L. Thommen: Die Wirtschaft Spartas

Cover
Titel
Die Wirtschaft Spartas.


Autor(en)
Thommen, Lukas
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
191 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Moritz Hinsch, Exzellenzcluster TOPOI, Humboldt-Universität zu Berlin

Wenn von der Wirtschaft des antiken Griechenlands die Rede ist, wird ein Gemeinwesen meist ausgeklammert: Sparta. Der Topos von der ‚Krieger-zunft‘, die ein sprichwörtlich ‚spartanisches‘ Leben geführt habe, ist allgemein verbreitet. Thommens Überblickswerk soll diese Sichtweise korrigieren. In der Einführung heißt es programmatisch: „Spartas Eigenheiten reichen auch im wirtschaftlichen Bereich nicht aus, um es pauschal als ‚Spezialfall‘ abzutun“ (S. 16f.). Thommen knüpft dafür einerseits an eigenen Studien an, andererseits an die allgemeine Tendenz insbesondere der englischsprachigen Forschung, den Ausnahmecharakter der Wirtschaft Spartas zu relativieren 1.

Die ersten fünf Kapitel sind systematisch gegliedert. Das erste Kapitel (S. 19–27) widmet sich den topographischen Bedingungen. Im Abschnitt ‚Territorium‘ (S. 19–24) relativiert Thommen das bekannte Diktum des Thukydides (Thuk. 1.10) über Spartas dörfliche Siedlungsform dahingehend, dass Sparta durchaus über ein Zentrum mit privaten und öffentlichen Bauten verfügte (S. 23). Zwei weitere Abschnitte widmen sich dem archäologisch belegten Straßennetz auf der Peloponnes und den periökischen Häfen im Osten der Halbinsel (S. 24–27). Thommen dienen diese Befunde als Belege dafür, dass Sparta „rundum relativ gut erreichbar war“ (S. 26) und „die nötigen Voraussetzungen für den Seehandel“ besaß (S. 27). Diese Schlüsse hätten noch an Überzeugungskraft gewonnen, wenn eine grobe Schätzung der Reisezeiten bei der damals gegebenen Transporttechnik ergänzt worden wäre.

Das zweite Kapitel (S. 28–61) widmet sich den Institutionen und sozialen Gruppen der spartanischen Gesellschaft und ihrem jeweiligen Beitrag zur Wirtschaft. Für Leser, die mit der Geschichte Spartas vertraut sind, ist hier das meiste bekannt. Der Abschnitt über die Spartiaten (S. 30–34) widerspricht der Auffassung, dass die Spartaner sich nicht selbst um die Verwaltung ihrer Anwesen gekümmert hätten und äußert die Vermutung, dass Spartiaten über abhängige Heloten oder Periöken Gewinn aus Handwerk und Handel zogen (S. 30f.). Thommen hebt zu recht hervor, dass die Bezeichnung als ‚Ebenbürtige‘ (homoioi) nicht absolute soziale Gleichheit meinte, sondern Gleichheit der ständischen Lebensführung (S. 32). Den freien, aber politisch ausgeschlossenen Periöken (S. 34–38) wird eine „wesentliche wirtschaftliche Vermittlerfunktion zwischen den Bürgern Spartas und der Außenwelt“ (S. 36) zugeschrieben. Wie sich diese angenommene Vermittlerfunktion aber konkret gestaltete, wird nicht näher erläutert. Die abhängige Bevölkerung der Heloten wird als Grundlage für die Existenz der Bürger bezeichnet (S. 38–42). Ihre enge Bindung an das spartanische Gemeinwesen habe seinen Ausdruck sowohl durch die Teilnahme an öffentlichen Festen gefunden, als auch an dem „Vertrauensverhältnis“, dass zwischen einem Heloten und seinem Herren bestanden habe (S. 41). Der folgende Abschnitt zur Armee (S. 43–53) betrifft das Thema Wirtschaft insofern, als er zeigt, wie die Spartaner durch zahlreiche Söldnereinsätze die öffentlichen (und privaten) Kassen füllten (S. 46–51). Ein letzter Abschnitt (S. 54–61) behandelt die privaten und formellen Gastfreundschaften zwischen Sparta und anderen griechischen Städten.

Das dritte Kapitel (S. 62–69) widmet sich der Landwirtschaft und der Tierzucht. Thommen folgt Stephen Hodkinson mit der Annahme, dass die angeblich auf Lykurg zurückgehende Festlegung von 9.000 Landlosen (kleroi) eine Fiktion aus hellenistischer Zeit gewesen sei, die Bodenreformen rechtfertigen sollte 2. In archaischer und klassischer Zeit habe Land durchaus privat den Besitzer gewechselt und sei ungleich verteilt gewesen (S. 62f.). Die anschließend aufgelisteten Anbauprodukte und Nutztierarten entsprechen den in Griechenland allgemein üblichen Agrarprodukten, eine besondere Bedeutung wird der Purpurschneckenfischerei zugerechnet (S. 68f.).

Das vierte Kapitel (S.70–81) ist nach Rohstoffen und Produktsorten (Keramik, Metalle, Marmor, Stoffe, Kleider, Schuhe) gegliedert und zählt alle bekannten Produkte und Produktionsstätten auf. Verschiedene Marmorarten sowie purpurgefärbte Stoffe seien besonders in der römischen Kaiserzeit Exportgüter gewesen, die auch jenseits von Lakonien nachgefragt wurden (S. 81).

