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Titel
Michael Jebsen. 1835–1899. Reeder und Politiker


Autor(en)
Becker, Bert
Erschienen
Kiel 2012: Verlag Ludwig
Anzahl Seiten
851 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Krieger, Geschichte Nordeuropas, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein zählte die nordschleswigsche Stadt Apenrade zu den führenden Häfen an der südlichen Ostsee. Davon zeugen schon zu dänischer Zeit einzelne Reeder, die global operierten, sozial und mental aber tief in Stadt und deren Hinterland verwurzelt waren. Weltweite Handelsnetzwerke gründeten sich von Apenrade aus, die zu preußischer Zeit fortlebten und weiterentwickelt wurden. Ein besonderes Markenzeichen der dortigen Schifffahrt stellt die Tatsache dar, dass die Stadt noch lange Zeit auf das Segel setzte, während im benachbarten Flensburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts moderne Dampfschiffe die Oberhand gewannen und schließlich eine übermächtige Konkurrenz entwickelten.

Michael Jebsen war der bedeutendste Protagonist des globalen Aufbruchs in Apenrade zu preußischer Zeit. Er gründete unter dem städtischen Wappen der drei Apenrader Makrelen (den mittleren Fisch indes in entgegengesetzte Richtung wendend) ein weltweit operierendes Unternehmen, das nach beinahe anderthalb Jahrhunderten immer noch Bestand hat – heute allerdings nicht mehr von der kleinen Dependance in Nordschleswig, sondern längst von Hong Kong, einem der Wirtschaftszentren der Gegenwart aus gelenkt.

Es stellt gleichsam einen doppelten Glücksfall für die deutsche Unternehmensgeschichtsforschung dar, dass ein komplettes Firmenarchiv die Zeitläufte des 20. Jahrhunderts unversehrt überstanden hat und dass sich zudem ein global denkender und forschender Historiker eines solchen Archivs annimmt. Mit der voluminösen Biographie „Michael Jebsen, 1835–1899. Reeder und Politiker“ legt Bert Becker von der Universität Hong Kong ein faktenreiches wie gewichtiges Buch vor, mit dem das facettenreiche Leben seines Protagonisten im globalen Kontext minutiös nachzeichnet wird.

Das Leben Michael Jebsens begann in einer Zeit, als die Hafenstadt Apenrade noch fester Bestandteil der Oldenburger Monarchie war. Aber schon in den 1830er-Jahren warf der aufkeimende deutsch-dänische Gegensatz seine Schatten voraus, der schließlich in den schleswig-holsteinischen Krieg 1848–1850 mündete. Jebsen wuchs in einem betont deutschgesinnten Umfeld auf – und das Absingen revolutionärer schleswig-holsteinischer Lieder brachte dem Heranwachsenden einmal sogar eine kurzzeitige Inhaftierung ein. Nach Beendigung des Schulbesuchs zog es Michael Jebsen nach Hamburg und von dort aus zunächst als Schiffsjungen, später als Steuermann und Kapitän in die weite Welt. Er lernte auf zahllosen Schiffsplanken die Küstenschifffahrt an der amerikanischen Westküste kennen, ehe er zu Alfred Krupps Flottenmanager in den Niederlanden avancierte.

Es zählten besonderer Mut und Weitsicht dazu, dass Michael Jebsen schließlich seine eigene Partenreederei in einer Zeit begründete, als sich die weltweite Handelsschifffahrt im Zeichen sinkender Frachtraten in einer Krise befand: So erwarb er Ende 1878 von der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft günstig den vergleichsweise kleinen Dampfer „Signal“, der als Neubau infolge der Krise bislang keinen Käufer gefunden hatte. Das Kapital der „Partenreederei M. Jebsen“ stammte sowohl vom Unternehmensgründer selbst als auch von Verwandten sowie Geschäftspartnern. Die Gründung der Dampfreederei stellte für das traditions- und segelbewusste Apenrade eine Pionierleistung dar. Mit Geschick und Fingerspitzengefühl agierte Michael Jebsen in den darauffolgenden beiden Jahrzehnten außerordentlich erfolgreich auf den Weltmeeren – insbesondere die Trampfahrt in ostasiatischen Gewässern entwickelte sich zur wichtigen Einnahmequelle. Kaum eines der auf den Weltmeeren verkehrenden Jebsen-Schiffe sollte hingegen den Heimathafen Apenrade je zu Gesichte bekommen.

