M. Vigener: „Ein wichtiger kulturpolitischer Faktor“

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Titel
„Ein wichtiger kulturpolitischer Faktor“. Das Deutsche Archäologische Institut zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit, 1918–1954


Autor(en)
Vigener, Marie
Reihe
Menschen – Kulturen – Traditionen. Studien aus den Forschungsclustern des Deutschen Archäologischen Instituts. ForschungsCluster 5. 7
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 147 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Willing, Marburg

Die Geschichte der Archäologie hat in jüngster Zeit verstärkt Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Einen erheblichen Anteil an dem gesteigerten Interesse kann das „ForschungsCluster 5“ des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) für sich beanspruchen, das durch interdisziplinäres Zusammenwirken von Zeit- und Wissenschaftshistorikern mit archäologischen Fachvertretern versucht, die noch vorhandenen „weißen Flecken“ in der Entwicklung der Disziplin zu beseitigen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Epoche des Nationalsozialismus. Neben dem biographischen Zugang durch die Untersuchung einzelner „Lebensbilder“ 1 richtet das Projekt auch den Blick auf die Vergangenheit des DAI selbst. Bislang bildete eine Studie von Klaus Junker über das DAI in der NS-Zeit die schmale Forschungsbasis 2, die jetzt durch die vorliegende Dissertation von Marie Vigener auf eine breitere Grundlage gestellt wird.

Wie Vigener einleitend darlegt (Kapitel I), konzentriert sich die Untersuchung der DAI-Geschichte auf das Verhältnis der drei Bereiche Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit, die in Anlehnung an Mitchell G. Ash als „Austausch von Ressourcen“ interpretiert werden (S. 2). Anschließend erfolgt eine Gliederung des Stoffes in vier chronologisch angeordnete Kapitel (Kapitel II–V). Zunächst werden die Wurzeln des DAI im 19. Jahrhundert knapp abgehandelt (Kapitel II). In diesem Zeitraum erlebte die junge Disziplin der Archäologie einen rasanten Aufschwung. Durch spektakuläre Ausgrabungen in Olympia, Pergamon und Babylon stieg das Interesse der Öffentlichkeit gewaltig an. Die finanzielle Unterstützung durch Preußen und später das Deutsche Reich sorgte für eine institutionelle Expansion vom Gelehrtenverein zur zentralen Großforschungseinrichtung in Berlin mit Zweigstellen in Rom, Athen und Frankfurt am Main. Verbunden mit dieser Erfolgsgeschichte war die „Nationalisierung“ der Archäologie: Die Aktivitäten des DAI wurden in den Dienst des Staates gestellt, dabei wurde eine vaterländische Gesinnung an den Tag gelegt und „die Vermischung archäologischer und politischer Interessen selbstverständliche Pflicht“ (S. 13f.).

In der Weimarer Republik (Kapitel III) erhielt die auf Verständigung orientierte Außenpolitik Gustav Stresemanns eine entscheidende Bedeutung für das DAI, weil es beim Auswärtigen Amt (AA) ressortierte. Personell war der Übergang von der Monarchie zur parlamentarischen Demokratie von Kontinuität geprägt und verlief reibungslos. Zur Galionsfigur firmierte der neue Präsident des DAI, der Klassische Archäologe Gerhart Rodenwaldt. Nach einigen Schwierigkeiten konnte der internationale Boykott der Siegermächte des Ersten Weltkrieges überwunden und die Filialen in Athen und Rom wiedereröffnet, später sogar Zweigstellen in Kairo und Istanbul hinzugewonnen werden. Mit dem Ausbau der Römisch-Germanischen Kommission (RGK) gelang es, das Betätigungsfeld des DAI auf die vitale Prähistorie zu erweitern. Wie stark das Institut in den zwanziger Jahren expandiert und sich international fest verankert hatte, zeigte der groß angelegte Kongress zum 100-jährigen DAI-Jubiläum 1929 in Berlin, der den Bogen vom Neolithikum bis zum Mittelalter über alle Kontinente spannte und eine überaus positive Resonanz in der deutschen Öffentlichkeit wie der ausländischen Scientific Community erzielte. Die Endphase der Weimarer Republik nach dem Tod Stresemanns warf dann nicht zuletzt durch die Weltwirtschaftskrise und die mit ihr verbundenen Kürzungen der öffentlichen Mittel einen Schatten auf die beispiellose Erfolgsbilanz des DAI.

Die Machtübernahme des Nationalsozialismus (Kapitel IV) verbannte das DAI aus dem Zuständigkeitsbereich des AA und übertrug die Aufsicht dem neuen Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM). Unter der Leitung Theodor Wiegands, dem Nachfolger Rodenwaldts, musste sich das DAI neu positionieren. Insbesondere die Verlagerung der Prioritäten auf die Prähistorie mit ihrer ideologischen Nähe zum autoritären Regime führte zu Auseinandersetzungen mit den Akteuren der NS-Polykratie wie dem „Amt Rosenberg“ oder dem „Deutschen Ahnenerbe“. Die Einführung des sogenannten „Führerprinzips“ im DAI erwies sich nach Einschätzung Vigeners als „Makulatur“, da die Gremien „Zentraldirektion“ und „Engerer Ausschuss“ weiterhin einberufen wurden und das Institut somit „bis zu einem gewissen Maß eine ‚Gelehrtenrepublik‘ blieb“ (S. 72).

