Die Portraits Julianus Apostatas, Hamburg 2008, hier S. 63–73.
4 Thorsten Fleck, Julianus II. Apostata als Sarapis? Helena als Isis?, in: Geldgeschichtliche Nachrichten 216 (2004), S. 5–8 gegen Rainer Pudill, Julian Apostata, in: Geldgeschichtliche Nachrichten 213 (2003), S. 104–122. Barceló (S. 196, Anm. 12) führt lediglich Alföldis Studie von 1937 (ohne Seitenangabe) als Beleg an, die sich aber gerade (S. 7f.) gegen diese Identifikation ausspricht.
5 Barceló gibt als Beleg nur: „Arce (1984) 93–176“ (S. 196, Anm. 22).
6 Stefano Conti, Die Inschriften Kaiser Julians, Stuttgart 2004.
7 Siehe die Zusammenstellung von Alexander N. Oikonomides, Ancient inscriptions recording the restoration of Greco-Roman shrines by the emperor Flavius Claudius Julianus (361–363 A.D.), in: Ancient World 15 (1987), S. 37–42. Eine Stütze für Barcelós Angabe bietet am ehesten noch die Inschrift aus Iasos (Conti, Inschriften, S. 83f., Nr. 34 = Javier Arce, Estudios sobre el emperador Fl. Cl. Juliano, Madrid 1984, S. 110, Nr. 108).
8 An Titeln der letzten Jahre hätte noch genannt werden können: José María Blázquez Martínez, La violencia religiosa cristiana en la Historia Eclésiastica de Sócrates durante el gobierno de Teodosio II y en la Historia Eclésiastica de Teodoreto de Cirro, in: Gerión 26 (2008), S. 453–490; José María Blázquez Martínez, La violencia religiosa en la Historia Eclésiastica de Teodoreto de Cirro, in: Gerión 28 (2010), S. 331–390; Rudolf Haensch, Die Rolle der Bischöfe im 4. Jahrhundert, in: Chiron 37 (2007), S. 153–181. Zu spät, um noch berücksichtigt zu werden, erschien das ergiebige Werk von Pierre Maraval, Les fils de Constantin, Paris 2013. Kleinere Versehen sind erfreulich selten: Lediglich die „Amtszeit des Theodosius“ S. 163 ist als Ausdruck für die Regierungszeit unschön, und S. 169 ist „Possessivverhältnisse“ statt „Possesivverhältnisse“ zu lesen.

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