M. Kukowski u.a.: Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto Union

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Titel
Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto Union AG Chemnitz im Zweiten Weltkrieg.


Autor(en)
Kukowski, Martin; Boch, Rudolf
Reihe
Beiträge zur Unternehmensgeschichte 34
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
518 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Irmer, Berlin

Mit ihrer Untersuchung über die sächsische Auto Union AG wollen Martin Kukowski und Rudolf Boch eine Lücke in der Geschichte des deutschen Automobilbaus in der NS-Zeit schließen. Durch die Fusion der vier sächsischen Fahrzeugbauer DKW, Horch, Wanderer und Audi entstand 1932 der drittgrößte deutsche Hersteller von Automobilen und Motorrädern, als ein „de facto privatwirtschaftlich geführter Staatsbetrieb“ (S. 43) im Mehrheitsbesitz der Sächsischen Staatsbank. Die Vereinigung drückte sich auch im Firmenlogo aus, das aus vier miteinander verbundenen Ringen bestand, die zusätzlich die Signets und eingravierten Namen der zusammengeführten Einzelfirmen enthielten. An die vier Ringe knüpft auch das Logo der heutigen Audi AG an, die aus dem nach 1945 im bayerischen Ingolstadt wiedergegründeten Nachfolge-Unternehmen hervorgegangen ist.

Die Audi AG hat die vorliegende Untersuchung, so die Autoren, „angesichts aufkommender kritischer Stimmen zur Unternehmenshistorie“ angeregt und gefördert. Im Besonderen ist damit die Diskussion über den Einsatz von KZ-Häftlingen gemeint, die 2010 durch zwei Gutachten unterlegt worden war.1 Auf der Grundlage damals zugänglicher Studien hatte Mark Spoerer den Anteil von KZ-Häftlingen, die in Werken der Auto-Union und im Baueinsatz eines Untertage-Verlagerungsprojektes eingesetzt wurden, für ein Unternehmen außerhalb der Luftfahrt als „ungewöhnlich hoch“ eingeschätzt. Das deute auf eine besondere Nähe zum NS-Regime hin. Eine solche Sonderrolle weisen Kukowski und Boch im Ergebnis ihrer Studie zurück. Vielmehr vertreten sie die These, dass die Auto Union bei der Aufnahme von Rüstungsproduktion im Vergleich ein „kriegswirtschaftlicher Spätstarter“ (S. 479) gewesen sei. Der Einsatz von Zwangsarbeiter/innen und der Produktionseinsatz von KZ-Häftlingen habe in quantitativer Hinsicht dem Durchschnitt der Automobilbranche entsprochen.

Kukowski und Boch haben eine Vielzahl unterschiedlicher Quellen ausgewertet. Im Mittelpunkt steht dabei der zweitgrößte erhaltene „Aktenfonds der deutschen Automobilindustrie für die Zeit vor 1945“ (S. 21), der vom Sächsischen Staatsarchiv verwahrt wird. Die umfangreich vorhandenen Personalakten (von 8.000 Angestellten) weisen indes Lücken bei Akteuren der Unternehmensspitze auf. Außerdem liegen nur wenige Unterlagen über die Unternehmenspolitik im besetzten Osteuropa vor. „Eher trist“ stellt sich zudem die Quellenlage bei den Leitungsgremien der NS-Rüstungswirtschaft hinsichtlich der Auto Union dar (S. 19). Ähnliches gilt für Unterlagen über Verhandlungen mit der SS wegen des Einsatzes von KZ-Häftlingen. Die Autoren gehen zunächst auf die Unternehmensentwicklung der Auto-Union bis Kriegsbeginn ein, wobei sie sich hier auf bereits von Martin Kukowski vorgelegte Arbeiten stützen. Der Entwicklung bis 1942, unter dem „Speerschen Rüstungsregime“ 1942 bis 1944 und dem „radikalisierten Rüstungsregime“ 1944/45 sind ebenfalls eigene Abschnitte gewidmet, gefolgt von einem letzten, vergleichsweise kurzen Kapitel zur Nachkriegsentwicklung.

