D. den Hengst (Hrsg.): Ammianus Marcellinus

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Titel
Ammianus Marcellinus: Julianus, de laatste heidense keizer. Nadagen van een wereldrijk


Herausgeber
den Hengst, Daniël
Erschienen
Amsterdam 2013: Uitgeverij Athenaeum
Anzahl Seiten
752 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Eine Übersetzung des gesamten lateinischen Geschichtswerkes des Ammianus Marcellinus ist sowohl aufgrund des Umfanges der res gestae als auch aufgrund der Schwierigkeiten der barocken Sprache des syrischen Historikers ein aufwendiges und mühsames Unterfangen.1 Im letzten Jahrhundert wurde dies mehrmals versucht (von Caltabiano, Rolfe, Seyfarth und Veh), wobei die Ergebnisse in ihrer Qualität stark variieren. Nun hat sich Daniël den Hengst, emeritierter Professor für lateinische Philologie an der Universität Amsterdam, Übersetzer von Suetons Kaiserviten und langjähriger Mitarbeiter am niederländischen Kommentarwerk zu Ammianus Marcellinus2, dieser Aufgabe gestellt und die Erwartungen an seine niederländische Übersetzung nicht enttäuscht.

Sowohl die Einleitung (S. 7–34) als auch die Anmerkungen (S. 631–682) sind primär für Nichtspezialisten gedacht. In der Einleitung erfolgt ein Schnelldurchgang durch die Geschichte des Römischen Reiches von Aurelian bis zum Tod Julians, dessen Werke zudem kurz vorgestellt werden. Danach behandelt den Hengst alle relevanten Aspekte zu Ammians Leben und Werk. Als Grundlage für die Übersetzung wird die Teubner-Ausgabe von Wolfgang Seyfarth verwendet (S. 33). Die Anmerkungen zur Übersetzung enthalten meist Erklärungen zu bei Ammianus auftretenden Begriffen, Namen und Sachverhalten, Quellenbelege für die von Ammianus zitierten und genannten Autoren oder Erläuterungen zur Überlieferung an den Stellen, an denen die Übersetzung durch Lücken im Text erschwert wird. Im Anschluss finden sich ein Personenregister (S. 683–713) und ein geographisches Register (S. 715–738). Ein kurzer Anhang (S. 739–743) bietet zudem eine knappe Einführung in Heerwesen und Verwaltung der Spätantike sowie eine Liste der wichtigsten Ämterbezeichnungen mit Erläuterungen. Den Abschluss (S. 744–752) bilden Karten und Zeichnungen mit Modellen der Belagerungswaffen, namentlich Katapult und Skorpion, auf die Ammianus wiederholt eingeht.

Den Hauptteil des Buches macht die niederländische Übersetzung (S. 37–630) aus. Den Hengst gelingt es, einen Text zu präsentieren, der einerseits gut lesbar und verständlich ist, andererseits aber auch dem eigenwilligen Stil des Ammianus Marcellinus gerecht wird. Eine detaillierte Diskussion der gesamten Übersetzung kann hier nicht erfolgen, es sei lediglich an einigen Beispielen die Einflussnahme der Kommentararbeit den Hengsts und seiner niederländischen Kollegen auf die Übersetzung verdeutlicht: Das in res gestae 22,6,5 (S. 300) genannte Gesetz, das als Folge einer Gelder zurückfordernden ägyptischen Gesandtschaft durch Julian erlassen wurde, wird meist mit dem Gesetz 2,29,1 des Codex Theodosianus gleichgesetzt. Auch wenn diese Identifikation naheliegt, ist dem dennoch die (nicht selten unterschlagene) Beobachtung hinzuzufügen, dass der Bericht des Ammianus Marcellinus nicht vollkommen mit dem Gesetzesinhalt übereinstimmt. Den Hengst stellt daher richtig fest: „Ammianus drukt sich niet duidelijk uit“ (S. 650, Anm. 15); es folgt eine kurze Erklärung. In res gestae 25,10,15 (zu Kaiser Jovian) übersetzt er: „Hij betoonde zich net als Constantius een ijverig aanhanger van de christelijke leer, die hij af en toe eer bewees“ (S. 424). Constantius wird in diesem Satz eigentlich nicht explizit genannt, doch ist durch das itidem im lateinischen Text diese Bezugnahme gerechtfertigt. Zu der Stelle res gestae 28,4,28 aus dem zweiten Romexkurs lautet die Übersetzung: „al dragen ze geen schoenen aan hun voeten“ (S. 508); gemeint ist die Plebs, die nach Ammianus keine Schuhe trägt, sich aber dennoch mit großen Namen schmückt. In der zugehörigen Anmerkung findet sich die bereits im Kommentar zur Stelle angeführte Erklärung: „Ammianus bedoelt niet dat ze letterlijk geen schoenen aan de voeten hebben, maar dat ze de rode senatorenschoen niet dragen“ (S. 669, Anm. 56); die Plebs geht also nicht, wie in mehreren Übersetzungen unterstellt wird, barfuß, sondern trägt nur nicht die den Senatoren vorbehaltenen calcei patricii.

