Cover
Titel
Die Hanse.


Autor(en)
Jahnke, Carsten
Reihe
Reclams Universal-Bibliothek 19206
Erschienen
Stuttgart 2014: Reclam
Anzahl Seiten
245 S.
Preis
€ 7,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Der Satz: “Man war hansisch und brauchte die Hanse, wenn es den eigenen Interessen entsprach” (S. 162), fasst die Grundaussage der kleinen – von Reclam auf 220 Seiten gedruckten – Geschichte der Hanse zusammen. Sie stammt von Carsten Jahnke, der bereits eine ganze Reihe von Publikationen zur Hanse vorgelegt hat.

In neun Kapitel stellt er die Entwicklung der Hanse dar: Auf die „Einleitung“ (S. 7–24) folgen Betrachtungen über „Die Anfänge der Hanse“ (S. 25–57) und „Die Waren der Hanse“ (S. 58–96); darauf fragt der Autor „Wie funktionierte der hansische Handel“ (S. 97–117) und betrachtet „Die Hanse als Institution und Organisation“ (S. 118–164) sowie „Die Entwicklung der Hanse“ (S. 165–194) und „Die Hanse, ein Auslaufmodell?“ (S. 195–208). In den letzten zwei Kapiteln geht es um „Nicht mehr hansisch, dafür hanseatisch: Das Weiterleben alter Traditionen in neuem Gewand in Lübeck, Hamburg und Bremen“ (S. 209–212) und um „Die Hanse: Versuch einer Bilanz“ (S. 213–222). Mit Anmerkungen (S. 223–234) und Literaturhinweisen (S. 235–245), aber ohne Register, endet der gut lesbare Band.

Jahnke versteht es gut, die ältere von nationalistischen und anachronistischen Tendenzen gekennzeichnete Forschung zu dekonstruieren und erläutert, was die Hanse alles nicht ist, denn „jede Generation betrachtet diese Organisation unter den politischen Voraussetzungen ihrer eignen Zeit“ (S. 13–18). Dabei bleibt er aber nicht stehen, sondern zeigt, dass die Hanse ein freiwilliges Zweckbündnis ist, um „an einem Ort Handel zu treiben und dafür die besten Bedingungen auszuhandeln“ (S. 10f.). In der Entwicklung wurden Aufgaben des Einzelnen auf die Gruppe übertragen, um Zeit und Geld zu sparen. Dem Übergang von der Kaufmanns- zur Städtehanse, als aus den als „Institutionen“ definierten freiwilligen und losen Zusammenschlüssen feste „Organisationen“ wurden, ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Da Fernhändler immer gezwungen waren, sich physisch zu verteidigen, bevorzugt Jahnke die Deutung von „hansa“ als streitbarer Schar (S. 27), die dann selbständig Verträge mit Herrschern aushandelte. Erst im 11. bis 14. Jahrhundert wird der Begriff auf eine Gruppe nord- und mitteldeutscher Kaufleute verengt (S. 28). Die Ausbreitung der Hansen stellt Jahnke in engen Zusammenhang mit dem Bedarf des sich ausbreitenden Christentums an Wachs für die ewigen Lichter und Altäre sowie an Trocken- und Salzfisch als Fastenspeisen für 180 Tage im Jahr. Im Hinblick auf die Gründung Lübecks werden die auf Fritz Rörigs Modell eines Unternehmerkonsortiums beruhenden Darstellungen dekonstruiert.1 So vermittelt Lübeck bis ins 12. Jahrhundert zwischen östlichem Sachsen/Westfalen und dem Ostseeraum und wird erst nach seiner dänischen Zeit (1201–1226/7) von einem sächsischen Brückenkopf am Meer zu einer Transitstation zwischen Ost- und Nordsee. Im Detail geht Jahnke auf die Handelsgüter ein: Wachs und Pelze aus Osteuropa, Holz aus Preußen und dem Weichselgebiet sowie Getreide, als Ernährungsgrundlage ebenso wie für die Bierproduktion, aber auch Flachs und Hanf, für die nähere Untersuchungen noch ausstehen, oder Gewürze, die über Lemberg aus Venedig und Genua gehandelt wurden. Auch der hansische Handel mit Kupfer aus Schweden (Falun), Ungarn und dem Harz sowie der Eisenhandel mit Schweden und Ungarn werden detailliert dargestellt. Ausführlich geht es um die „Silberwährung der Hanse“, den Ostseehering, der zusammen mit Stockfisch (luftgetrockneter Dorsch oder Kabeljau) des Nordseeraumes nicht nur für arme Leute die christliche Fastenspeise des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bildete (S. 78–82). Später bildet der Handel mit Tuchen und Wolle eine weitere wichtige Säule im florierenden Dreieckshandel der Hanse: beispielsweise von Bergen Stockfisch nach Boston, von Boston Wolle nach Flandern und von Flandern Tuche in den Hanseraum (S. 84). Dazu kommt der Handel mit dem Konservierungsmittel Salz wie mit dem für den christlichen Gottesdienst unentbehrlichen Wein.

