Titel
Frauenkörper im Fokus. Wahrnehmung zwischen Straße und Turnplatz in Prag und Dresden vor dem Ersten Weltkrieg


Autor(en)
Bláha, Filip
Reihe
Welt - Körper - Sprache 11
Erschienen
Frankfurt am Main 2013: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
282 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ruth Leiserowitz, Deutsches Historisches Institut Warschau

Der zu besprechende Band entstand aus einer Dissertation, die im Rahmen eines deutsch-tschechischen Studienabkommens zwischen der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität Prag und der Technischen Universität Dresden erfolgte. Die Schrift ist interdisziplinär angelegt und hat die Absicht, Frauen-, Geschlechter-, Körper-, Fotografie-, Medizin- und Sportgeschichte mit der Geschichte von Nationalismus und Militarismus zu verknüpfen. Die Arbeit soll nach dem Willen des Autors einen Beitrag zur Historisierung des weiblichen Körpers und dem Wandel von Körpervorstellungen und -praktiken darstellen. So stellt Bláha in seiner Einleitung folgende Fragen in den Vordergrund: Wie prägten die neuen großstädtischen Räume das Bild der Frau? Um welche Akzente bereicherte der Nationaldiskurs die Wahrnehmung des weiblichen Körpers? Wie wurde der Körper im turnerischen Milieu wahrgenommen und wie schrieb sich das Turnen in den weiblichen Körperdiskurs ein? Der Verfasser umreißt kurz seinen theoretischen Rahmen, wobei die Ausführungen zu „Raum-Körper-Nation“ recht knapp ausfallen und nicht in ein Verhältnis zur Übertragung von Bildanalyse auf Fotoanalyse gestellt werden. Ebenso sparsam sind der Forschungsüberblick und die Bemerkungen zu Quellenlage und Quellenauswahl gehalten. Bláha nutzt für seine Untersuchung vor allem Fotografien der tschechischen Sokol-Bewegung, ein privates Fotoalbum aus Dresden und jeweils Prager und Dresdner Zeitschriften, Denkschriften und Festschriften aus dem Umfeld der damaligen Sportvereine. Nach dem einleitenden Kapitel folgen die drei Hauptteile der Arbeit: Der erste Teil widmet sich fotografischen Frauenportraits als wichtiger Referenz der bürgerlichen Sozialpraxis, die eine Ergänzung zu Fotografien aus dem Turnmilieu darstellten. Hier wird Anna Fingerhut vorgestellt, eine tschechische Unternehmerin. Ihr Umfeld sowie der amerikanische Damenclub in Prag, der Bildung und gesellschaftliches Engagement für Frauen organisierte, stehen im Vordergrund. Sowohl Anna Fingerhut als auch die Frauen des Clubs werden durch Fotografien, laut Bláha, als Akteurinnen der tschechischen Nationalbewegung stilisiert und stilisierten sich selbst auch als solche. Am Beispiel des Albums für Frantiŝek Kaván erläutert Bláha die Praxis der Fotoalben für Freunde und Vortragende des Damenklubs. Das Album steht im Kontext des Festes zur Enthüllung des Denkmals für Božena Němcová und enthält Visitenkartenfotos der Clubdamen. Bláha stilisiert das Verteilen der Portraits zu Akten der Subjektivierung der Frauen als Akteurinnen der tschechischen Nationalgesellschaft, wobei er exemplarisch vier Fotos analysiert. Zum einen wurde die soziale Praxis des Austausches von Visitenkartenfotos im Untersuchungszeitraum europaweit in vielerlei unterschiedlichen Zusammenhängen recht extensiv betrieben, sodass die Schlussfolgerungen der Analyse auf diesem Hintergrund etwas zu gewollt ausfallen. Zum anderen wird das in der Einleitung gegebene Versprechen, diese fotografische Praxis in Zusammenhang zu den Sportvereinen zu stellen, nicht eingelöst. Dadurch wirkt das kurze Kapitel recht solitär.

