T. Feller: Die Geschichte Mallorcas

Cover
Titel
Die Geschichte Mallorcas.


Autor(en)
Freller, Thomas
Erschienen
Ostfildern 2013: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietrich Ebeling, Fachbereich Geschichte, Universität Trier

Wie viele andere Mittelmeerinseln lebt Mallorca heute fast ausschließlich vom Tourismus, was den zunehmenden Zweit- oder auch Erstwohnsitz von Deutschen, Briten, Franzosen und Skandinaviern einschließt. Im Unterschied zu anderen Inseln ist diese Monostruktur hier ungleich ausgeprägter. Schon in der Einführung der vorliegenden „Geschichte Mallorcas“ wird deutlich, woran dies liegt: am Mangel an natürlichen Ressourcen. Anders als im Falle Siziliens, das schon in römischer Zeit eine der Kornkammern des Mittelmeerraums war, oder Sardiniens, dessen Silber-, Blei- und Zinkvorkommen bereits von den Phöniziern ausgebeutet wurden, hatte und hat Mallorca weder größere fruchtbare Böden noch nennenswerte Bodenschätze zu bieten. Nicht einmal eine im größeren Stil zu betreibende Salzgewinnung wie auf Ibiza war hier möglich. Dass die Insel dennoch vor der Zeit des Massentourismus eine bedeutende Rolle im westlichen Mittelmeerraum spielte – alleine die Dimension der Kathedrale in Palma verweist darauf – muss andere Gründe gehabt haben. Diesen nachzuspüren macht den Reiz einer Beschäftigung mit der Geschichte Mallorcas aus.

Es ist daher von großem Vorteil, dass der Autor ein guter Kenner der Geschichte des westlichen Mittelmeerraums und damit in der Lage ist, die Geschichte Mallorcas aus den herrschaftlichen Zusammenhängen, in denen die Insel spätestens seit der römischen Zeit stand, zu schreiben sowie die archäologischen, kunsthistorischen, sprachhistorischen und kulturhistorischen Forschungsergebnisse in Beziehung zur allgemeinen Geschichte zu setzen. Gleichwohl: Das Konzept des Buches ist aufgrund des großen Gewichts der Ereignis- und Politikgeschichte als konventionell zu bezeichnen. Wirtschafts-, Sozialgeschichte und auch Kulturgeschichte kommen leider viel zu kurz. Bezeichnend dafür ist, dass Fernand Braudels in seinem Mittelmeerbuch realisierter Ansatz einer ‚histoire totale‘ nicht einmal erwähnt wird, das Buch selbst in den Literaturhinweisen nicht auftaucht. Mag man das noch damit erklären, dass Braudel zur Geschichte Mallorcas direkt nichts beigetragen hat, so verwundert es doch sehr, dass auch die auf intensiver Forschung basierenden Arbeiten von Carles Manera Erbina zur frühmodernen und modernen Wirtschaftsgeschichte offenbar nicht genutzt wurden.1 Bezeichnenderweise wird auch der tiefe soziale Spuren hinterlassende Aufstand der Masse der städtischen wie der ländlichen Bevölkerung (die so genannte argermanat-Bewegung) in den 1520er Jahren ereignisgeschichtlich abgehandelt und nicht in den Kontext eines sich im Niedergang befindenden Exportgewerbes und einer verkrustenden Feudalgesellschaft gestellt. Das sich nach der Niederschlagung des Aufstandes ausbreitende und bis in das 17. Jahrhundert grassierende Bandenwesen als Ausdruck krasser sozialer Gegensätze wird gar nicht behandelt. Das heute vor allem für die Kulturgeschichte Quellenwert besitzende Werk des Erzherzogs Ludwig Salvator wird nirgendwo erkennbar genutzt.2 Hinsichtlich der Integration Mallorcas in das römische, arabische und schließlich aragonesisch-katalanische Herrschaftssystem im westlichen Mittelmeerraum und der seit der arabischen Herrschaft eminent wichtigen Rolle Mallorcas im Handel zwischen dem Maghreb, den Handelsstädten an der iberischen und südfranzösischen Mittelmeerküste sowie den italienischen Stadtrepubliken Pisa und später vor allem Genua setzt das Buch zu Recht einen Schwerpunkt. Palma soll in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts etwa so viele Einwohner wie Köln, größte Stadt nördlich der Alpen, gehabt haben.