Hinsichtlich der Durchsetzung der NS-Rassepolitik verfolgte die DAI-Spitze zunächst keine einheitliche Linie, vorauseilender Gehorsam bei der Entlassung jüdischer Kollegen lässt sich ebenso wie das Eintreten für Betroffene feststellen. Unter der Präsidentschaft des Antisemiten Martin Schede kam es 1938 zur einer systematischen „Säuberung“ des Instituts von „nicht-arischen“ Mitgliedern, die der DAI-Chef „rasch, effizient und als reinen Verwaltungsakt“ betrieb, wie Vigener aufzeigt (S. 76). Eine enge Zusammenarbeit entwickelte sich zwischen den DAI-Zweigstellen und der Auslandsorganisation (AO) der NSDAP, auch wurden die Forschungen zur Völkerwanderungszeit aus politischen Gründen intensiviert. Der „Anschluss“ des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI), die „Führergrabung“ bei Carnuntum vor den Toren Wiens, die beabsichtigte Einrichtung von Zweigstellen in Irak und Iran, die Veranstaltung eines Internationalen Archäologen-Kongresses im August 1939, schließlich im Zweiten Weltkrieg die Versuche, archäologischen Profit aus den Eroberungen der Wehrmacht zu ziehen, kennzeichnen wesentliche Aktivitäten des DAI in der Endphase des „Dritten Reiches“.

Der Wiederaufbau des DAI nach dem 8. Mai 1945 (Kapitel V) stieß auf unzählige Probleme und verlief schleppend. Präsident Schede stand nicht mehr zur Verfügung, da er im September 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet worden war und 1947 im Lager starb. Unter der Leitung seines Nachfolgers, des Klassischen Archäologen Carl Weickert, konnte das zerbombte Institutsgebäude schrittweise wieder genutzt, die ausländischen Zweigstellen zurückgewonnen und die Lage stabilisiert werden. Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit klammerte man bewusst aus und führte die Arbeit mit politisch belasteten Altertumswissenschaftlern fort. Nur wenige Gelehrte wagten, dagegen zu protestieren. Als schließlich 1954 Erich Boehringer die Amtsgeschäfte an der Spitze des Instituts übernahm, hatte sich das DAI bereits erneut als archäologische Großforschungseinrichtung in der Bundesrepublik etabliert.

Vigeners Studie stützt sich über weite Strecken auf umfangreiche Archivmaterialien des DAI und enthält 34 schöne Abbildungen, ferner Quellen-, Literatur- und Personenverzeichnis. Die Hauptlinien der DAI-Entwicklung werden in der Regel zutreffend skizziert und kritisch in den historischen Kontext eingeordnet. Abstriche sind allerdings hinsichtlich des Zeitraums nach 1945 zu machen, da die politischen Hintergründe nicht ausreichend verdeutlicht werden, die dazu führten, dass das DAI aus der Zuständigkeit der SED-geleiteten „Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung“ in den bundesdeutschen Hafen gesteuert wurde. In diesem Prozess lag die Initiative für den Westkurs deutlich stärker bei der „Zentraldirektion“ (ZD) als bei Präsident Weickert.3 Mit guten Gründen konzentriert sich das Werk auf die Leitungsspitze des DAI, dabei werden jedoch die beratenden Expertenzirkel, insbesondere die ZD, das „Herzstück“ des Instituts 4, weitgehend übergangen. Nähere Angaben über die in den Gremien wirkenden renommierten Fachvertreter fehlen. Ebenfalls stiefmütterlich behandelt werden die 17 jüdischen Mitglieder, die 1938 aufgrund der NS-Rassengesetze aus dem DAI ausgeschlossen wurden.

Die Präsenz von Persönlichkeiten mit NS-Belastung im DAI beklagte 1947 der von den Nationalsozialisten ins Exil getriebene Klassische Archäologe Karl Lehmann-Hartleben in einem Brief an die Berliner Zentrale. Vigener beschränkt sich hier auf den Hinweis, es seien „etliche Namen“ gewesen (S. 117), erwähnt aber außer Walther Wrede keinen dieser Gelehrten.5 Mehr Informationen hätte man sich auch zu den immer wieder angesprochenen archäologischen Großprojekten des DAI gewünscht, so etwa zur „Führergrabung Olympia“. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht die Wahl eines engeren zeitlichen Rahmens sinnvoller gewesen wäre, um eine größere Tiefenschärfe bei der Ausleuchtung der vernachlässigten Epochen zu erreichen. Ungeachtet dieser Einwände hat Vigener eine Untersuchung vorgelegt, die einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der DAI-Geschichte leistet.

Anmerkungen:
1 Gunnar Brands / Martin Maischberger (Hrsg.), Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus (ForschungsCluster 5, Bd. 2/1), Rahden/Westfalen 2012. Bd. 2/2 der „Lebensbilder“ befindet sich in Vorbereitung.
2 Klaus Junker, Das Archäologische Institut des Deutschen Reiches zwischen Forschung und Politik. Die Jahre 1929 bis 1945, Mainz 1997.
3 Vgl. Protokoll der Sitzung der Zentraldirektion des Deutschen Archäologischen Instituts am 30. Juli 1948 in Frankfurt am Main (im Besitz des Verfassers).
4 Zur Bedeutung der ZD vgl. Carl Weickert, Das Deutsche Archäologische Institut. Geschichte – Verfassung – Aufgaben, Berlin 1949, S. 29ff.
5 Ausführlicher zitiert wird der Brief Lehmann-Hartlebens bei Mathias René Hofter, Ernst Buschor (1886–1961), in: Gunnar Brands / Martin Maischberger (Hrsg.), Lebensbilder, S. 130, mit der Nennung von Gabriel Welter, Max Wegner, Martin Schede, Helmut Berve, Ernst Buschor und Wolfgang Schadewaldt.

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