Cover
Titel
Die Welt der Burgen. Geschichte, Architektur, Kultur


Autor(en)
Großmann, G. Ulrich
Erschienen
München 2013: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
303 S.
Preis
€ 26,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Die meisten Burgen verdanken ihre Gestalt Bauphasen verschiedener Epochen: „Tatsächlich stellte der ständige Um- und Ausbau die Regel im Burgenbau dar“ (S. 102). Genau diesen Entwicklungen widmet sich der durchgehend farbig bebilderte Band „Die Welt der Burgen“ von Ulrich Großmann, Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. In acht Kapiteln beantwortet der Autor nach der Einleitung (S. 11–15) zunächst die Frage: „Was ist eine Burg?” (S. 16–27), dann geht er auf „Burg und Herrschaft: Die Aufgaben einer Burg” (S. 28–43) und "Die Bauteile der Burg” (S. 44–97) ein. Des Weiteren wird „Die Burg im Mittelalter” (S. 98–194) und „Die Burg in der Neuzeit” (S. 195–236) betrachtet. Ein kurzes Kapitel klärt den „Mythos Burg” (S. 237–241) und das letzte beschreibt „Die Geschichte der Burgenforschung” (S. 242–264). Ein Anhang mit Anmerkungen (S. 265–276), einer ausführlichen Liste der verwendeten Literatur (S. 277–288), Erläuterungen von Fachbegriffen (S. 289–291) und einem Register der Burgen (292–302) schließen den mit 108 Farbabbildungen üppig ausgestatteten Band ab.

Der Autor macht zunächst klar, was das Buch nicht sein soll und zwar kein Inventar der rund 25.000 Burgen des deutschsprachigen Raumes oder der 40.000 Burgen Mitteleuropas (S. 15). Bei der folgenden Definition dessen, was eine Burg ist, geht es auch um die seit langem diskutierte Frage des Verhältnisses von Burg und Schloss. Großmanns Darstellung ist innovativ und zeichnet den Forschungsgang nach, neuere Diskussionen fehlen aber.1 Um sich dem Ziel, der Darstellung grundsätzlicher Phänomene, zu nähern, werden moderne Kategorisierungen von Burgentypen analysiert: Königsburg und Königspfalz, Ministerialen-, Ordens- oder Bischofsburgen. Aber auch nach der topographischen Lage oder den topographischen Gegebenheiten (Höhen-, Sporn-, Talburg, Wasser-, Felsen- oder Höhlenburg) und nach ihrer Funktion (Zoll-, Amts- oder Jagdburg) werden die Burgen unterteilt. Während die Erkenntnis, dass die Wehrkirche ein Mythos ist, mittlerweile Common Sense zu sein scheint und die „Ritterburg“ als romantische Verklärung dekonstruiert wird (S. 24), scheint im ersten Textdrittel immer wieder eine starke Betonung der „Adelsburg“ in der Darstellung durch (S. 22f.). Den rechtlichen Dimensionen – „Die Burg war ein räumlich und rechtlich eingeschränkter Bezirk“ (S. 35) – wird sich durch eine, an klassischen Werken orientierte, Darstellung des Lehnswesens und der Grundherrschaft angenähert. Gerade diese werden aber von der neueren Forschung diskutiert.2 Während der ‚Burgwert‘ sich aus den Burggebäuden, den Zugehörigkeiten und den Rechten ableiten lässt, ist der Zusammenhang zwischen Burggröße und Burgbesitz noch nicht erforscht (S. 37). Die Anachronismen der älteren Forschung, die versucht hat, aufgrund ihres Verständnisses von modernen Verteidigungslinien aus Beton (Maginot-Linie etc.), eine ‚Burgenpolitik‘ der Staufer zu (re-)konstruieren, negiert der Autor mit dem Hinweis, dass Burgen zwar zur Sicherung der Herrschaft, aber nicht als Verteidigungsring im Sinne kommunizierender Festungen der Neuzeit zu verstehen sind (S. 43).

Nicht nur für den Bauforscher ist wichtig, dass Burgen nie reine Steinbauten waren, sondern immer auch unter Benutzung von Holz, Lehm und Fachwerk errichtet wurden. Die Holz-Erde-Konstruktionen des Frühmittelalters wichen erst im 11. Jahrhundert den Steinbauten (S. 46f.). Je nach Art des Mauerwerkes oder des verwendeten Werkzeugs (Stein-zange erst ab 1200) ergeben sich grobe Datierungsansätze. Bemerkenswert ist auch der Hinweis, dass die fehlende Betrachtung historischer Putze erst in jüngster Zeit überwunden wurde (S. 55).

Die einzelnen Teile von Burgen werden ausführlich besprochen: Barbakane, Zwinger, Torzwinger, Ringmauer, Wehrgang, Maschikuli, Mauertürme, Schild- und Mantelmauer, Zinnen, Schießscharten, Haupttor mit Riegelbalken, Kammertore, Flankentore, Fallgatter oder Zugbrücke als Bestandteile, die Wehrfunktionen erfüllten. Aber jede Burg hatte auch eine Wohnfunktion zu erfüllen und so beschäftigen sich einzelne Abschnitte mit Wohntürmen, Saalgeschosshaus, Saal, Hofstuben, unbeheizten Kammern und beheizten Stuben, bis hin zum Appartement, der Badestube, dem Abort, der Küche und der Kapelle. Als Inventar der multifunktionalen Kammern werden Bett, Truhe, Sitzmöbel und Tisch besprochen, als universale Bestandteile des Hauses Türen, Fenster, Treppen, die Wasserversorgung durch Zisternen, Schreibstube, Schatzkammer, Torwache und Rüstkammer. Auch die wirtschaftlichen Aspekte werden im Detail dargestellt: Vorburg, Produktionsstätten, Marstall, Stallgebäude, Scheunen und Mühle.

