C. Malone u.a. (Hrsg.): Consuetudines et Regulae

Cover
Titel
Consuetudines et Regulae. Sources for Monastic Life in the Middle Ages and the Early Modern Period


Herausgeber
Malone, Carolyn Marino; Clark Maines
Reihe
Disciplina Monastica
Erschienen
Turnhout 2014: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
375 S., Ill.
Preis
€ 156,33
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mirko Breitenstein, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig

Der zu besprechende Band präsentiert Beiträge einer im Jahr 2007 im Château de la Bretesche veranstalteten Tagung zum Thema "Medieval Customaries and Monastic/Regular Life: Approaches from across the Disciplines". Wie die Herausgeber einleitend bemerken, konnten zwar nicht alle der gehaltenen Vorträge im Band verschriftlicht werden, doch bieten auch die neun hier vereinten Aufsätze von durchweg hohem Niveau nicht nur eine beachtliche Fülle an Material, sondern vermögen überdies durch den weiten zeitlichen Rahmen vom 8. bis zum 18. Jahrhundert, dem Leser auch einen diachron vergleichenden Zugriff auf Phänomene der regulierten Vita religiosa zu bieten. Der zeitliche Schwerpunkt der Beiträge liegt jedoch deutlich auf dem 11. und 12. Jahrhundert.

Ziel des Bandes ist es, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung betonen, Regeln und Consuetudines als Quellen zum Verständnis des monastischen Alltags in all seinen Dimensionen (S. 15) zu betrachten. Dabei verstehen sie – und diese Präzisierung ist wichtig für die Frage nach der Konzeption des Bandes – die titelgebenden consuetudines et regulae, d.h. "customaries and rules", als "texts that describe and prescribe all aspects of daily life in the monastic community" (S. 15). Die Formulierungen der Herausgeber legen nahe, dass sie unter ‚Texten‘ ausschließlich schriftliche Aufzeichnungen verstehen, was im gegebenen Zusammenhang sehr nachvollziehbar erscheint. Insofern ist es aber durchaus überraschend, wenn in der gleichen Einleitung, sogar noch auf der gleichen Seite, formuliert wird, dass "customs" durchaus auch in nicht-schriftlicher Form begegnen, worauf auch im Weiteren explizit hingewiesen wird: "not all customs were written down" (S. 16). Auch dies ist für sich genommen kaum zu bestreiten, in Kombination mit der vorangegangenen Bestimmung lässt eine solche Aussage aber doch aufmerken. Dieser Widerspruch verweist dabei jedoch auf ein grundsätzliches Problem, das sich in den konzeptionellen Ausführungen der Einleitung erkennen lässt: So wird nämlich die mittelalterliche Bezeichnung consuetudo als Begriff für ein ganzes Spektrum von normativen Phänomenen verwendet, die sich bei einer analytischen Betrachtung als durchaus sehr verschieden präsentieren.1 Auf diese Weise werden Texttypen ganz unterschiedlicher Art und verschiedenen normativen Charakters unter einem Etikett subsumiert und damit zugleich wesentliche historische Entwicklungslinien verdeckt. Trotz dieser konzeptionellen Schwäche sind die sich anschließenden Beiträge sowohl für sich genommen als auch im unmittelbaren Bezug mit großem Gewinn zu lesen.

Gegliedert ist der Band in drei Sektionen, die ihrerseits von durchaus verschiedener Kohärenz sind. Die erste Sektion "Customary Texts as Sources for Monastic Life" vereint Aufsätze von Isabelle Cochelin (Customaries as Inspirational Sources, mit einem herausragenden Appendix: The relation between the last Cluniac customaries, Udal and Bern), Catherine Bonnin-Magne (Les coutumiers clunisiens, témoins de la fixation et de la diffusion du sanctoral clunisien) und Pius Engelbert (Editing William of Hirsau’s Constitutiones Hirsaugienses). Mit diesen drei Studien stehen die ‚klassischen‘ Consuetudines cluniazensischer Prägung, ihre Entstehung, ihre Abhängigkeiten und – insbesondere bei Isabelle Cochelin – ihre Funktionalität im Vordergrund. Cochelin, wohl die weltweit beste Kennerin der Consuetudines Bernhards und Ulrichs von Cluny, ordnet diese nicht nur in den historischen Kontext ein, sondern vermag zudem auch überzeugend Inspiration als einen zwar weichen, aber doch entscheidenden Faktor im Zusammenhang von Abfassung und Verbreitung von Consuetudines zu präsentieren. Catherine Bonnin-Magne wiederum widmet sich dem von der historischen Forschung insgesamt vernachlässigten Feld der Liturgie und untersucht auf Grundlage der Consuetudines die Entwicklung der Messfeiern an Jahrtagen des Heiligenkalenders. Pius Engelbert schließlich, der jüngst mit Candida Elvert seine Neuedition der Constitutiones Hirsaugienses vorlegen konnte2, beschäftigt sich mit Fragen nach deren Abhängigkeit von den cluniazensischen Vorlagen.

