U. Breitenborn u.a. (Hrsg.): Medienumbrüche im Rundfunk seit 1950

Cover
Titel
Medienumbrüche im Rundfunk seit 1950.


Herausgeber
Breitenborn, Uwe; Frey-Vor, Gerlinde; Schurig, Christian
Reihe
Jahrbuch Medien und Geschichte 2
Erschienen
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 29,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Filk, Seminar für Medienbildung, Europa-Universität Flensburg (EUF)

Seit einigen Jahren mehren sich Veröffentlichungen, die Rückschau auf die Medienentwicklung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts halten. Unter dem knappen programmatischen Titel „Medienumbrüche im Rundfunk seit 1950“ sind die Beiträge der Jahrestagung 2012 des renommierten „Studienkreises Rundfunk und Geschichte“ (RuG) versammelt. Die Autorinnen und Autoren geben Antworten auf die Frage, so die Herausgeber Uwe Breitenborn, Gerlinde Frey-Vor sowie Christian Schurig in ihrem Vorwort: „Welche prototypischen Strukturen von Medienumbrüchen lassen sich in historischer Perspektive erkennen?“ (S. 9)

Eingedenk dessen führt die Niederschrift einer Podiumsrunde mit zum Teil prominenten Protagonisten anlässlich der RuG-Jahrestagung im Rahmen des „Medientreffs Mitteldeutschland“ diskursiv ins Thema ein. Das Fachgespräch zwischen Wolf-Dieter Ring, Udo Reiter, Peter von Bechen und Heinz Glässgen macht vor allem deutlich, dass die Genese von Hörfunk und Fernsehen in Deutschland als eine Geschichte verbundener politischer, ökonomischer, kultureller und technischer Zäsuren begriffen werden kann.

Die beiden Keynote-Speaker der Veranstaltung, Reinhold Viehoff und Christa-Maria Ridder, nähern sich dem Topos „Medienumbrüche“ auf sehr verschiedene Art an: Während ersterer anhand von fünf prägenden „Medienrevolutionen“ – sprich: Schrift, Verschriftlichung von Sprache, Buchdruck, „industrialisierte elektronische Medienkommunikation“ sowie „Visualisierung“ und „Virtualisierung“ (S. 33f.) – eine grundlegende kulturinduzierte Medienhistoriografie umreißt, beschreibt letztere anhand der empirischen Datenbasis der ARD/ZDF-Langzeitstudie „Massenkommunikation“ den Wandel der Mediennutzung von 1970 bis 2010.

Eine Gruppe von Aufsätzen verhandelt im weiteren Sinne Folgen und Konsequenzen des digitalen Kodes. So erörtert Georg Mannsperger am Fallbeispiel Brockhaus die Change-Management-Prozesse von Lexikonverlagen im Zeitalter der Digitalität. Michael Eble verdeutlicht, wie die Schnittstellen zwischen Fernsehen und Social Web, insbesondere ‚Social TV‘ und ‚Second Screen‘, die vernetzten Öffentlichkeiten verändern. Florian Mundhenke führt die These aus, dass sich „mediale Hybridisierung“ (S. 90) aus fiktionalen und nicht-fiktionalen Formaten durch einen forcierten Funktions- und Wahrnehmungswandel erklären lassen. Und Daniela Zetti zeichnet am Exempel der ARD-Fernsehtechnik die Erfolgsgeschichte des ‚elektronischen Schnitts‘ nach.

Eine weitere Gruppe von Beiträgen befasst sich mit medialer Ausdifferenzierung. Melanie Fritscher erläutert beispielhaft anhand des SWF-Schulfunks von 1950 bis 1972, inwieweit die Etablierung des Fernsehens Einfluss auf Bildungsprogramm und Publikumsausrichtung nahm. In seinem Streifzug durch rund 90 Jahre Country-Musik im US-amerikanischen Radio arbeitet Dietmar Schiller heraus, dass dieses Genre immer wieder als „Instrument der politischen Kommunikation und symbolischen Politik“ (S. 155) eingesetzt wurde und wird. Und Heiner Stahl porträtiert das Jugendradio DT64 als eine „Instanz popmusikalischer Sozialisation“ (S. 180) für Heranwachsende in der DDR, gerade im Umbruch von den 1980er- zu den 1990er-Jahren.

Eine letzte Gruppe von Aufsätzen diskutiert Ost/West-Gegensätze. Anke Hagedorn stellt Außen- und Selbstwahrnehmung des Auslandsrundfunks Deutsche Welle (DW) während des Kalten Kriegs einander gegenüber und begründet das resultierende widersprüchliche Bild mit der problematischen „Konstruktion der DW insgesamt“ (S. 196). Last but not least analysiert Kirsten Bönker anhand des Fernsehens in der Sowjetunion, wie „politische Kommunikation zwischen öffentlicher und privater Sphäre im spätsozialistischen Regime“ (S. 200) funktionierte.

Trotz unterschiedlicher theoretischer, methodischer und thematischer Ausrichtungen eint die Autorinnen und Autoren die Aufgabe der medienhistorischen Verortung. Mithin unternehmen sie den anspruchsvollen Versuch, Kontinuitäten und Diskontinuitäten (in) der Mediengeschichte zu identifizieren und zeit- und medienkomparatistisch zu interpretieren.

Auch wenn die vorliegende Publikation – selbstredend – nicht nach den Kriterien einer historisch-systematischen Bestandsaufnahme beurteilt werden kann, gelingt es dem Gros der Autorinnen und Autoren trefflich, die Medienentwicklung seit 1950 über sechs Dekaden mit Hauptakzent auf dem Rundfunk zu rekonstruieren. Dabei werden mittels Theoriereflexionen, Fallstudien, Formatanalysen und Systemvergleichen eine Reihe wichtiger medienhistorischer Zäsuren verschiedenster Couleur kenntnis- und anschauungsreich herausgearbeitet – das verdient Anerkennung!

Schlussendlich hat das Publikum mit „Medienumbrüche im Rundfunk seit 1950“ eine ebenso anregende wie brauchbare Lektüre zur Hand, die sich – um mit den Worten der Herausgeber zu sprechen – als eine gelungene „Verbindung von historischer Perspektive und Medienpraxis“ (S. 11) ausnimmt.

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