Irritierend sind lediglich einige Details3, die vermutlich auf die Vorgaben des Verlages zurückgehen: So ist der Text lediglich in Bücher und Kapitel, nicht aber in Paragraphen eingeteilt, was einen Vergleich mit dem lateinischen Text oder einer anderen Übersetzung etwas umständlich macht. Entsprechend ist auch das Register, das Seitenangaben anstatt Stellenangaben bietet, nur für diese Ausgabe nutzbar. Zuletzt ist der Titel der Ausgabe doppelt fragwürdig: Gewiss ist Julian die wichtigste Figur im Werk des Ammianus, doch der Titel „Julianus, de laatste heidense keizer“ lässt viel eher an eine Übersetzung der julianischen Bücher als an eine Übertragung des gesamten Ammianus denken. Auch den Untertitel „Nadagen van een wereldrijk“ wird nicht jeder mit großer Freude lesen.4 Doch sind dies Kleinigkeiten, welche diese meisterliche Leistung nicht schmälern können.

Neerlandica non leguntur ist ein Prinzip, das ein ernstzunehmender Forscher zum ammianeischen Werk sich auch zuvor schon nicht zu eigen machen durfte.5 Die neue Übersetzung den Hengsts bildet ein beeindruckendes Zeugnis dafür, dass dies auch weiterhin gilt. Gleichzeitig stellt sie eine Bewährungsprobe für die mehr und mehr auf die englische Sprache zentrierte Wissenschaft dar: Auf der einen Seite haben wir eine exzellente Übersetzung in die (vergleichsweise wenig gelesene) niederländische Sprache, die zudem kürzlich mit dem Homerus-Preis des Nederlands Klassiek Verbond bedacht wurde (und sich dabei gegen Übersetzungen von Seneca und Thukydides, zwei vielgelesenen Klassikern, durchsetzen konnte), auf der anderen Seite die vielkritisierte Loeb-Ausgabe von Rolfe6, die aber als einzige englische Übersetzung auch in neuesten Werken (nicht selten unter Auslassung der aktuelleren Ausgaben Seyfarths) immer wieder benutzt wird. Welche der beiden Fassungen vorzuziehen ist, dürfte deutlich geworden sein.7

Anmerkungen:
1 Charles Upson Clark, von dem die lange Zeit maßgebliche Ausgabe des Ammianus stammte, war als Übersetzer für die Loeb-Ausgabe geplant, musste aber nach den ersten vier Büchern vor der Aufgabe kapitulieren (vgl. American Journal of Philology 58, 1937, S. 124).
2 Einen Überblick über sein Werk bietet der Schriftenband Daniël den Hengst, Emperors and historiography, Leiden 2010. Als letzter Band der niederländischen Kommentare erschien jüngst Jan den Boeft u.a., Philological and historical commentary on Ammianus Marcellinus XXIX, Leiden 2013.
3 S. 22 wird in der ausgewählten Literatur auch die französische Ausgabe der Julianbiographie von Joseph Bidez aus dem Jahre 1930 genannt; warum nicht stattdessen die deutschsprachige Fassung von 1940 herangezogen wurde, die vom Autor noch mit Ergänzungen versehen wurde, ist ein Rätsel.
4 Alexander Demandt (Ammianus Marcellinus. Der letzte römische Historiker, in: Alexander Demandt, Zeitenwende. Aufsätze zur Spätantike, Berlin 2013, S. 372–393, hier S. 385) merkt zum Titel der deutschen Ammianus-Ausgabe von Veh an: „Otto Veh hat in seiner gelungenen Übersetzung dem Werk Ammians von 1974 den Titel gegeben ‚Das römische Weltreich vor dem Untergang‘. Eine solche Formulierung hätte den Autor entsetzt. Wäre seine Mühe im Angesicht des Endes nicht vergebens gewesen? Ammian verschließt die Augen vor den Mißständen seiner Zeit keineswegs […] Aber nirgends kommt ihm der Gedanke an einen Untergang Roms.“
5 Neben der „Quadriga Batavorum“, den vier Kommentatoren Jan den Boeft, Jan Willem Drijvers, Daniël den Hengst und Hans Carel Teitler (vgl. Anm. 2), stammen wichtige Forschungen zu Ammianus und seiner Zeit in niederländischer Sprache etwa von folgenden Wissenschaftlern: Willem den Boer, Martinus F. A. Brok (insbesondere sein Kommentar zu den Büchern 23–25), Pieter de Jonge, Charl P. T. Naudé, Dirk A. Pauw, Maria Pia van de Wiel (eine Schülerin den Hengsts, deren Dissertation einen Spezialkommentar zu Ammianus bietet: Hoofdstukken uit de geschiedenis van Rome in Ammianus Marcellinus ‚Res Gestae‘, Diss. Amsterdam 1989).
6 John Carew Rolfe (Hrsg.), Ammianus Marcellinus in three volumes, Cambridge, Mass. 1935–1939. Dazu vor allem die Rezensionen von Geoffrey B. A. Fletcher, in: Classical Review 51 (1937), S. 20f.; 52 (1938), S. 71; 53 (1939), S. 193–195.
7 Bei den bisher erschienenen Besprechungen handelt es sich meistens um kurze Online-Rezensionen ohne größeren wissenschaftlichen Anspruch. Hervorzuheben sind dagegen die Besprechungen von Vincent Hunink, in: Hermeneus 85 (2013), S. 166f., und Robert Duthoy auf der Seite der Vlaamse Vereniging voor Leraren Geschiedenis en Cultuurwetenschappen (<http://www.vvlg.be/nl/recensies/klassieke_oudheid/rome/%291043%28/ammianus_marcellinus_julianus_de_laatste_heidense_keizer-1907.html>; 01.04.2014).

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