J. Schlehe u.a. (Hrsg.): Religion, Tradition and the Popular

Titel
Religion, Tradition and the Popular. Transcultural Views from Asia and Europe


Autor(en)
Schlehe, Judith; Sandkühler, Evamaria
Reihe
Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 12
Anzahl Seiten
285 S.
Preis
€ 35,99
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Victoria Hegner, Institut für Kulturanthropologie / Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität Göttingen

Es besteht seit längerem wissenschaftlicher Konsens darüber, dass Religionen als Erkenntnis- und Erfahrungsmodell auch in der (Post-)Moderne nicht an Signifikanz verloren haben. Die Beiträge in dem vorliegenden Sammelband wenden sich in diesem Zusammenhang dem Phänomen zu, dass Religionen sich nicht allein privatisieren, sondern zugleich „popularisieren“. Damit ist gemeint, dass sie in weite sozial-kulturelle Bereiche diffundieren und zu gesellschaftlich-öffentlichen Akteurinnen avancieren und vor allem auch Bestandteil säkularer Lebensstile werden. Die Innovationskraft des Buches liegt in der Vermeidung einer genaueren Definition des „Populären“. Der konzeptionelle Referenzrahmen soll – so argumentieren die Herausgeberinnen Judith Schlehe und Evamaria Sandkühler überzeugend – grundsätzlich allgemein gehalten werden. So wird davon ausgegangen, dass Formen des „Populären“ sich dadurch kennzeichnen, dass sie Zugänglichkeit anstreben und Schauplätze sozial-politischer Machtverhältnisse darstellen. Nur auf Grundlage von konkreter Empirie, so die Programmatik des Buches, lasse sich jedoch das „Populäre“ genauer charakterisieren. In den 11 Beiträgen wird dabei das Augenmerk auf die Entstehung populärer/popularisierter Religionen im Spannungsfeld von Politik, Ökonomie und der Konstruktion respektive Erfindung von Traditionen gelegt, eine Forschungsperspektive, die ein theoretisches Grundgerüst für weitere Studien liefert.

Wegweisend an dem Sammelband ist zudem die Öffnung des Religionsbegriffs, wodurch neben den dominanten Glaubenssystemen so genannte alternative Formen von Religion in den Blick geraten. Um die Popularisierung von Religionen als globales Phänomen darzustellen, sind in dem Band Beiträge zu Asien und Europa versammelt. Zwar soll dabei die „Interkonnektivität“ der heutigen Welt betont und eine binäre Opposition von „Ost-West“ aufgehoben werden. Doch die Anordnung der Beiträge ist gerade in Hinblick auf diese Zielsetzung unglücklich, erscheinen doch die Artikel zu Asien und zu Europa in getrennten Abschnitten. Damit reproduziert das Buch durch seine Struktur die Dichotomie, die es eigentlich auflösen will. Um die „Interkonnektivität“ zu betonen, hätte man noch stärker auf eine thematische Gliederung setzen sollen, die bei der Konferenz, aus der das Buch hervorgegangen ist, bereits maßgeblich war und durch die die Polarisierung von „Ost-West“ gekonnt unterlaufen wurde.1