Das fünfte Kapitel widmet sich der Finanzwirtschaft (S. 83–113). Thommen widerspricht dem „Topos, dass Geld und Besitztum in Sparta wertlos gewesen seien“ (S. 84) und verweist zu Recht darauf, dass eigenständige Münzgeldprägung keine zwingende Voraussetzung für Handel sei. Anschließend zeigt er, wie politische Gewinne in Form von ‚Bestechungen‘ und Kriegsbeute beträchtliche Geldmengen nach Sparta brachten (S. 89–94, 99–107). Die Abschnitte zur Kriegskasse und zu anderen öffentlichen Kassen (S. 94–99, 107–113) führen aus, dass die öffentlichen Finanzen zwar tatsächlich unsystematisch gehandhabt wurden und nur in Reaktion auf ad-hoc-Bedürfnisse weiterentwickelt worden seien, dies aber kein grundsätzlicher Unterschied zur Praxis anderer griechischer Städte gewesen sei (S. 110f.).

Die folgenden drei Kapitel 6–9 bieten einen Überblick der historischen Entwicklung. Das Kapitel zur archaischen Wirtschaft (S. 114–124) argumentiert überzeugend, dass Sparta in vorklassischer Zeit noch durchaus keine untypische Polis gewesen sei. Archäologische und literarische Zeugnisse belegen sogar relativen Wohlstand und gewerbliche Betätigung. In Klassischer Zeit (Kap. 7, S. 125–133), habe der regionale wie überregionale wirtschaftliche Austausch zwar weiterhin zugenommen, es sei aber zugleich zu zwei desintegrierenden Entwicklungen gekommen: Einerseits schrumpfte die Bürgerschaft insgesamt, andererseits öffnete sich eine Schere zwischen reichen Bürgern, die Landbesitz akkumulierten, und armen Bürgern, denen der soziale Abstieg drohte. Die Folgen dieser Entwicklung zeichneten sich in hellenistischer Zeit (Kap. 8, S. 134–154) ab, als verschiedene Reformversuche scheiterten. In der römischen Kaiserzeit (Kap. 9, S. 155–167) bedeutete die politische Integration in das Weltreich eine ‚Normalisierung‘ der wirtschaftlichen Verhältnisse. Sparta profitierte von der Anbindung in das weitgespannte Handelsnetz und seiner legendären Vergangenheit, die wohlhabende ‚Touristen‘ und kaiserliche Großzügigkeit anlockte.

Die Beurteilung dieser Monographie ist zwiespältig. Thommens Einführung in das Thema der Wirtschaft Spartas nimmt ein Desiderat der (deutschsprachigen) Forschung in Angriff und trägt mit viel Quellenkenntnis eine Fülle von Material zusammen. Dagegen vermisst man eine Diskussion der theoretischen Modelle und Methoden, um dieses Material zu interpretieren. Eine eigenständige Darstellung des spartanischen Haushalts (wie sie etwa Hodkinson versucht hat) fehlt ebenso wie die ausführliche Erörterung der wirtschaftlichen Funktion von Treu- und Nahbeziehungen 3. Methodisch problematisch ist, dass einige der allgemeinen Schlussfolgerungen nicht hinreichend durch die aufgeführten Belege abgesichert sind. Etwa wenn es heißt, dass die Pflege von Gastfreundschaften „Profit für die Stadt generierte“ (S. 55), was plausibel ist, wofür sich im entsprechenden Appendix allerdings kein sicherer Beleg findet.

Schließlich wäre beim antiken Topos der spartanischen Verachtung für Reichtum und Erwerb expliziter zu unterscheiden gewesen zwischen Plutarch, der Anfang des 2. Jh. n. Chr. aus literarischen Quellen ein Idealbild konstruierte, und zeitgenössischen Beobachtern wie Xenophon. Immerhin wurde die ‚anti-chrematistische‘ Ideologie nicht nur von den Spartiaten selbst gepflegt, sondern auch von anderen Griechen bewundert 4. Zumindest diesen Zeitgenossen erschien Sparta durchaus ein ‚Spezialfall‘ zu sein angesichts der rasanten ökonomischen Veränderungen in der Ägäis. Eine Erklärung dieser Wahrnehmung, anstatt der bloßen Abwertung als Topos ohne „direkten Aussagewert“ (S. 120), wäre eine spannende Ergänzung der Monographie gewesen.

Thommens Überblickswerk erschöpft das Thema ‚Wirtschaft‘ theoretisch und methodisch nicht und konnte den Rezensenten mit der Hauptthese, dass Sparta kein ‚Spezialfall‘ gewesen sei, für die klassische Zeit nicht überzeugen. Als Einführung bietet das Werk jedoch den angestrebten Überblick und ist dank der zahlreichen Appendices und detaillierten Quellenangaben zugleich eine nützliche Handreichung für weitergehende Forschung.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Lukas Thommen, Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart 2003; zur englischsprachigen Forschung s. besonders: Stephen Hodkinson, Property and Wealth in Classical Sparta, London 2000.
2 Vgl. Hodkinson, Property, S. 65–113.
3 Vgl. Stephen Hodkinson, Servile and Free Dependants of the Classical Spartan ‚oikos’, in: Mauro Moggi / G. Cordiano (Hrsg.), Schiavi e dipendenti nell'ambito dell' ‚oikos’ e della ‚familia’, Pisa 1997, S. 45–71.
4 Vgl. Thomas J. Figueira, Iron Money and the Ideology of Consumption in Laconia, in: Anton Powell / Stephen Hodkinson (Hrsg.), Sparta beyond the mirage, Swansea 2002, S. 137–170.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension