S. Brakensiek u.a. (Hrsg.): Herrschaft und Verwaltung

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Titel
Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit.


Herausgeber
Brakensiek, Stefan; von Bredow, Corinna; Näther, Birgit
Reihe
Historische Forschungen 101
Erschienen
Anzahl Seiten
199 S.
Preis
€ 48,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Margret Friedrich, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck

Die im DFG-Forschungsprojekt „Herrschaftsvermittlung in der Frühen Neuzeit (1650-1800)“ unter Leitung von Stefan Brakensiek als „Fallstudien zu Territorien des Alten Reichs und der Habsburgermonarchie im internationalen Vergleich“ bearbeiteten Projekte wurden 2012 auf einer abschließenden Konferenz vorgestellt und diskutiert, erweitert um zusätzliche Untersuchungen und theoretische Reflexionen. Zehn zu Aufsätzen ausgearbeitete Referate präsentiert nun der vorliegende Band, gerahmt von einer dichten Einleitung mit der Vorstellung der konzeptuellen Überlegungen zum Projekt und einem aussagekräftigen Überblick über die Einzelbeiträge sowie einem Schlusskommentar mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte der Diskussionen und einem Ausblick auf Forschungsdesiderate.

Stefan Brakensiek will Verwaltung nicht mehr (nur) als Machtinstrument in Händen des Fürsten im Rahmen des Staatsbildungsprozesses sehen. Vielmehr solle den Formen der Kommunikation, „die das Feld administrativen Handelns strukturierten“, und den „Bedingungen der Möglichkeit herrschaftlichen Handelns qua Verwaltung“ (S. 10) nachgegangen und eine Analyse der Kommunikationsprozesse vollzogen werden. Das gewählte Konzept der „Herrschaftsvermittlung“ beziehe Amtsträger und Institutionen in diese Prozesse ein. Außerdem seien die Perspektiven von „akzeptanzorientierter Herrschaft“ und „empowering interactions“ in die Untersuchungen eingegangen. Im Projektverlauf habe sich die Frage gestellt, ob sich administrative Binnenlogiken, ein Eigenleben der Verwaltung entwickelten. Im Vordergrund stand das Modell der „Triangulierung“, der Umgehung eines geradlinigen zweipoligen Kommunikationsprozesses durch Einbeziehung einer dritten Instanz, laut Barbara Stollberg-Rilinger der meist diskutierte Begriff der Abschlusstagung. Verwaltung wurde also nicht mehr im Max Weber’schen Sinne als Herrschaft im Alltag gesehen, sondern als Ort, an dem Politik real werde, wobei künftig auch ein stärkeres Augenmerk auf das Wechselspiel „von formaler Normativität und informeller Soziabilität“ (S. 24) gelegt werden solle.

Corinna von Bredow kann in ihrer Studie zu den niederösterreichischen Kreisämtern, in ihrer Analyse einfacher, über den Kreis nicht hinausgehender Dreieckskommunikationen und komplexer Prozesse ihre Ausgangsthese bestätigen, dass durch stetige Kommunikationsprozesse zwischen Untertanen, lokalen Amtsträgern, Kreisämtern und der Landesregierung die landesherrliche Herrschaft legitimiert und gestärkt worden sei.

Völlig anders hingegen gestalteten sich die Herrschaftsstrukturen in der polnisch-litauischen Adelsrepublik, einer „beauftragten Monarchie“ (S. 37), in welcher der Adel alle wichtigen Positionen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft monopolisierte und ein Nebeneinander von monarchischer Herrschaft, die sich mit Institutionen adeliger Selbstorganisation überschnitt, und autonomen Herrschaftsräumen des Adels vorlag. Peter Collmer stellt fest, dass das Konzept der kommunikativen Triangulierung nicht ausreiche, um dieses spezielle herrschaftliche Gefüge verständlich zu machen. Eine den Fürstenstaaten vergleichbare herrschaftliche Dreieckskommunikation sei höchstens im Bereich der königlichen Tafel zu beobachten gewesen, aus dem dann auch das Quellenbeispiel folgt. Der Vorrang habe auf „adligem empowerment“ (S. 50) der Monarchie gelegen.