Zeit seines Lebens verstand sich Michael Jebsen aber nicht nur als Unternehmer, sondern ebenso als politisch denkender Bürger. Schon längst zählte Schleswig-Holstein als Provinz zur preußischen Monarchie und zum deutschen Reich, als der Reeder neben seiner unternehmerischen Tätigkeit in die Politik einstieg und es schließlich bis zum Reichstagsabgeordneten in Berlin brachte. In der Reichs- wie in der Kommunalpolitik setzte er sich stets für die Entwicklung seiner Heimatregion ein, die zunehmend in eine wirtschaftlich periphere Lage zu rücken drohte. Besonders deutlich wird das etwa am Beispiel seines Engagements für die Errichtung der Apenrader Kreisbahn. Nie machte Jebsen dabei aus seiner deutschen Gesinnung im deutsch-dänischen Grenzland einen Hehl. Und so verwundert es nicht, dass er sich in seinen letzten Lebensjahren maßgeblich an der Errichtung eines Bismarck-Denkmals von geradezu monströsen Ausmaßen auf dem Knivsberg bei Apenrade beteiligte.

Die Kreisbahn ist heute ebenso verschwunden wie die bronzene Bismarck-Figur seit langem ihr unscheinbares Dasein auf dem Aschberg bei Eckernförde fristet. Geblieben ist ein global operierendes Unternehmen, das sich noch immer eng mit der nordschleswigschen Heimat verbunden fühlt. Schon längst gehört der deutsch-dänische Konflikt der Vergangenheit an; und die heutigen Jebsens begreifen sich entsprechend als Weltbürger wie gleichermaßen als Deutsch sprechende Dänen.

Es stellt das besondere Verdienst Bert Beckers dar, das beeindruckende Leben Michael Jebsens auf gut achthundert hervorragend lesbaren Seiten niedergeschrieben zu haben. Dabei wäre es zu kurz gegriffen, das Werk als bloße Biographie zu bezeichnen, wie auch der Titel des Buches selbst in Anbetracht des gewaltigen Inhalts ein wenig zu bescheiden wirkt. So gelingt es Bert Becker, am Beispiel des Apenrader Reeders das theoretisch solide fundierte Gemälde einer ganzen Zeit zu zeichnen, in der es nicht allein um den gründerzeitlichen Wirtschaftsaufbruch und globale Politik ging, sondern in der nordschleswigschen Heimat immer auch um den Gegensatz zwischen Dänisch und Deutsch. Die besondere Stärke von „Michael Jebsen, 1835–1899. Reeder und Politiker“ macht entsprechend der breite Rahmen und die multiperspektivische Kontextualisierung der Biographie des Reeders in wirtschaftlicher, politischer, kultureller und familiärer Hinsicht aus. Das Buch stellt einen signifikanten Beitrag zur Unternehmer- und Unternehmensgeschichte der Kaiserzeit dar und vermag einen Einblick auch in jene Lebensbereiche zu vermitteln, zu denen die Quellen bei anderen Unternehmerpersönlichkeiten schweigen oder verlorengegangen sind. Das Buch bedeutet intellektuellen Gewinn wir auch ein besonderes Maß an Lesevergnügen, wozu nicht nur die gelungene Textgestaltung, sondern auch das umfangreiche Bild- und Kartenmaterial beitragen. Ein außerordentlich empfehlenswertes Werk!

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