Cover
Titel
Thinking Globally. A Global Studies Reader


Herausgeber
Juergensmeyer, Mark
Erschienen
Anzahl Seiten
456 S.
Preis
€ 34,70
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Matthias Middell, Universität Leipzig

Vor einigen Jahren hat der in Santa Barbara lehrende Mark Juergensmeyer zusammen mit dem in Berlin wirkenden Helmut Anheier eine vierbändige Enzyklopädie der Global Studies herausgegeben, die der neu entstehenden Disziplin ein systematisch gestaltetes Rückgrat aus Definitionen, Feldbeschreibungen und strukturierenden Debatten bietet.1 Das hat zwar die Kette von Artikeln unter der Überschrift „What is Global Studies?“2 nicht abreißen lassen, aber doch das Fundament für eine Verständigung gelegt, wie diese Frage zu beantworten sei. Angesichts von inzwischen mehr als 60 Master- und Promotionsprogrammen weltweit, die unter der Flagge der Global Studies segeln, ist dies gewiss auch ein dringendes Anliegen. Allerdings liegt es in der Natur von vierbändigen großformatigen Enzyklopädien, dass sie eher Bibliotheksregale attraktiv füllen als im Studierzimmer des wissenschaftlichen Nachwuchses zur Hand zu sein.

So lag es nahe, eine Art „Best of“ nachzuschieben. Der vorliegende Global Studies Reader greift in zahlreichen Fällen auf die entsprechenden Einträge in der Enzyklopädie zurück, ergänzt diese Basis aber mit Auszügen aus anderen Werken, die inzwischen ihre Nützlichkeit im akademischen Unterricht bewiesen haben. Das reicht von Manfred Stegers Erörterung des Aufstiegs der Globalisierungsrhetorik über Jane Burbanks und Frederick Coopers Neulektüre der Imperialgeschichte bis zu Kwame Anthony Appiahs ethischem Plädoyer für eine kosmopolitische Konversationskultur.

Das Buch ist in 20 Abschnitte eingeteilt, die jeweils drei bis vier solche Schnipsel von zwei bis vier Seiten Länge enthalten – erkennbar an den Bedürfnissen eines US-amerikanischen Semesters ausgerichtet und einer überzeugenden Logik folgend: Auf „Thinking Globally“, eine Einladung zur Auseinandersetzung mit dem Konzept der Globalisierung, folgen ein Rückblick auf die Ergebnisse globalhistorischer Studien, ein Gang durch die verschiedenen Weltregionen, die Behandlung transnationaler Kräfte in Politik, Wirtschaft und Finanz, Religion und die unvermeidliche Erosion des Nationalstaats, schließlich Felder, auf denen Effekte globaler Verflechtung besonders zu spüren sind (Geschlechterbeziehungen, informelle und illegale Ökonomien, Gesundheit und Umwelt, Kommunikation und neue Medien, Menschenrechte) sowie die Zukunftsaussichten der globalen Zivilgesellschaft.

Das Buch spiegelt den inzwischen erreichten Konsensus, an dessen Zustandekommen das Global Studies Consortium, in dem die oben genannten Graduiertenprogramme zusammengeschlossen sind, maßgeblich beteiligt war: Global Studies beschäftigen sich nicht nur mit aktuellen Ereignissen sondern prüfen (mehr oder minder konsequent!), inwieweit der discours of newness angemessen ist, um Phänomene zu beschreiben, die mit „der Globalisierung“ zusammenhängen oder zu ihrer Charakterisierung herangezogen werden. Damit ist allerdings der Stellenwert der Globalgeschichte noch nicht gesichert, denn auch Soziologen und Politikwissenschaftler entwerfen eigene Periodisierungen und tragen heftig zur Erfindung einer Vergangenheit der heutigen Globalisierung bei. Man sollte sich also nicht täuschen lassen: nicht jedes Plädoyer für eine Beachtung der geschichtlichen Dimension des Behandelten Bereiches (sei es Migration oder seien es die Internationalen Organisationen – die übrigens beide in diesem Buch eher stiefmütterlich behandelt werden) ist auch im Sinne einer kritischen Historisierung gemeint.