Simon Karstens untersucht die südlichen Niederlande, ein Gebiet mit vielen Sonderrechten, mit Herrschaft aus der Distanz und eingelagerten fremdkonfessionellen Truppen mit anderem Souverän. Der Monarch in Wien konnte sich neben seinen institutionalisierten Möglichkeiten zur Kommunikation auf die Einrichtungen und Netzwerke der katholischen Kirche stützen, geriet aber damit in einen innerkirchlichen Konflikt und installierte eine eigene Verwaltungsbehörde in Wien und einen neuen Staatsrat in Brüssel, wo weniger konfessionspolitische Konflikte als Probleme zwischen herrschaftlichen Rechten und kirchlichen Privilegien verhandelt wurden – unter Karl VI. und seinen Amtsträgern noch mit Flexibilität, mit Spielraum für Verhandlungen traditioneller Rechte.

Hanna Sonkajärvi behandelt für dasselbe Gebiet das Verfahren der Supplikation im 18. Jahrhundert, ein Weg der Herrschaftsvermittlung, auf dem sich der Untertan unmittelbar an den Herrscher wenden konnte. Dieser erhielt dadurch Informationen über örtliche und regionale Belange, damit zugleich aber auch eine Möglichkeit zur Kontrolle lokaler Eliten und zur Legitimation seiner Herrschaft. Da nicht selten Hofagenten Supplikationen verfassten und sie als Vermittler vertraten, stuft sie dieses Vorgehen weniger als Dreieckskommunikation denn als Demonstration von Herrschaft durch Verwaltungshandeln ein.

Zeitlich etwas später und in einem anderen Herrschaftskontext ist der Beitrag von Bettina Severin-Barboutie über Herrschaft durch Kommunikation im napoleonischen Empire, speziell über die Eingabepraktiken im Großherzogtum Berg angesiedelt. Zunächst untersucht sie die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten, dann die Eingaben an die Obrigkeit in der Komplexität der kommunikativen Beziehungen. Sie stellt großes herrschaftliches Interesse an formalisierter (herrschaftslegitimierender und -stabilisierender) Kommunikation mit den Untertanen fest. Trotz streng formalisierter Regelungen, der Verschränkung von Ordnungsaufbau und Kommunikationsabläufen konnte der Weg aber nicht in all seinen Etappen geordnet werden.

Mit dem Verfahren der Visitation und der Frage der Akzeptanz fürstlicher Herrschaft vor Ort in Hessen-Kassel im 17. Jahrhundert befasste sich im Projekt Nicolás Brochhagen und beleuchtet die „kollektiven Einstellungen, Zuschreibungen und Wahrnehmungsweisen“, „die Herrschaftsvermittlungsprozessen im lokalen Kontext zugrunde lagen“ (S. 108). Anhand der Visitationsakten der 1660er-Jahre analysiert er diskursive Praktiken lokaler Akteure mit Blick auf Herrschaftsvermittlung, arbeitet aus narrativ gestalteten Beschwerde- bzw. Bittbriefen das Selbstbild der Petenten, ihre häufigsten Argumentationsfiguren und ihre diskursive Konstruktion von landesherrlicher Herrschaft heraus.

Einen anderen Zugang zum Thema landesherrlicher Visitationsverfahren wählt Birgit Näther. Ihrer Forderung, dass vormoderne Verwaltungen als organisationale Gebilde ernst genommen werden sollten, folgt eine Analyse von deren Einrichtung und Etablierung. Die Diskrepanzen zwischen normativen Vorgaben und Handlungspraxis werden von ihr „als prägendes Grundelement von Administrationen“ und als „Bestandteil ihrer Funktionalität“ (S. 125) verstanden. Gerade im landesherrlichen Visitationsverfahren bildeten sich Dialoge zwischen Norm und Praxis ab, eigenständiges administratives Handeln werde durch über die Vorgaben hinaus gehendes Gestalten sichtbar. Angelegte Hierarchien hätten aus arbeitspragmatischen Gründen durchbrochen werden können.

Klaus Margreiter befasst sich mit der Sprache im Amt, der Verwaltungssprache und dem „guten Ton“, auf der Basis präskriptiver Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts: Deutlichkeit, Kürze und Schönheit waren gefordert, andererseits sei, angesichts der weiter schreitenden Verrechtlichung, die Verwendung einer Fachsprache notwendig geworden. Die Verwaltungssprache sei erstaunlich resistent gegen Veränderungen im Verwaltungssystem wie gegen Sprachwandel generell gewesen.