Der Band ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt werden „Histories and Concepts of Popular(ised) Religions“ in Beiträgen von Hubert Knoblauch, Anthony Reid und Peter J. Bräunlein diskutiert. Knoblauch schlägt vor, für die theoretisch-empirische Fassung populärer Religionen die Idee von der „kommunikativen Konstruktion“ von Transzendenz fruchtbar zu machen. Wie er meint, zeichnen sich populäre/popularisierte Religionen durch spezifische „kommunikative Formen“ aus. Diese gelte es zu analysieren, um herausstellen zu können, wie sehr populäre Religionen Bestandteil einer säkularisierten Moderne geworden sind. Der Artikel Reids wiederum macht darauf aufmerksam, dass populäre/popularisierte Religionen keineswegs allein ein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts, sondern bereits historisch sedimentiert sind. Der Autor bietet einen geschichtlichen Überblick religiöser Entwicklungen in Südostasien seit dem 16. Jahrhundert. Er unterteilt in eine Phase, in der sich die weltweit dominanten Glaubensrichtungen durchsetzten (Islam, Christentum, Theravada Buddhism) und um religiöse Vorherrschaft rangen. In der zweiten Phase (ab dem 18. Jahrhundert) hingegen dominierte in Südostasien der Synkretismus, durch den religiöse Grenzziehungen überschritten und globale Glaubensformen „vernakularisiert“ wurden. In dem anschließenden Artikel von Bräunlein geht es um den durch die Wissenschaften hergestellten Diskurs um nationale Identität und Christentum auf den Philippinen. Welche Ideen von „Volk“, des „Volkstümlichen“ und „Populären“ wurden und werden hier verhandelt, welche Rolle der Religion dabei zugewiesen? Anhand einer beeindruckenden Materialdichte kann Bräunlein herausarbeiten, wie sich die Idee von einem „volkstümlichen“ („folk“) Katholizismus in Auseinandersetzung mit und auch Abgrenzung von europäisch-romantischen Ideen formiert hat.

Der nächste Abschnitt „Popular(ised) Religion in Asia“ bringt Artikel von Kerstin Shi-Kupfer, Ariel Herianto, Evamaria Sandkühler und Judith Schlehe zusammen. Shi-Kupfer blickt nach China und analysiert hier die Popularisierung des Christentums via digitaler „microblogs“. Sie zeigt, wie die UserInnen darin unterschiedliche Konzepte christlicher Identität kommunizieren. Gekonnt skizziert sie dabei die Spezifik der microblogs für die Konstruktion von Identitäten. Mitunter jedoch wünscht man sich eine stärkere Konturierung der sozial-kulturellen Kontexte, in denen die UserInnen agieren. Womöglich sollten Online-Studien teilweise doch den Offline-Bereich mit einbeziehen, um so auch die Dichotomie „virtuell-real“ analytisch aufzulösen. Der Artikel von Herianto beschäftigt sich mit islamischen Filmen, die es in Indonesien zu größter Popularität brachten. Herianto zeichnet einen „kineastischen Kampf“ um Formen islamischer Religiosität nach, die er als „post-islamistisch“ ansieht: die religiösen Dogmen werden ebenso bejaht wie die Grundsätze einer säkularen Demokratie. In Evamaria Sandkühlers anschließendem Kapitel wird am Beispiel des Tempels Sam Poo Kong in Semarang (Indonesien) dargestellt, wie ein multireligiöser Ort zur touristischen Ressource aufsteigt. Sie interessiert, welche Vorstellungen von Tradition (als narrativ-hergestellte Kontinuität mit der Vergangenheit) und Religion von unterschiedlichen AkteurInnen ausgehandelt werden. Die Multiperspektivität der Analyse überzeugt; die Zugangsweise mit dem eigens postulierten Konzept der „Ethnogeschichte“ zu erklären, erscheint jedoch unnötig. Denn ein Ansatz, bei dem jegliche Referenzen zur Vergangenheit – mystisch, schriftlich, mündlich – als gleichermaßen bedeutsam betrachtet werden, wird in den Kultur- und Sozialwissenschaften bereits praktiziert und ist beispielsweise mit der Idee einer „multi-sited ethnography“2 oder „Kulturanalyse“3 konzeptionell schon länger gefasst. Der Abschnitt zu Asien wird mit Judith Schlehes Artikel über „paranormale“ HeilerInnen in Java beschlossen. Diese magisch-mystischen ExpertInnen können als ProduzentInnen populärer Religiosität gelten, so die Autorin, wobei religiöse, soziale und ethnisch-definierte Grenzen überschritten werden. Schlehe will mit diesem Beispiel insbesondere herausstellen, dass die religiöse Situation Indonesiens nicht allein durch „Islamisierung“ gekennzeichnet ist, sondern ethnische und religiöse Diversität entscheidend bleiben.