Die zweite Sektion enthält unter dem Titel “Customary Texts and Monastic Architecture” Beiträge von Anne Baud und Christian Sapin (L’abbaye de Cluny entre architecture et liturgie au XIe siècle), Carolyn Marino Malone (Customaries as Evidence for Interpreting Saint-Bénigne in Dijon as an Unusual Liturgical Frame) sowie Sheila Bonde und Clark Maines (Consuetudines in Context: Change and Continuity in the Customs and Architecture of Augustinian Saint-Jean-des-Vignes, Soissons, 1098–1783). Diese Fragen nach den Zusammenhängen von Consuetudines und Raum gewidmete Sektion ist die umfangreichste des gesamten Bandes. Zunächst präsentieren Anne Baud und Christian Sapin Ergebnisse ihrer jüngsten Ausgrabungen in Cluny und setzen diese in ein Verhältnis zum Liber Tramitis. Dabei gelingt es ihnen, zahlreiche Fehlinterpretationen der Grabungsergebnisse von Kenneth J. Conant aus den 1930er-Jahren zu korrigieren. Die Basilika von Saint-Bénigne in Dijon steht im Blick des Beitrags von Carolyn Marino Malone, in dem sie die architektonischen Befunde sowohl in Beziehung zu den lokalen als auch zu den cluniazensischen Consuetudines bringt und dabei Veränderungen von Text und Architektur in Relation zu setzen vermag. Sheila Bonde und Clark Maines schließlich untersuchen die Abfolge der verschiedenen, von ihnen als consuetudines identifizierten Texte der Regularkanonikergemeinschaft von Saint-Jean-des-Vignes in Soissons von deren Anfängen im ausgehenden 11. bis zur endgültigen Auflösung am Ende des 18. Jahrhunderts. Der diachrone Vergleich normativer Parameter über einen solch langen Zeitraum ist bereits für sich von außerordentlichem Interesse; die Studie profitiert jedoch zugleich auch vom stets parallelen Blick der Autoren auf Text und Raum.

In der dritten Sektion schließlich sind Beiträge von Éric Palazzo (Les cinq sens dans la liturgie monastique du haut Moyen Âge), Alain Rauwel (Le choix de la régularité. Observations sur l’adoption de la règle de saint Augustin dans les diocèses de Langres et Autun au XIIe siècle) und Bert Roest (Rules, Customs, and Constitutions within the Medieval Order of Poor Clares) vereinigt. Éric Palazzo widmet seinen Beitrag der Bedeutung und Funktion der Sinne im Rahmen der Liturgie, wobei ein Schwerpunkt seiner Ausführungen auf den Consuetudines von Fleury gründet. Mit der Annahme der Augustinusregel innerhalb der Kanonikerbewegung in Burgund beschäftigt sich Alain Rauwel. Bert Roest schließlich beleuchtet in seiner Studie sowohl die verschiedenen Ausdrucksformen franziskanisch inspirierter Frömmigkeit bei Frauen als auch die entsprechenden Versuche, diese normativ zu binden und somit schließlich zu institutionalisieren.

Das Buch schließt mit einer Gesamtbibliographie zu den einzelnen Beiträgen und einem erfreulich umfangreichen Register, das jedoch leider nicht alle Vorkommen der einzelnen Lemmata erfasst. Kurzum: Es ist ein lesenswerter und für die Beschäftigung mit den normativen Grundmustern der Vita religiosa wichtiger Band mit einer gewissen konzeptionellen Schwäche, aber dennoch sehr gelungenen Beiträgen.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu Gert Melville, Regeln – Consuetudines-Texte – Statuten. Positionen für eine Typologie des normativen Schrifttums religiöser Gemeinschaften im Mittelalter, in: Cristina Andenna / Gert Melville (Hrsg.), Regulae – Consuetudines – Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli centrali del Medioevo. Atti del I e II Seminario internazionale di studio del Centro italo-tedesco di storia comparata degli ordini religiosi (Bari/Noci/Lecce, 26–27 ottobre 2002 / Castiglione delle Stiviere, 23–24 maggio 2003), Münster 2005, S. 5–38.
2 Pius Engelbert (Hrsg.), Willehelmi abbatis Constitutiones Hirsaugienses, 2 Bde., Siegburg 2010.

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