Die Auto-Union zählte zu den „Gewinnern“ des Dritten Reichs“ (S. 44). Sie wuchs sogar überdurchschnittlich: Zwischen 1933 und 1939 konnte sie ihren Marktanteil bei Automobilen auf 25 Prozent ausbauen. Im Motorradbau war sie mit 35 Prozent Marktführer. Die Zahl der deutschen Beschäftigten stieg von 4.300 auf knapp 25.000. Bereits seit Mitte der 1930er Jahre beteiligte sich das Unternehmen an der nationalsozialistischen Luftrüstung durch den Aufbau der Mitteldeutschen Motorenwerke Taucha, einem Hersteller von Flugzeugmotoren. Nach Kriegsbeginn stieg die Auto-Union in den Bau von Heereskraftwagen und -motorrädern ein. Einzelne Konzernwerke übernahmen andere Rüstungsproduktionen wie zum Beispiel das Horch-Werk, das sich auf den Bau von Torpedos für die Marine spezialisierte.

Den Arbeitskräfterückgang durch Einberufungen zur Wehrmacht versuchte das Unternehmen zunächst durch Rationalisierung und die Ausweitung von Frauenarbeit auszugleichen. Entscheidend wurde aber, wie bei den meisten Unternehmen, der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte: Seit dem Herbst 1940 beschäftigte die Auto-Union AG überwiegend ausländische Zivilarbeiter aus Westeuropa, seit dem Mai 1941 im geringeren Umfang auch französische Kriegsgefangene. Noch bis Herbst 1943 bestand jedoch die Mehrzahl ausländischer Arbeitskräfte der Auto-Union aus Westeuropäern. Anschließend kamen hauptsächlich italienische Militärinternierte und Osteuropäer, darunter auch russische Kriegsgefangene. Unter den Zwangsarbeiterinnen befanden sich überwiegend Frauen aus Osteuropa.

Die Arbeits- und Lebensbedingungen der zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren unter anderem durch Überbelegungen in den Unterkünften und schlechte sanitäre Verhältnisse sowie Mängel bei der Versorgung mit Kleidung und insbesondere Verpflegung gekennzeichnet. Immer wieder führten „Führungskräfte der Auto-Union Unterernährung als Ursache für Leistungsdefizite“ an (S.284). Aus den Werken der Auto-Union in Chemnitz und Siegmar sind außerdem viele gewalttägige Übergriffe von Werkschutz- und Belegschaftsangehörigen auf ausländische Arbeitskräfte auf West und Osteuropa dokumentiert. Bei der Untersuchung der Arbeits- und Lebensbedingungen der zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter stützen sich die Autoren leider überwiegend auf Aktenüberlieferungen und kaum auf Zeitzeugenberichte. Bisher wurde offenbar noch kein Versuch unternommen, gezielt ehemalige zivile Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge der Auto Union zu befragen.

Der Häftlingseinsatz in Fertigungen von Konzernwerken der Auto-Union begann im August 1944, in der Folgezeit wurden sechs Außenlager errichtet. Kukowski und Boch gehen auf alle Häftlings-Einsätze ein, auch wenn die Quellenlage sehr unterschiedlich zu sein scheint. Die Lebensbedingungen im größten Außenlager beim Horch-Werk in Zwickau beschreiben die Autoren als besonders schlecht. Noch Anfang 1945 wurden von dort 350 kranke Häftlinge nach Flossenbürg zurücküberstellt und durch arbeitsfähige Häftlinge ersetzt. Bei den Produktionseinsätzen sei zwar, so die Autoren, der Anteil von KZ-Häftlingen mit 7,4 Prozent hoch gewesen, aber nicht so umfangreich, wie ihn Spoerer (mit über 10 Prozent) geschätzt habe. Im Vergleich zu anderen deutschen Autokonzernen habe die Auto-Union dennoch keine Sonderrolle eingenommen. Gleichwohl lagen konkrete Pläne für weitere Häftlingseinsätze in der Schublade.

