T. Banchich (Hrsg.): The Lost History of Peter the Patrician

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Titel
The Lost History of Peter the Patrician. An Account of Rome’s Imperial Past from the Age of Justinian


Herausgeber
Banchich, Thomas M.
Reihe
Routledge Classical Translations
Erschienen
Abingdon 2015: Routledge
Anzahl Seiten
XII, 185 S.
Preis
£ 78,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dariusz Brodka, Instytut Filologii Klasycznej, Uniwersytet Jagielloński, Kraków

Petros Patrikios, der langjährige magister officiorum des Kaisers Justinian, gehört nicht zu den bekanntesten spätantiken Historikern, weil seine literarischen Werke größtenteils verlorengegangen sind. Er ist hingegen mehr durch seine diplomatischen Aktivitäten bekannt: Petros’ Verhandlungen mit dem Ostgotenkönig Theodahad stellt Prokop von Kaisareia ausführlich in seiner Kriegsgeschichte dar. In den Anekdota entwirft Prokop hingegen ein sehr negatives Bild des Petros Patrikios, indem er dessen Verwicklung in die Ermordung der Königin Amalasuntha vermutet. Petros wird auch von Cassiodor in den Variae erwähnt. Die diplomatischen Fähigkeiten des Petros offenbarten sich insbesondere während der Verhandlungen mit dem Perserkönig Chosroes in den Jahren 561/62, die 562 schließlich zum Abschluss eines auf 50 Jahre angelegten Friedens führten.

Die Werke des Petros Patrikios sind nur bruchstückhaft erhalten: Die Fragmente seiner Schrift über das kaiserliche Protokoll sind in dem Werk De cerimoniis des Kaisers Konstantin VII. Porphyrogennetos fassbar. Auf seinen Bericht über die Friedensverhandlungen mit Chosroes geht die ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene Darstellung des Historikers Menander Protektor zurück. Petros Patrikios befasste sich aber nicht nur mit der Zeitgeschichte: Er verfasste auch eine umfangreiche Römische Geschichte, die wahrscheinlich von den Anfängen der politischen Karriere Octavians bis zur Herrschaft des Kaisers Constantius II. (337–361) reichte; im letzten erhaltenen Fragment geht es um die Ereignisse des Jahres 358. Petros Patrikios war somit eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Zeitalters Justinians, während seine historischen Werke einen interessanten zusätzlichen Aspekt der Historiographie dieser Epoche darstellen, die insbesondere durch die zeitgeschichtlichen Geschichtswerke des Prokop oder Agathias geprägt ist.

Eine ausgewogene Bewertung der literarischen Tätigkeit des Petros Patrikios wird allerdings durch den äußerst fragmentarischen Erhaltungszustand seines Hauptwerkes, der Römischen Geschichte, erschwert. Eine erste Edition, die Carl Müller im Band IV der Fragmenta Historicorum Graecorum (FHG) im Jahr 1851 veröffentlichte, umfasst lediglich 18 Fragmente, die aus der Exzerptsammlung gewonnen wurden, die Kaiser Konstantin VII. unter bestimmten thematischen Aspekten im 10. Jahrhundert anfertigen ließ. Die Fragmente in Müllers Edition stammen aus der Abteilung De legationibus, also Über Gesandtschaften, genauer aus den Excerpta de legationibus gentium ad Romanos (ELGR) und den Excerpta de legationibus Romanorm ad gentes (ELRG). In einem sehr ambitionierten Vorhaben wendet sich Thomas M. Banchich nun erneut diesem fragmentarischen Text zu, dessen Überlieferung zahlreiche Probleme bietet: Banchich sammelt alle erhaltenen Fragmente der Römischen Geschichte des Petros Patrikios und macht sie erstmals in einer kommentierten englischen Übersetzung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Diese Edition umfasst allerdings nur die übersetzten Textstücke, ohne das griechische Original zu bieten. In seiner Zuordnung der Fragmente griff Banchich auf die Hypothesen der älteren Forschung, insbesondere auf Niebuhr, zurück und erkannte nicht nur in den Exzerpten aus De legationibus (ELRG und ELGR) Textzeugen aus dem Werk des Petros Patrikios (ähnlich wie Müller und Dindorf in ihren Editionen), sondern fügte auch zwei Fragmente aus der Schrift Peri Syntakseos, über deren Zuordnung heute kein Zweifel mehr besteht, sowie die Exzerpte aus der Sammlung De sententiis (ES), die Angelo Mai in Cod. Vat. Gr. 73 entdeckt und ediert hatte, in seine Edition ein. Allerdings brachte Mai diese Fragmente aus dem Cod. Vat. Gr. 73 noch nicht mit Petros Patrikios in Verbindung. Die ES-Fragmente bestehen in ihrem ersten Teil aus einer Überarbeitung des Cassius Dio, der zweite Teil geht dann aber über Cassius Dio hinaus und behandelt die Periode vom Jahr 238 bis zur Regierung Konstantins. Dieser zweite Teil wurde von Müller in den FHG als Anonymus post Dionem ediert. Bereits Niebuhr vermutete, dass die durch Mai entdeckten Exzerpte auf Petros Patrikios zurückgehen könnten. Diese Vermutungen wurden auch durch die kodikologischen Argumente von de Boor unterstützt. In der jüngeren Forschung brachte aber insbesondere Bleckmann starke Argumente dafür vor, dass der Anonymus post Dionem (oder Continuator Dionis) und die sogenannte Leoquelle, obwohl sie zwei historiographische Traditionsstränge bilden, die von den späteren byzantinischen Autoren benutzt wurden, letztlich auf Petros Patrikios zurückgehen; der Anonymus post Dionem sei jedoch nicht mit Petros Patrikios identisch.1

