M. Röger u.a. (Hrsg.): Women and Men at War

Cover
Titel
Women and Men at War. A Gender Perspective on World War II and its Aftermath in Central and Eastern Europe


Herausgeber
Röger, Maren; Leiserowitz, Ruth
Reihe
Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 28
Erschienen
Osnabrück 2012: fibre Verlag
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wiebke Lisner, Universität Hannover

Der vorliegende Sammelband zeigt eindrücklich die Bedeutung der Kategorie „Gender“ für die Historiografie des Zweiten Weltkriegs. Dieser Forschungszugriff ist gewinnbringend, weil im Zweiten Weltkrieg die Grenzen zwischen „Front“ und „Hinterland“, zwischen Armeeangehörigen und Zivilisten auf vielfache Weise verwischten (S. 10). Aus unterschiedlichen nationalen Perspektiven loten die Autorinnen und Autoren geschlechtsspezifische Dimensionen in zentral-, südost- und osteuropäischen Ländern aus. Insbesondere diese Länder wurden zum Schauplatz von rassistisch motivierter Massengewalt und Vernichtung; die meisten erlebten zudem eine zweifache Besetzung durch das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion.

Im ersten Kapitel stehen in den Beiträgen von Elizabeth Harvey zum NS-Umsiedlungsprogramm und Mara Lazda zur sowjetischen und deutschen Besatzung in Lettland die interpretativen Bedeutungen von Geschlechterrollen sowie die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten von Propaganda, Dominanz- und Selbstkonstruktionen im Vordergrund. Andrea Pető untersucht die Bedeutung von Geschlechterrollen bei der Urteilsfindung gegen weibliche Kollaborateure in den ungarischen Nachkriegsprozessen. Während diese Urteile dazu dienten, traditionelle Geschlechterrollen wieder herzustellen, erfolgte im Fall der von Angehörigen der Roten Armee vergewaltigten Frauen durch den Rückgriff auf Geschlechterrollen die Konsolidierung einer „hegemonialen Erinnerungskultur“ (S. 92).

Im zweiten Kapitel geht es um eine geschlechtsspezifische Innenperspektive am Zweiten Weltkrieg beteiligter Armeen, in denen mehr Frauen eingebunden waren als in allen vorherigen Kriegen, worauf u.a. Georgeta Nazarska und Sevo Yavashchev in ihrem Beitrag zur Partizipation bulgarischer Frauen hinweisen. Während in vielen osteuropäischen Ländern aktiv am Krieg beteiligte Frauen zur nationalen Erinnerungskultur gehörten, verschwanden sie in Deutschland aus dem kollektiven Gedächtnis. Kerstin Bischl stellt innerhalb der Roten Armee im Verlauf des Krieges eine Radikalisierung der Geschlechterverhältnisse hin zu einer „chauvinistischen Männlichkeit“ (S. 119) fest und bietet damit eine mögliche Erklärung für die von Soldaten verübten Vergewaltigungen. Demgegenüber konstatiert Łukasz Kielban polnische Offiziere in deutscher Kriegsgefangenschaft hätten ein traditionelles Männlichkeitsbild konserviert, das mit den Geschlechterrollen der polnischen Nachkriegsgesellschaft nur schwer kompatibel war. Maren Röger nimmt die vielschichtigen einvernehmlichen sexuellen Kontakte in den Blick, die parallel zum verhängten Umgangsverbot zwischen deutschen Besatzern und Polinnen stattfanden. Sie beleuchtet damit einen für das Verständnis der NS-Herrschaft im besetzten Polen wichtigen Aspekt der alltäglichen Interaktion von deutschen Besatzern und polnischer Bevölkerung. Franka Maubach weist in ihrem Beitrag zu weiblichen Angehörigen der Wehrmacht ebenso wie Elizabeth Harvey auf die Bedeutung der neben der Idee der Volksgemeinschaft propagierten Kameradschaft zwischen den Geschlechtern als Identität stiftendes und inkludierendes Rollenmodell hin. Hinsichtlich des Handlungsrahmens weiblicher Truppenangehöriger hinterfragt sie hierbei die Annahme, wonach „Geschlecht“ der im NS prioritären Kategorie „Rasse“ untergeordnet gewesen sei.