Birgit Emich schlägt – anschließend an das Konzeptpapier für die Tagung – vor, die Frage, wie sich unterschiedliche Logiken, Normen oder Rationalitäten auf dem Feld der Verwaltung zueinander verhielten, könne das thematische Rückgrat für eine Kulturgeschichte der Verwaltung bilden (S. 165). Obwohl Prozesse „verdächtig“ und Teleologien „tabu“ seien, könne eine Kulturgeschichte der Verwaltung zur besseren Selbstverständigung und zur Vergleichbarkeit der Befunde „einen roten Faden, einige grundlegende Kategorien, Leitfragen und Kernthemen gut gebrauchen“ (S. 167). Eine solche Kategorie sei im Essener Projekt „Triangulierung“ gewesen. Sie nennt weitere Kategorien, um diese dann an dem unterschiedlichen Umgang mit Getreideerntemengen, Absatz- und Versorgungsgarantien, Wahrung von Produzenteninteressen und Verbraucherschutz in Rom, Bologna und Ferrara zu veranschaulichen und den Spielraum der Amtsträger, die Bedeutung der jeweiligen personengebundenen Faktoren, die Möglichkeiten zu flexiblen Aktionen und Reaktionen und zur „Formalisierung des Informellen“ (S. 176) – am Beispiel des päpstlichen Büros zur Bearbeitung klientelärer Privatkorrespondenz – darzulegen. Da Verwaltungshandeln stets auch eine Inszenierung von Herrschaft sei, ermögliche die Verwaltungspraxis daher den Zugang zu politischen Ideen.

Der Beitrag von Stefan Haas mit seinem Plädoyer für einen kultur- und kommunikationsgeschichtlichen Zugang schließt den Aufsatzteil ab. Der Verwaltungsalltag sei der Ort, an dem Sinn und Bedeutung hergestellt werden müssten. Eine Kultur- und Kommunikationsgeschichte der Verwaltung unter Berücksichtigung der gestaltenden Bedingungen der jeweils beteiligten Medien eröffne die Möglichkeit, die sozialen Interaktionen im Verwaltungshandeln vielschichtiger zu interpretieren, als bisher geleistet. Stefan Haas konzentriert sich auf die Historische Implementationsforschung, der es nicht um Vollzug oder Durchsetzung gehe, sondern um Politik als dynamischen Prozess, in dem Inhalte über verschiedenste Instanzen in der Materialität der Medien und im Eigen-Sinn nachgeordneter Instanzen in komplexen En- und Dekodierungsprozessen transportiert und modifiziert werden.

Die Fallstudien sind eigenständige Aufsätze mit ähnlich gestaltetem Aufbau. Sie starten mit den für das Projekt diskutierten und von den beteiligten etablierten Wissenschaftler/innen zum Teil schon früher vorgelegten konzeptionellen Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Verwaltung, fahren mit der Analyse des recherchierten Quellenmaterials fort – mit Fokussierung auf unterschiedliche Zeiten und Räume – und schließen mit einem Fazit. Das hat zur Folge, dass sich die Beiträge im ersten Teil bisweilen wiederholen. Querverweise, ein Aufeinanderbezugnehmen oder gar der explizite historische Vergleich fehlen. Allerdings wird mit dieser Zugrundelegung eines vorher abgeklärten konzeptuellen Instrumentariums in der Rezeption eine vergleichende Gegenüberstellung möglich. Die Varianten von Verwaltungsorganisation und -handeln im Detail werden für die Leser/innen augenfällig. Der Sammelband zeigt in seiner geglückten Kombination von theoretischen Überlegungen und empirischer Forschung die Leistungen, die eine Kulturgeschichte der Verwaltung erbringen kann, wenn sie Begriffe wie Vermittlung und Implementierung ernst nimmt und sich auf die damit verbundenen Kommunikationsprozesse einlässt. Da es nicht um die Inhalte von Normen, Berichten oder Petitionen geht, sondern um Kommunikationswege, könnte man sich fragen, ob sich hier eine „Neue Strukturgeschichte“ abzeichnet, die nun, flexibler, nicht mehr Strukturen definiert (und essentialisiert), sondern „Wege“ identifiziert und verfolgt.

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