St. Bocci: Ammiano Marcellino, XXVIII e XXIX

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Titel
Ammiano Marcellino, XXVIII e XXIX. Problemi storici e storiografici


Autor(en)
Bocci, Stefano
Reihe
Il potere e il consenso 3
Erschienen
Roma 2013: Aracne
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Stefano Boccis Monographie geht einen Mittelweg zwischen einem vollständigen Kommentar zu den Büchern 28 und 29 des Geschichtswerkes des Ammianus Marcellinus und einer Studie, die dieses in seiner Gesamtheit auf bestimmte Aspekte hin untersucht.

In einer ausgesprochen umfangreichen Einführung unter dem Titel „Ammiano nella storia e nella storiografia“ (S. 13–71) stellt Bocci alle wissenswerten Aspekte zu Ammianus Marcellinus und seinem Werk zusammen. Er erörtert das Leben des Ammianus, Inhalt und Struktur seines Geschichtswerkes, dessen Datierung sowie die Arbeitsweise und Geschichtstheorie des Historikers, worunter unter anderem seine Quellen und seine literarischen Vorbilder fallen. Auf Basis dieser Vorarbeiten nähert sich Bocci daraufhin seinem konkreten Thema an: Er verortet die Bücher 28 und 29 im Gesamtkontext des Werkes, gibt einen Überblick zu den Quellen dieser Bücher – der Einfluss von Primärquellen zeige sich in diesen deutlich – und arbeitet ihren hohen Quellenwert heraus.

Das erste Kapitel (S. 73–104) behandelt das Verhältnis des Ammianus Marcellinus zur Stadt Rom auf Basis der beiden Romexkurse in seinem Werk (14,6 und 28,4). Nach einer ausgiebigen Darlegung des Forschungsstandes zu diesen Exkursen zeigt Bocci die Funktion dieser Passagen als Kritik an der Senatsaristokratie auf und betrachtet die von Ammianus verwendeten satirischen Elemente.1 Das zweite Kapitel (S. 105–166) ist der spätantiken Verteidigung der Rhein- und Donaufront und ihrer Darstellung bei Ammianus gewidmet. Neben allgemeinen Ausführungen zur spätantiken Grenzverteidigung, über die sehr ausführlich referiert wird, thematisiert Bocci hier die (insgesamt anerkennende und positive) Darstellung der militärischen Taten Valentinians I. bei Ammianus Marcellinus, das Verständnis des Historikers für die Neustrukturierung der Grenzverteidigung und die Frage nach dessen Germanenfeindlichkeit.2

Im dritten Kapitel (S. 167–224) behandelt Bocci Ammians Bild des Kaisers Valentinian I. Nach einer Zusammenstellung und Auswertung der relevanten Angaben (insbesondere in 29,3) bemüht sich Bocci um die Erfassung der Quellen des Ammianus Marcellinus, die dessen Gestaltung des Charakters Valentinians und die Abweichungen in den unterschiedlichen Passagen bedingen. Dabei erachtet er Einflüsse sowohl aus den annales des Nicomachus Flavianus als auch aus Werken des Symmachus für möglich. Insgesamt, so Bocci, habe Ammianus Marcellinus eine senatsnahe Quelle verwendet; die positiven Aspekte seiner Charakteristik Valentinians seien nicht auf den Nekrolog beschränkt.3

Der Schlussteil („Ammiano e l’impero alla fine di IV secolo“, S. 225–257) bespricht den Pessimismus, mit dem Ammianus Marcellinus auf die Zeitgeschichte blicke, und die Bedeutung der Schlacht von Adrianopel für sein Werk, zudem führt Bocci einen kurzen Vergleich zwischen Ammianus und Tacitus durch. Dem Fazit folgt eine Liste der zitierten Werke (S. 259–271); ein Register sucht man allerdings vergeblich.

Die Darstellung Boccis ist bis auf kleinere Kritikpunkte zufriedenstellend4: Dass Ammianus das Breviarium des Eutropius benutzt hat (so S. 34), bleibt fraglich.5 Auf einen weiteren Beitrag zu den nach Ansicht des Rezensenten überschätzten annales des Nicomachus Flavianus (S. 187–193) hätte verzichtet werden können. Etwas befremdlich mutet dagegen die Auswahl der Thematik an: Dadurch, dass Bocci sich auf die Bücher 28 und 29 konzentriert, analysiert er genau die beiden Bücher aus den res gestae des Ammianus Marcellinus, denen auch die beiden aktuellen Bände der niederländischen Ammianus-Kommentatoren aus den Jahren 2011 und 2013 gewidmet sind.6 Zwar verhindert die unterschiedliche Herangehensweise einen zu starken Überschneidungsgrad mit den umfangreichen Kommentarwerken, doch wäre es wohl für die Erforschung des Ammianus Marcellinus erheblich förderlicher gewesen, wenn Bocci frühere Bücher in den Mittelpunkt gestellt hätte, zu denen es angesichts der Erkenntnisse der in den letzten Jahrzehnten florierenden Ammianus-Forschung deutlich leichter gewesen wäre, über die älteren Kommentarbände hinauszugehen und neue Forschungsergebnisse zu präsentieren.7 So dürfte Boccis Monographie etwas im Schatten der fast zeitgleich erschienenen, in englischer Sprache verfassten Kommentarbände zu den Büchern 28 und 29 stehen. Historiker, die sich mit der spätantiken Geschichtsschreibung beschäftigen, und Spezialisten zu Ammianus Marcellinus finden in Boccis Studien zu den Büchern 28 und 29 allerdings eine interessante und gut lesbare Ergänzung zu den niederländischen Kommentarbänden.

Anmerkungen:
1 Siehe zur Thematik jetzt auch Laura van Abbema, Ammianus Marcellinus 28.4. Juvenalian vice and the writing of history, in: Carl Deroux (Hrsg.), Studies in Latin literature and Roman history, Brüssel 2012, S. 614–638.
2 Hier wäre noch zu ergänzen: Liselotte Jacob-Karau, Die Germanen im Urteil Ammians, in: Rom und Germanien. Dem Wirken Werner Hartkes gewidmet, Berlin 1983, S. 77–83.
3 Hierzu hätte noch Dirk Anton Pauw, Karaktertekening by Ammianus Marcellinus, Diss. Leiden 1972 herangezogen werden können, der S. 177 eine Tabelle mit der Anzahl der einzelnen positiven und negativen Aspekte der Beurteilung der einzelnen Kaiser (sowie Gallus und Procopius) zusammenstellt. Zu Valentinian findet Pauw 179 Wertungen, davon 59 positive, 101 negative und 19 neutrale. Neben dem ausgewogenen Nekrolog (27/24/3) finden sich die Aspekte eines positiven Valentinianbildes vor allem in den Aussagen Valentinians (12/5/2), da nur hier die positiven Aspekte klar überwiegen.
4 S. 259 lies „investigation“ statt „invastigation“.
5 Dazu Klaus Rosen, Ammianus Marcellinus, Darmstadt 1982, S. 169–172 (die Arbeit ist Bocci bekannt, wurde in dieser Frage aber nicht berücksichtigt).
6 Vgl. Jan den Boeft u.a., Philological and Historical Commentary on Ammianus Marcellinus XXVIII, Leiden 2011; Jan den Boeft u.a., Philological and historical commentary on Ammianus Marcellinus XXIX, Leiden 2013.
7 Vgl. beispielsweise Roberto Romagnino, Ammiano Marcellino, Res Gestae XVI. Saggio di commento, Diss. Università di Sassari 2009–2010.

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