Am Beispiel der Marburg wird die Entwicklung einer Burg im Mittelalter vorgeführt: Bereits 1290 zur Residenz ausgebaut, im 15. Jahrhundert wesentlich erweitert und im 17./18. Jahrhundert massiv verstärkt, wird das Bild der meisten Burgen von den Bauphasen verschiedener Epochen geprägt. Im folgenden chronologischen Teil wird die Entwicklung der Burgen nachgezeichnet, von großen Flächenburgen mit Fluchtfunktion hin zu engen steinernen Burgen, die sich zunehmend bautechnisch auf die Entwicklungen der Waffentechnik einstellen mussten. Dem oft diskutierten Verhältnis zwischen ‚Motte‘ und ‚Bergfried‘ wird auch hier ausführlich Raum gegeben. Der Bergfried war definitiv kein strategischer letzter Rückzugsort, eher ein Herrschaftszeichen mit militärischer (sehen) und symbolischer (gesehen werden) Funktion (S. 75f.). Bei der Motte ist „aufgrund des Forschungsstandes nicht zu entscheiden, ob der Turm als herrschaftlicher Wohnsitz oder als hölzerner Vorläufer der Bergfriede diente“ (S. 119).

Das heutige Bild der Burg ist oft vom 13. bis 15. Jahrhundert geprägt (S. 178). „Vieles, was uns heute typisch für den mittelalterlichen Burgenbau erscheint, gab es in der Salierzeit nicht oder es war eine seltene Ausnahme“ (S. 124), denn erst die Zeit des ‚klassischen Burgenbaus‘ brachte zahlreiche Innovationen für die Burgen hervor: der Ersatz der hölzernen Palisaden durch Ringmauern (im 12. Jahrhundert), das Aufkommen von Buckelquadern (die aber zur Datierung ungeeignet sind), Schießscharten und Bergfried, aber auch von Schild- und Mantelmauern (ab 1200). Zwar ebbte die Burgengründungswelle im 14. Jahrhundert insgesamt ab und das Spätmittelalter „ist vor allem eine Zeit der Adelsburgen“ (S. 150), aber trotzdem entwickelte sich der Burgenbau weiter: Hinzu kamen Fallgatter, Zugbrücken oder platzsparende Wendeltreppen, aber auch ein tendenzielles „Höhenwachstum“ (S. 193) sind festzustellen. Die Wohnkultur des Innenraums wird zunehmend durch Wandmalereien und Fresken (als Ersatz für Bildteppiche) geprägt. Die spätere Tendenz zur Trennung der Festung mit Wehrstrukturen vom Schloss mit Wohnfunktion bedeutete aber kein grundsätzliches Ende der Burg um 1500 (S. 213), Burgen wurden weiter benutzt und weiter zerstört wie im Pfälzer Erbfolgekrieg (1688–1697). In dem Maße, in dem Burgen ihre praktischen Funktionen verloren, nahm die Begeisterung für pittoreske Burg(ruin)en zu. Der romantisch geprägte Mythos der ‚Burg‘ war gleichsam eine Voraussetzung für den Massentourismus. Das dabei bis heute verbreitete Burgenbild basiert vielfach auf den Vorstellungen der letzten 200 Jahre und muss stets erneuert, hinterfragt und korrigiert werden (S. 237f.). Die Entwicklung dieser Vorstellungen wird im letzten Kapitel erstmals ausführlich dargestellt und endet mit der Forderung nach einer wirklich interdisziplinären Burgenforschung unter Beteiligung der Historie, Kunstgeschichte, Bauforschung und der Archäologie. Als Anregung für künftige Auflagen bleibt lediglich anzumerken, dass einige Burgen (insbesondere in Österreich) in den Karten auf dem Umschlag und im Register falsch eingezeichnet oder zugeordnet sind.

Fazit: Die Darstellung bietet einen anschaulichen Überblick über die Entwicklung der Burgen in Mitteleuropa und versteht es, den vorherrschenden anachronistischen Ansichten gut belegte Zusammenfassungen von vielen (jedoch nicht allen) aktuellen Forschungsdiskussionen entgegenzusetzen. Zudem verfügt sie über eine exzellente Bebilderung, die den Charakter der Einzelburgen sehr treffend veranschaulicht. Es gibt Bücher, die einen, egal wo man sie aufschlägt, direkt in ihren Bann ziehen. “Die Welt der Burgen“ gehört dazu!

Anmerkungen:
1 Matthias Müller, Von der Burg im Schloss! Das Mainzer Schloss und die Revision eines entwicklungsgeschichtlichen Denkmodells, in: Franz J. Felten (Hrsg.), Befestigungen und Burgen am Rhein, Stuttgart 2011, S. 91–122; Thomas Wozniak: Rezension zu: Franz J. Felten (Hrsg.): Befestigungen und Burgen am Rhein, Stuttgart 2011. In: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-2-193> (11.06.2014).
2 Jürgen Dendorfer / Roman Deutinger (Hrsg.), Das Lehnswesen im Hochmittelalter. Forschungskonstrukte – Quellenbefunde – Deutungsrelevanz, Ostfildern 2010; Thomas Wittkamp: Rezension zu: Jürgen Dendorfer / Roman Deutinger (Hrsg.), Das Lehnswesen im Hochmittelalter. Forschungskonstrukte – Quellenbefunde – Deutungsrelevanz, Ostfildern 2010. In: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-077> (11.06.2014); Steffen Patzold, Das Lehnswesen, München 2012; Thomas Wittkamp: Rezension zu: Steffen Patzold, Das Lehnswesen, München 2012. In: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-077> (11.06.2014).