Der zweite Teil soll die neu gewonnene Raumerfahrung des Subjekts in der modernen Großstadt in den Blick nehmen, wobei weibliche Körper und deren Wahrnehmung an Beispielen wie Prostitution, Werbung, Waren- und Kaffeehaus besonders beachtet werden sollen. Beginnend mit einer allgemeinen Darstellung zur Entwicklung Prag und Dresdens folgert Bláha, dass sich in Prag zunehmend eine Nationalisierung der Metropole für den Untersuchungszeitraum nachzeichnen lässt. Der Autor analysiert auch die Blicke der Flaneure in Kaffeehäusern, auf der Straße und in Bezug auf Prostituierte und Werbung bzw. Plakatmädchen. „Das Wissen um die potentielle Verworfenheit der Frau, die durch den männlichen Blick enthüllt wurde und die verführerische Gestalt des Plakatmädchens trugen maßgeblich zur Erotisierung des Frauenkörpers im öffentlichen Raum bei“ (S. 101). Daraus zieht der Autor zugleich das Fazit, dass Frauen in jeder öffentlichen Situation vom männlichen Blick sexualisiert und subjektiviert wurden. Daneben widmet er sich weiblichen Vaterlandbildern und zeigt die Konstruktion der Germania und des Libuŝe-Mythos im Kontext nationalisierter statt sexualisierter Frauenkörper auf.

Der dritte Teil soll die Vereinskultur, wandelnde Körperwahrnehmungen und Pflegediskurse sowie medizinisch-hygienische Fragen und den Nationaldiskurs analysieren. Das Kapitel beginnt mit einer allgemeinen Einführung in die Geschichte von Freizeit und Vereinskultur im 19. Jahrhundert, wobei deutlich unterstrichen wird, wie begrenzt die Handlungsräume von Frauen in diesem Kontext waren. Erst durch die Entstehung und die Blüte patriotischer Vereine konnten Frauen auch an der Freizeit- und Vereinskultur teilhaben und allmählich in die Sportvereine eindringen. Es schließen sich Erläuterungen zum allgemeinen Turn- und Hygienediskurs an sowie biographische Darstellungen der Sportväter GutMuth, Jahn und Spieß mit Anmerkungen über das Frauenturnen. Hierbei hebt Bláha hervor, dass Frauen zu Anfang nur wenig Zugang zu den Turnvereinen in Dresden und Prag gehabt hätten und sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in jene Vereine integrieren konnten. Dieses wäre in Prag deutlich besser gelungen, da Frauen eine eigene Abteilung innerhalb des Sokol-Vereines offen stand, in dem Frauen sogar den Vorsitz innehatten. Das Turnen sollte die Frau in ihrer Aufgabe als Mutter und Ehefrau unterstützen, ihren Körper auf diese spezifisch weibliche Arbeit vorbereiten und ihr als gesundheitlicher Ausgleich dienen. In der bildlichen Darstellung der Frauen sind zeitgemäße Geschlechtercodierungen zu erkennen. Zum Teil mussten Frauen lange Hosen und weite Blusen anziehen, um nicht sexualisiert zu werden. Am Ende kommt Bláha zum Fazit, dass die Untersuchung zur Wahrnehmung des Frauenkörpers zwischen Straße und Turnplatz in Prag und Dresden zeige, dass der Frauenkörper als universale Konstante erscheine und deren Wahrnehmungen sich in den sonst voneinander scharf abgrenzenden Nationaldiskursen in Mitteleuropa stark ähneln.

Bláha legt in der Arbeit seinen Schwerpunkt deutlich auf den Prager Sokol-Verein. Dresden scheint nicht im Fokus seiner Arbeit gelegen zu haben und ein Bezug zur transnationalen Geschichte, die der Titel andeutet, findet sich kaum. Weder werden theoretische Überlegungen hierzu formuliert, noch werden die Kapitel zu Prag und Dresden ausreichend verknüpft. Es erfolgen nur Bewertungen in der Art, dass beispielsweise in Prag Frauen eher in die Turnvereine aufgenommen wurden und mehr Rechte besaßen. Die genutzten Quellen und die Grundidee der Arbeit sind wohl interessant und lohnenswert. Gerade Bláhas Schilderungen über das private Fotoalbum oder die Fotografien aus dem amerikanischen Damenclub und Erläuterungen machen den Eindruck, als ob diese beiden Quellen deutlich mehr Potential für eine vertiefende Analyse haben könnten, wenn neue Fragen gestellt werden würden. Es stellt sich damit die Frage, ob hier ein ursprünglich interessanter Ansatz einer thematischen Konstruktion im Rahmen eines Studienabkommens zum Opfer gefallen ist. Hinzu kommt, dass dem Text eine sprachliche Überarbeitung und damit auch begriffliche Schärfung gut getan hätten. Die Erkenntnisse über die Rolle der Frauen im tschechischen Sokol sind insgesamt für die Forschung bereichernd. Die Chance, einen tiefgreifenden Vergleich zu erarbeiten, ist aber leider verpasst worden.