Das Buch ist, wie die anderen Bücher von Thomas Freller über die Geschichte Maltas, Granadas und die Iberische Halbinsel, für interessierte Laien geschrieben, bewusst fehlen Verweise. Bei dem hohen Niveau irritiert, dass einige der wichtigsten Arbeiten zur Geschichte Mallorcas offenbar, folgt man der Auswahlbibliografie, nicht berücksichtigt wurden, so zum Beispiel die Studien von Josep Juan Vidal oder die sehr gute Gesamtdarstellung von Gabriel Alomar i Esteve.3 Freller bewegt sich, wie auch in seinem Granada-Buch4, in einem Graubereich zwischen populärwissenschaftlicher und wissenschaftlich-kompilatorischer Darstellung. Durch das häufige Abheben auf die Quellen- bzw. Forschungslage wird der Eindruck vermittelt, das Buch gehöre eher in die zweite Kategorie. Ohne jede Frage setzt sich das Buch sehr positiv ab von der bislang einzigen, in den auf ‚Laufkundschaft‘ spekulierenden Buchhandlungen Palmas in vorderer Reihe ausgestellten Darstellung zweier Amateurhistoriker in deutscher Sprache5. Er ‚entlarvt‘ Mythen (zum Beispiel die fränkische Schutzfunktion, S. 53) bzw. führt sie auf die damit verbundenen Interessen zurück, verweist immer mal wieder auf die Grenzen, die der Forschungstand bzw. die Quellen der Interpretation setzten. Das gehört zu guter Geschichtsschreibung, auch oder vielleicht gerade mit Blick auf ein Publikum, das eine kritische Herangehensweise an Geschichte nicht unbedingt kennt. Selbst die auf einen breiten Leserkreis zielenden Bücher in spanischer bzw. mallorquinischer Sprache bieten dies nicht in so komprimierter Form. Eine Übersetzung wäre daher durchaus angebracht. Zu guter Geschichtsschreibung gehört aber auch, dass man zumindest einen kurzen Überblick über den Stand der Forschung und ihre Traditionslinien der Darstellung voranstellt. Gleichfalls sollte man seine eigene Perspektive, die ja immer auch eine Auswahl einschließt, deutlich machen. Beides fehlt bei Frellers Buch.

Trotz seines begrenzten Umfangs von 200 Seiten und trotz seiner Handlichkeit ist das Buch keine Lektüre, die sich auf einem zweistündigem Flug oder in einigen Stunden im Hotel oder Straßencafé bewältigen lässt. Es fordert den Leser – eine Fülle von Personen- und Ortsnamen überfordern und ermüden ihn streckenweise sogar. Die wenigen und außerdem nicht besonders gut gewählten Schwarz-Weiß-Reproduktionen wirken bei einem Buch dieser Art überflüssig.

Bei aller Kritik: Das Buch ist ein großer Gewinn. Zum ersten Mal wird die komplexe Geschichte Mallorcas auf dem Forschungsstand in deutscher Sprache dargestellt. Man kann dem Buch und seinem Autor nur wünschen, in dem anvisierten Kreis viele Leser zu finden.

Anmerkungen:
1 Carles Manera Erbina, Historia del creixement economic, 1700–2000, Palma de Mallorca 2001; ders., La riqueza de Mallorca – una historia economica, Palma de Mallorca 2006.
2 Ludwig Salvator, Die Balearen (7 Bde.), Leipzig 1869–1891.
3 Gabriel Alomar i Esteve, Ensayos sobre Historia de las Islas Baleares hasta el año 1800, Palma de Mallorca 1979.
4 Thomas Freller, Granada. Königreich zwischen Orient und Okzident, Ostfildern 2009; vgl. die Rezension von Stefan Schlelein in: H-Soz-u-Kult, 16.09.2009: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-206>, Zugriff am: 12.05.14.
5 Heide Wetzel-Zollmann / Wolfgang Wetzel, Mallorca. Ein Streifzug durch 6.000 Jahre Geschichte und Kultur, Freiburg 1991.

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