Mit dem letzten Abschnitt „Popular(ised) Religion in Europe“ beschreiten Ehler Voss, Anna-Katharina Höpfinger, Stefanie von Schnurbein und René Gründer nachdrücklich das Terrain jenseits dominanter Glaubenssysteme. Voss wendet sich dem Mediumismus als Teil der westlichen Esoterik und damit populärer Religiosität zu. Er erörtert, wie die Idee vom „Medium“ im Mediumismus ähnlich den Media Studies zwischen zwei Positionen oszilliert: nämlich entlang der Frage, ob ein Medium die Botschaft ändert oder eben nicht. Erfrischend ist Voss’ methodisch-theoretische Überlegung, dass EthnografInnen ebenfalls als „professionelles Medium“ gefasst werden könnten. Höpfinger wendet sich der Popularisierung von Religionen durch die Werbung zu. Wie werden hier religiöse Symbole mit einer spezifischen Semantik versehen („kodiert“), um – kommerziell erfolgreich – Weltbilder zu vermitteln? Der Artikel besticht durch die Idee einer „kommerziellen Religion“, die nicht auf theologische Detailkenntnisse, sondern auf ein kulturspezifisches, allgemeines Religionsverständnis rekurriert. Höpfingers Analyse folgt zudem – im positiven Sinne – der Logik von Werbung: er ist überaus unterhaltsam und überzeugend. Schnurbeins und Gründers Artikel schließlich beschäftigen sich mit dem europäischen Neopaganismus. Schnurbein fragt nach dem Wechselverhältnis von Kunst und Religion, das sie als „Kunst-Religion“ konzeptionalisiert. Für ihre Untersuchung rückt sie „neugermanische“ Gruppen wie Asatru in den Mittelpunkt. Anhand der in diesen Reihen geschaffenen Literatur, Theaterstücke und Musik zeigt sie, dass Kategorien wie Blut, Boden und Rasse immer noch zentral sind und eine „verstörende Verschmelzung“ zwischen Religion, Ethnizität und Kultur erzeugen. Gründers Artikel relativiert diese Perspektive. Ihm geht es um die Pluralisierung des Neopaganismus. Es tritt hervor, dass die von Schnurbein untersuchten Gruppierungen nur einen Teilbereich der Szene darstellen. So wichtig Gründers Beitrag hier ist, bleibt doch zu fragen, ob der Blick auf den Pluralisierungsprozess für die Analyse „neuheidnischer“ Popularisierung gegenwärtig noch ausreicht. Er stellt eher eine Basis dar, von der aus gezeigt werden müsste, wie die pluralisierten, neuheidnischen Vorstellungen in die gesellschaftlich-öffentliche, säkularisierte Arena diffundieren (zum Beispiel neuheidnische Stadttouren via App, Mittelaltermärkte, „Hexendemos“, Initiierung von Permakultur-Projekten).

Der Gewinn des Buchs liegt in seiner empirisch-theoretischen Dichte, seiner internationalen Perspektivierung sowie dem Mut zur Interdisziplinarität. Der Sammelband ist als grundlegende Lektüre unbedingt zu empfehlen. Die kulturvergleichende Perspektive sollte weiter profiliert und die „Interkonnektivität“ dabei noch stärker herausgestellt werden.

Anmerkungen:
1 Vgl. <http://www.ethno.uni-freiburg.de/dok/aushaenge/postkonf> (12.05.2014).
2 George Marcus, Ethnography in/of the World System: The Emergence of Multi-Sited Ethnography, in: Annual Review of Anthropology 24 (1995), S. 95–117, hier S. 109f.
3 Vgl. Rolf Lindner, Vom Wesen der Kulturanalyse, in: Zeitschrift für Volkskunde 99 (2003), S. 177–188.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/