Ähnliches gilt für den zweiten inzwischen fest verankerten Grundsatz, wonach Global Studies tief im Wissen um die unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Weltgegenden verankert sein müssen und sich vor eurozentrischen Narrativen in Acht nehmen müssen. Eine solide Ausbildung in den Area Studies ist dafür gewiss von Nutzen, Herkunft aus einer bislang vernachlässigten Region kann diese Expertise gegebenenfalls durch die Authentizität der Beobachtungen ersetzen. Global Studies ist zu einem Feld dezidiert transnationaler Organisation von Lehre und Forschung, Rekrutierung und Anwendung geworden. Hier trifft das Fach eindeutig einen Bedarf und zugleich auf die Möglichkeiten, die heute Verkehr und Kommunikation dem Forscher bieten. Allerdings bleibt auch in dieser Hinsicht eine Warntafel aufzustellen. Der übliche Gang durch die Weltregionen kann auch zu deren Reifizierung beitragen, „Afrika“ gibt es nun nicht nur als Bestandteil einer traditionsbeladenen Geographie sondern auch – und sei es beglaubigt durch die entsprechende Isolierung in einem Kapitel des kanonischen Readers – als unbezweifelbare Analyseeinheit der Globalisierungsforschung. Gleiches träfe natürlich auch auf Europa oder die Amerikas zu. Hier wäre etwas kritische Distanz hilfreich.

Der dritte Grundsatz betrifft die Interdisziplinarität der Global Studies. Dies beschreibt zunächst ihre Herkunft: an vielen Standorten als Zentren oder Arbeitsgemeinschaften entstanden, versammeln Global Studies-Programme Vertreter verschiedener Fächer. Zu deren Erfahrungsschatz gehören spannende Diskussionen zur Komposition von Curricula, Anerkennung durch benachbarte Disziplinen oder Ausgrenzung, wenn es um die Anerkennung als Fach geht. Das Schlagwort von der Interdisziplinarität soll also zunächst das Offene und Innovative betonen – die schärfste Waffe gegen die Etablierten. Allerdings ist absehbar, dass sich eine rituelle Beschwörung des Newcomer-Status erschöpfen wird. Nach beinahe zwanzig Jahren außerordentlich erfolgreicher Institutionalisierung im Bereich der BA- und MA-Studien, inzwischen sogar mit ersten PhD-Programmen, steigen die Anforderungen. Waren die ersten beiden Jahrzehnte vor allem mit der Neuvermessung von Gegenständen oder sogar deren Entdeckung verbunden, steht nun die Frage nach einer Methodologie der Global Studies im Vordergrund. Hier bedarf es einer stringenten Erläuterung des Mehrwertes gegenüber traditionellen sozialwissenschaftlichen oder (weniger traditionellen) kulturwissenschaftlichen Vorgehensweisen, einer Klärung des Anteils historischer Zugänge und einer wettbewerbsfähigen Professionalisierungsstrategie, die die ethischen Dimension der Interventionsbereitschaft von Global Studies-Absolventen in eine sich weiter globalisierende Welt kritisch reflektiert.

Der vorliegende Band breitet einiges vom Reichtum aus, den die Grabungen früher Global Studies-Vertreter zu Tage gefördert haben. Dass er dabei ausschließlich auf englischsprachige Publikationen zurückgreift (also weder eurozentrisch noch auf den globalen Norden fixiert, wohl aber anglozentrisch ist), liegt an den Entstehungsbedingungen und dem vermuteten Lesepublikum. Es reflektiert zugleich einen Vorsprung der angelsächsischen Wissenschafts- und Verlagsszene in diesem Feld. Ob sich dies ändert, wird man sehen müssen, aber eine problematische Folge ist bereits jetzt spürbar: bei aller Betonung der notwendigen Multiperspektivität wird Globalisierung als quasi-natürlicher Prozess behandelt, auf den man verschieden schauen kann, je nachdem, wo man ihn erlebt. Mark Juergensmeyers sehr nützlicher Reader folgt diesem Grundsatz der Anerkennung verschiedener Sichtweisen auf die Globalisierung. Ob es verschiedene Globalisierungen, d.h. verschiedene Projekte des Umgangs mit globalen Verflechtungen gibt, bleibt in einem nächsten Reader zu fragen.

Anmerkungen:
1 Helmut K. Anheier / Mark Juergensmeyer (Hrsg.), Encyclopedia of Global Studies, Thousand Oaks 2012.
2 Zuletzt wieder Juergensmeyers UCSB Kollege Jan Nederveen Pieterse, What is Global Studies?, in: Globalizations 10 (2013) 4, S. 499–514.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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