Die zugespitzte Form der Zwangsarbeit für die Auto-Union war der umfangreiche Einsatz von KZ-Häftlingen für das Verlagerungsprojekt „Richard“ in Leitmeritz. Es war das siebte Außenlager der Auto-Union mit Häftlingen aus Flossenbürg, das etwa durch die Inbetriebnahme eines eigenen Krematoriums noch im April 1945 immer mehr Züge eines eigenen Konzentrationslagers annahm. Insgesamt leisteten beim Bau und in der Produktion in Leitmeritz schätzungsweise 18.000 KZ-Häftlinge Zwangsarbeit. Etwa 4.500 von ihnen starben aufgrund der katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen. Zur Einordnung dieser Häftlingseinsätze und der Rolle der Unternehmensführung fordern Kukowski und Boch mehr Differenzierung: Die beim Bau der Untertage-Verlagerung eingesetzten Häftlinge seien „Häftlingsarbeiter der SS“ gewesen (S. 401). Die besonders katastrophalen Zustände beim Baueinsatz von etwa 2.000 KZ-Häftlingen waren den Verantwortlichen der Auto-Union aber bekannt. Dennoch hielten sie an dem Verlagerungsprojekt fest2, auch wenn sie, wie Kukowski und Broch betonen, keine „direkte, justiziable Personalverantwortung“ (S. 400, 478) trugen. Dramatisch waren aber auch die Bedingungen für in Leitmeritz eingesetzte „Produktionshäftlinge“, deren Todesrate Ende 1944 auf zeitweise auf etwa 50 Prozent (!) angestiegen sein soll.3 Hauptursache war offenbar die mangelhafte Ernährung durch die Auto-Union.

Es ist ein großes Verdienst der Autoren, die Grundlage für die Geschichte der Auto-Union in der NS-Zeit gelegt zu haben. Durch die Auswertung einer Fülle von Quellen sind sie zu beeindruckenden Ergebnissen gelangt, die ein facettenreiches Bild über die Auto-Union in der NS-Zeit ermöglichen. Ihre Studie liefert zudem einen wichtigen Baustein für die Gesamtschau der Geschichte der deutschen Industrie im „Dritten Reich“. Für eine weitere, gerade auch qualitative Einordnung der Häftlingseinsätze in Leitmeritz und der Rolle der Unternehmensführung wäre ein Vergleich mit anderen Verlagerungs- und Produktionseinsätzen im selben Zeitraum sinnvoll. Bei seiner Veröffentlichung stieß der Band auf ein vielfältiges Echo. Zu den ersten Reaktionen der Audi AG zählte die Distanzierung von dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Richard Bruhn durch die Umbenennung einer nach ihm benannten Pensionskasse, die auf Antrag des Gesamtbetriebsrates erfolgte. Audi kündigte darüber hinaus an, Kontakt mit Überlebenden aufzunehmen und mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zusammenzuarbeiten.4 Konkrete Schritte wurden allerdings noch nicht bekannt gegeben.

Anmerkungen:
1 Patrick Bormann / Per Tiedtke, Erweiterter Forschungsbericht Auto Union, Bonn 2010, <http://www.wiwo.de/downloads/9943598/1/Erweiterter%20Forschungsbericht%20Auto%20Union> (Stand 11.05.2015); Mark Spoerer, Umfang und Interpretation des Einsatzes von Zwangsarbeitern für den Auto-Union-Konzern im Zweiten Weltkrieg, Paris 2010, <http://www.wiwo.de/downloads/9943596/1/> (Stand 12.05.2015).
2 Alfons Adam, „Die Arbeiterfrage soll mit Hilfe von KZ-Häftlingen gelöst werden“. Zwangsarbeit in KZ-Außenlagern auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik, Berlin 2013, S. 347–350.
3 Adam, Arbeiterfrage, S. 350–355, hier S. 354.
4 „Audi-Vorgänger Auto Union – Audi zieht Konsequenzen aus NS-Vergangenheit“, in: wallstreet:online 16.06.2014, <http://www.wallstreet-online.de/nachricht/6818998-audi-vorgaenger-auto-union-audi-konsequenzen-ns-vergangenheit> (Stand 11.05.2015).

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