Geschlechterrollen und geschlechtsspezifische Identitäten in litauischen (Ruth Leiserowitz), jugoslawischen (Barbara Wiesinger) und ukrainischen (Olena Petrenko) Partisanenbewegungen stehen im dritten Kapitel im Mittelpunkt. In allen drei Ländern partizipierten Frauen in Partisanenbewegungen, die entweder gegen die deutschen Besatzer kämpften oder sich für eine nationale Unabhängigkeit einsetzten. Die Motivationen der Frauen waren hierbei nicht nur politische Überzeugungen, sondern z.B. für jüdische Frauen, die gegen die deutschen Besatzer in Litauen kämpften, eine Überlebensstrategie oder für Partisaninnen in Jugoslawien eine Möglichkeit, sich mit Nahrung zu versorgen und vor sexueller Gewalt zu schützen. So unterschiedlich die politischen Ausrichtungen der Partisanengruppen waren, so verschieden war ihre Verortung in den sowjetisch geprägten Erinnerungskulturen der Nachkriegszeit: Während z.B. jüdische Partisaninnen als Kämpferinnen gegen das nationalsozialistische Deutschland in Litauen gesellschaftliches Ansehen genossen, wurden Veteraninnen, die für eine nationale Unabhängigkeit gekämpft hatten, in Litauen ausgegrenzt und ihre Erfahrungen tabuisiert oder wie in der Ukraine auf eine helfende Rolle in der Partisanenbewegung reduziert. Alle drei Beiträge weisen auf die politische Vereinnahmung von Frauen in Partisanengruppen für eine Etablierung bzw. Stabilisierung von Geschlechterordnungen sowie für die Konstruktion einer sowjetischen bzw. nationalen Identität hin. Erfahrungen, die nicht zum entworfenen Masternarrativ passten, wurden entsprechend ausgeklammert.

Hier knüpft Vita Zelče im vierten Kapitel „(Dis-)Kontinuitäten und Erinnerungen in der Nachkriegszeit“ an. Sie zeigt, dass im Lettland der Nachkriegszeit das Bild der sowjetischen „neuen“ Frau ein Integrationsangebot war, das von den meisten Frauen vor dem Hintergrund der Kriegstraumata und der Notwendigkeit der Überlebenssicherung angenommen wurde. Die Integration in das sowjetische System nivellierte jedoch individuelle Kriegserfahrungen und machte es lange unmöglich, über diese zu sprechen. Auf die nicht öffentlich artikulierbaren Kriegserfahrungen fokussiert Irina Rebrova. Sie weist anhand von Selbstzeugnissen russischer Frauen auf ambivalente geschlechtsspezifische Kriegserfahrungen hin, jenseits des sowjetischen Narratives, Frauen und Männer hätten gleichberechtigt das Land gegen die Deutschen verteidigt. Von polnischen Frauen wurde in der Nachkriegszeit erwartet, so arbeitet Barbara Klich-Kluczewska heraus, den wirtschaftlichen, aber auch den reproduktiven Wiederaufbau des Landes zu leisten. Hieraus resultierte eine Neudefinition der Geschlechterrollen, die auf die Gleichstellung von Mann und Frau abzielte und von einer pronatalistischen Bevölkerungspolitik begleitet wurde. Hervorzuheben ist das Ergebnis, dass es vor allem um eine Neubestimmung der Aufgaben und Rollen von Frauen ging, wohingegen Männlichkeitsbilder kaum zur Diskussion standen.

Der Verdienst des Bandes ist es, aus alltags- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive in einer Nahaufnahme Kriegserfahrungen und Kriegsdeutungen verschiedener Akteursgruppen in den Blick zu nehmen und dabei über die zeitlichen Zäsuren von 1939 und 1945 hinauszugehen. Die Autoren und Autorinnen eröffnen hierbei wichtige neue Forschungsfelder für eine geschlechterintegrierende Geschichtsschreibung und erweitern die Forschungslandschaft zum Zweiten Weltkrieg, um die bisher wenig im Fokus stehenden Innenperspektiven südost- und osteuropäischer Länder. Darüber hinaus zeigt der Band nationale Grenzen überschreitende Muster, beispielsweise im Hinblick auf Kriegsnarrative im Kontext der in der Nachkriegszeit entworfenen Geschlechterrollen und nationalen Identitäten. So kann die einleitend von Maren Röger und Ruth Leiserowitz aufgestellte These, Geschlechterrollen in den osteuropäischen Ländern seien während des Krieges nicht nur kurzzeitig, sondern durch die extremen Gewalterfahrungen und die Zerstörung gesellschaftlicher Strukturen grundlegend in Frage gestellt und im Zuge der Errichtung des unter sowjetischem Einfluss stehenden „Ostblocks“ mit einer die Gleichheit von Männern und Frauen betonenden Geschlechterpolitik dauerhaft verändert worden, überzeugend belegt werden. Zu fragen ist, ob die einleitende Annahme der Herausgeberinnen, die Besatzungspolitik der Deutschen hätte vor dem Hintergrund des Primates der Rassenpolitik das Geschlecht der Zivilisten in den besetzten osteuropäischen Ländern weitgehend ignoriert (S. 11), nicht gerade auch durch die Beiträge des Bandes in Frage gestellt wird.

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