Die englische Ausgabe Banchichs geht somit weit über die früheren Editionen Müllers und Dindorfs hinaus. Für Fragmente des Petros Patrikios hält Banchich alle Textstücke, die den FHG unter dem Namen des Petros Patrikios und des Anonymus post Dionem stehen. Dazu kommt noch der erste dionische Teil der durch Mai entdeckten ES-Exzerpte hinzu. Banchich nimmt nämlich zu Recht an, dass die dionischen und postdionischen ES-Exzerpte Mais nicht auf zwei unterschiedliche Vorlagen zurückgehen, sondern die konstantinischen Exzerptoren für die gesamte Periode nur ein Geschichtswerk als Vorlage benutzten, also die Römische Geschichte des Petros Patrikios. Es ist allerdings evident, dass Petros Patrikios im ersten Teil seiner Geschichte wenig originell war und sich mit dem bloßen Exzerpieren des Cassius Dion zufrieden gab. Banchichs Edition bietet also 215 Fragmente, die vom Jahr 40 v.Chr. bis zum Jahr 358 n.Chr. reichen.2 Er legt damit eine umfangreiche Fragmentsammlung in Übersetzung vor. Man muss aber deutlich feststellen, dass sie auf keinen Fall eine moderne Ausgabe des griechischen Textes des Petros Patrikios ersetzen kann. Eine zuverlässige moderne Edition der griechischen Fragmente des Petros Patrikios stellt nach wie vor ein dringendes Desiderat der altertumswissenschaftlichen Forschung dar.

Banchichs Auswahl ist allerdings nicht unproblematisch, denn es gibt stellenweise wesentliche sprachliche und inhaltliche Abweichungen zwischen den Fragmenten, die aus den verschiedenen Abteilungen der Konstantinischen Exzerpte stammen und sicher Petros Patrikios zuzuweisen sind, und den Textpassagen, die nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf das Werk des Petros Patrikios zurückgehen. Banchich ist sich dieses Problems völlig bewusst und versucht, in Bezug auf einige strittige Exzerpte mit Widersprüchen in beiden Traditionssträngen seine Entscheidung zur Aufnahme im Kommentar zu begründen. So überzeugt die Beweisführung, die sich auf Fr. 183 (= Anon. Cont. Dion. Fr. 7 FHG) zum Tod des Odaenathus bezieht (S.120–123). Eine ähnliche Begründung verlangt aber auch Fr. 173 (= Petr.Patr. Fr. 9 FHG) zur Gefangennahme Valerians. An dieser Stelle sollte auf die überzeugenden Argumente Bleckmanns hingewiesen werden, der das Problem aus der quellenkritischen Perspektive diskutiert.3 Banchich zitiert zwar Bleckmanns Arbeiten einige Male, an dieser Stelle nutzt er jedoch die Untersuchung leider nicht.