Einige Waren produzierten die Hansestädte selbst, vor allem Bier (Hamburg und Lübeck), viel häufiger ist aber ihre Vermittlerfunktion zwischen den Produktions- und Konsumräumen, denn oft macht die Entfernung den Preis. Dabei versucht die Hanse, wie ein Riegel die Produzenten von den Konsumenten zu trennen. Aufgrund des Problems, die Handelsbilanz ausgeglichen zu halten, aus einem Gebiet langfristig also nicht mehr Warenwerte zu entnehmen als dorthin gebracht werden, wird der Ost-West-Handel gegenüber dem Nord-Süd-Handel bevorzugt (S. 98). Wichtige Voraussetzungen waren das hansische Netzwerk, das über Briefe und Gesellschaften eine monats-, teilweise sogar wochenaktuelle Informationsbeschaffung gewährleistete und eine ständige gegenseitige Kontrolle ermöglichte, aber auch die gründliche Ausbildung der Kaufleute.

Zwar konnte Lübeck als „Haupt der Hanse“ (Verwaltungs-)Aufgaben über Quartierstädte wie Köln und Danzig oder die Hinterstädte Münster, Königsberg, Thorn und Elbing verteilen, aber „die organisatorische Leitung der Hanse war situationsabhängig“ (S. 131). Etwas versteckt in Kapitel 5 finden sich Charakterisierungen der fünf wichtigsten Kontore der Hanse: Peterhof in Novgorod (S. 134–139), Staven in Visby (S. 139–141), Stalhof in London (S. 141–146), Haus der Osterlinge in Brügge (S. 146–151) und die Deutsche Brücke in Bergen (S. 151–157).

„In den großen Fernhandelsstädten wuchsen […] die Interessen der Stadt mit denen ihrer Fernhandelskaufleute zusammen“ (S. 166). Der Übergang von der Kaufmanns- zur Städtehanse ermöglichte einen nicht zu unterschätzenden Zuwachs von politischer und wirtschaftlicher Macht, andererseits wurde dadurch ein rasches, zentralisiertes und einheitliches Handeln unmöglich. Diese Ambivalenz zwischen Zähigkeiten und Möglichkeiten belegt Jahnke am Beispiel des Hansekrieges gegen Waldemar Atterdag von Dänemark (S. 167–175). Auch der von Mythen (Klaus Störtebecker lebte bis mindestens 1413 und wurde nicht 1401 hingerichtet, S. 178) überlagerte Bereich zwischen Hanse und Piraten wird dekonstruiert: „Piraterie ist einfach nur eine Sichtweise, kein Beruf“ (S. 177). Sie setzt immer eine funktionierende Infrastruktur an Land voraus, um die erbeuteten Produkte überhaupt absetzen zu können, die Kaperfahrt war vielfach nur eine Verlagerung des Landkrieges auf See. „Je nach Sichtweise waren die Hansestädte […] sowohl Piratenjäger wie auch selbst Piraten“ (S. 179). Die Hanse und der Hansetag waren keine Seemacht, sondern das Sprachrohr der regionalen Kaufleute, die auf politischem Wege versuchten, die ökonomischen Rahmenbedingungen zu sichern (S. 180f.). Mit der Umstellung von der nordeuropäischen auf die atlantische Wirtschaft schwand der Handlungsspielraum der Hanse zusehends. Mit der Schließung des Novgoroder Kontors 1494 verlor sie ihre zentrale Stellung im Ost-West-Handel. Zudem übernahmen Banken, Börsen und Zeitungen wesentliche Funktionen des hansischen Netzwerkes. Die Versuche darauf zu reagieren – 1557 mit dem Umbau zu einer vollwertigen Konföderation – konnten den rapiden Machtverlust nicht verhindern, selbst als die Hanse noch 1648 Anerkennung im Westfälischen Frieden fand. „Es ist ein Paradoxon der Geschichte, dass die Hanse erst kurz vor ihrem endgültigen Verfall ihre endgültige Anerkennung fand“ (S. 205). Auch der Übergang zur Selbstbezeichnung „hanseatisch“ durch Lübeck, Hamburg und Bremen konnte dies nicht verdecken.

Fazit: Immer wieder dekonstruiert Jahnke ältere, an anachronistischen Auffassungen krankende Forschungsmeinungen (Fritz Rörig, Karl Jordan etc.) und versteht es dann, für diese deutlich treffendere und quellennähere Modelle vorzuschlagen. So bietet der Band eine gut lesbare Zusammenfassung der aktuellen Hanseforschung.

Anmerkung:
1 Fritz Rörig, Die Wirtschaftskräfte im Mittelalter. Abhandlungen zur Stadt- und Hansegeschichte, 2. Aufl., Wien 1971.