Die Ausgabe besteht aus zwei Teilen: aus einer Einführung und der englischen Übersetzung der Fragmente mit Kommentar. Die Einführung ist sehr allgemein und beschränkt sich auf die wichtigsten Daten, ohne in die Details der Biographie des Petros Patrikios einzudringen (S. 1–3). Umfangreich und klar wird hingegen der komplizierte Erhaltungszustand der Konstantinischen Exzerpte und die Rolle des Petros Patrikios als Quelle in dieser Exzerptsammlung dargestellt; Banchich erklärt und begründet so die Entscheidung für die Auswahl der Fragmente (S. 3–9). Banchich bezieht sich hier aber vor allem auf die ältere Forschung (Mai, Niebuhr, Müller, de Boor, Boissevain und Sotiriadis), ohne die Argumente der modernen Forscher zu berücksichtigen. Die Einführung bietet keine komplexere Untersuchung der Römischen Geschichte des Petros Patrikios und beschränkt sich auf einige Hinweise auf den möglichen Umfang des Werks (S. 9). Es fehlt hier meines Erachtens auch ein Blick auf die Rezeption des Petros Patrikios in der byzantinischen Historiographie. Zum Schluss werden die Prinzipien der Übersetzung sowie des Kommentars dargelegt (S. 11f.).

Der Hauptteil des Buches enthält die übersetzten Testimonien, Fragmente und Parallelstellen (aus Cassius Dio, Zosimos, Johannes Xiphilinos und Johannes Zonaras) sowie einen knappen historisch-philologischen Kommentar zu jedem Fragment. Der Kommentar berücksichtigt in den meisten Fällen nur die englischsprachige Fachliteratur. Eine bedeutende Ausnahme stellt in dieser Hinsicht indes die unpublizierte Dissertation von Andrea Martolini dar (S. IXf.)4, auf die sich Banchich im Kommentar regelmäßig beruft. Am Ende des Bandes finden sich nützliche Register sowie eine Konkordanz der Fragmente in dieser Edition und in den FHG.

Zweifelsohne stellt die neue Ausgabe einen wichtigen, wenn auch nicht unproblematischen Beitrag zur Erforschung der literarischen Tätigkeit des Petros Patrikios dar, da Banchich die alte Hypothese übernimmt, dass der sogenannter Anonymus post Dionem einen Auszug aus dem Werk des Petros Patrikios bildet. Banchichs englische Übersetzung wird aber zweifellos dazu führen, dass diesem wenig bekannten Autor stärkere Beachtung geschenkt wird, und so der Forschung wichtige Impulse geben. Eine moderne Neuedition der Fragmente des Petros Patrikios bleibt aber weiterhin – wie schon oben gesagt – ein Desiderat.

Anmerkungen:
1 Bruno Bleckmann, Die Reichskrise des III. Jahrhunderts in der spätantiken und byzantinischen Geschichtsschreibung. Untersuchungen zu den nachdionischen Quellen der Chronik des Johannes Zonaras, München 1991, S. 411–415.
2 Vgl. auch bereits Andrea M. Martolini, I frammenti dell’ Anonymus post Dionem / Pietro Patrizio nell’ambito della storiografia tardoantica e bizantina, in: Umberto Roberto / Laura Mecella (Hrsg.), Dalla storiografia ellenistica alla storiografia tardoantica: Aspetti, problemi, prospettive, Soveria Mannelli 2010, S. 209–237, hier S. 236f., der betont, dass die anachronistische Teilung in Petros Patrikios und Anonymus post Dionem abzulehnen sei, und folglich annimmt, dass die Sammlung der erhaltenen Fragmente des Petros Patrikios etwa 210 Textstücke umfasse.
3 Bleckmann, Reichskrise, S. 97–114. Vgl. auch dazu Martolini, frammenti, S. 215–224.
4 Andrea Maurizio Martolini, L’Anonymus post Dionem, Pietro Patrizio e la Leoquelle: uno studio sulle fonti post-dionee dell’Epitome di Giovanni Zonara, Diss. Roma 2008–2009 (http://padis.uniroma1.it/handle/10805/1608; 19.02.2017).

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