S. Jagodzinski: Die Türkenkriege und die polnisch-litauische Adelskultur

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Titel
Die Türkenkriege im Spiegel der polnisch-litauischen Adelskultur. Kommemoration und Repräsentation bei den Żółkiewski, Sobieski und Radziwiłł


Autor(en)
Jagodzinski, Sabine
Reihe
Studia Jagellonica Lipsiensia 13
Erschienen
Ostfildern 2013: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
258 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Martin Faber, Lehrstuhl für Neuere und Osteuropäische Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Arbeiten zur Erinnerungskultur sind in Mode. Viele Historiker beschäftigen sich nicht mehr mit der Frage, wie es tatsächlich war, sondern wie die Leute glaubten, dass es gewesen sei. Immerhin scheint aber eine solche Denkweise der Kunstgeschichte noch eher angemessen zu sein als der Geschichte. Denn Kunstgeschichte beschäftigt sich ihrem Wesen nach mit Interpretationen der Wirklichkeit und damit auch der Geschichte. Zugunsten der Themenwahl der vorliegenden Arbeit spricht außerdem, dass hier ein Gebiet behandelt wird, das bei Kunsthistorikern im deutschen Sprachraum nicht leicht in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt, allein schon aus sprachlichen Gründen: die polnisch-litauische Adelsrepublik im 17. und 18. Jahrhundert.

Es geht sogar um ein Objekt, das gar nicht mehr im Gebiet des heutigen Polens liegt, sondern in der Ukraine. Die Auswahl der im Titel genannten Magnatenfamilien ist erfolgt, weil sie nacheinander Besitzer des Schlosses in Żółkiew, nördlich von Lemberg, waren. (Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen das Schloss auch im Titel zu erwähnen.) Es wurde um 1600 von dem polnischen Krongroßhetman Stanisław Żółkiewski als seine Residenz erbaut. Żółkiewski starb 1620 in der Schlacht bei Cecora gegen die Türken, und später ging das Schloss auf die verschwägerte Familie Sobieski über. So kam es, dass der spätere Krongroßhetman und polnische König Jan Sobieski, der 1683 in der Schlacht bei Wien die Türken schlug, hier seine Jugend verbrachte. Auch als König lebte Sobieski noch über längere Zeiträume in seinem Familienschloss in Żółkiew. Nach seinem Tod 1696 wurde das Andenken an ihn hier noch über mehrere Jahrzehnte von Angehörigen seiner Familie gepflegt, bis deren letzte Erbin es 1740 an die Radziwiłł verkaufte, die ebenfalls mit den Sobieskis entfernt verwandt waren.

Alle drei Magnatengeschlechter haben in ihrer Zeit die Schlossanlage ausgebaut und umgestaltet, und so ergibt sich hier die einmalige Möglichkeit, an einem Objekt diachron die Entwicklung der Erinnerungskultur zu einem Phänomen zu verfolgen, das die polnische und die europäische Geschichte nachhaltig geprägt hat: die Kriege gegen das Osmanische Reich. Alle drei Familien haben in Żółkiew der Türkenkriege in vielfältiger Weise gedacht und diese Kriege dabei in ganz unterschiedliche Zusammenhänge gestellt. Jagodzinski unternimmt es, diesem Gedenken in all seinen Facetten nachzuspüren und wird der gestellten Aufgabe gerecht. Das Streben nach erschöpfender Beschreibung ist zwar für den Leser manchmal ermüdend, muss aber bei kunsthistorischen Arbeiten wohl in Kauf genommen werden.

Stanisław Żółkiewski, der Erbauer des Schlosses, war Hetman der Krone Polen und somit Befehlshaber des polnischen Heeres. Als seine größte militärische Leistung gilt sein Sieg bei Kłuszyn 1610 über ein russisches Heer, der den Polen den Weg nach Moskau öffnete. Entsprechend feierten die Erinnerungsobjekte, die er noch zu seinen Lebzeiten für Żółkiew in Auftrag gab, auch eher seine Erfolge gegen die Moskowiter. Dann aber starb er 1620 in einer Schlacht gegen die Türken, und nun war seine Familie bemüht, das Andenken an ihn so zu gestalten, dass er als christlicher Kämpfer gegen den Islam und Märtyrer des Glaubens in Erinnerung blieb. Bereits sein Sarkophag wurde mit Szenen aus der Schlacht verziert. Seine Witwe richtete eine Gedenkmesse für ihren Mann und die anderen Gefallenen in der Schlacht ein, die an jedem Freitag abgehalten werden sollte. Sein Grabdenkmal in der Pfarrkirche von Żółkiew stellte seinen Tod als logische Fortsetzung seines vorherigen, ruhmreichen Wirkens als Feldherr dar. Selbst auf dem Schlachtfeld von Cecora ließ die Familie eine Gedenkstele für ihn errichten.

Sein Urenkel Jan Sobieski richtete dann die Erinnerungskultur in Żółkiew noch stärker auf die Kriege gegen Türken und Tataren aus. Zwar hatte Sobieski am Beginn seiner militärischen Laufbahn auch gegen Kosaken, Russen und Schweden gekämpft, aber als Hetman (ab 1666) und als König (ab 1674) hatte er sich hauptsächlich mit den Osmanen auseinanderzusetzen und trug hier, anders als Żółkiewski, auch bedeutende Siege davon. Das führte zum Einen dazu, dass er sich als Erfüller des Vermächtnisses seines Urgroßvaters darstellen konnte. Schon auf Żółkiewskis Sarg hatte dessen Familie das Zitat aus Vergils Äneis „Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor“ (Aus unseren Gebeinen möge ein Rächer erstehen) angebracht, was Sobieski die Möglichkeit gab, sich nun als dieser Rächer zu verstehen und zu inszenieren. Zum Zweiten führten die Siege gegen die Osmanen dazu, dass Sobieski beträchtliche Mengen an Kriegsbeute nach Żółkiew mitbrachte. So konnten nun Artefakte der türkischen Kultur in die Kommemoration einbezogen werden. Mit ihnen konnte man einerseits die Überwindung des Feindes demonstrieren, andererseits wurden sie aber auch in starkem Maß in das eigene Leben integriert, so dass die Kultur der Besiegten Einfluss auf die Kultur der Sieger nahm. Die Orientalisierung der polnischen Barockkultur ist ein bekanntes Phänomen und ihre Entstehung wird hier an einem Einzelfall fassbar.

Ende der 1680er-Jahre ließ Sobieski die Pfarrkirche in Żółkiew umgestalten und dafür drei monumentale Bilder von seinen wichtigsten Siegen gegen die Türken anfertigen: der Schlacht von Chocim 1673, der Entsatzschlacht von Wien 1683 und der Schlacht von Parkany aus dem gleichen Jahr. Diese Bilder sind erhalten (sie befinden sich heute in der Nationalgalerie in Lemberg, zusammen mit einem weiteren Bild, das schon Stanisław Żółkiewski von der Schlacht bei Kłuszyn hatte anfertigen lassen) und werden von Jagodzinski ausführlich beschrieben, weil sich an ihnen wohl am besten ablesen lässt, wie Sobieski seine Rolle in den Türkenkriegen gesehen haben wollte.

Für den Hetmanssaal des Schlosses ließ Sobieski eine weitere Folge von sieben Schlachtengemälden anfertigen. Sie sind allerdings heute verschollen, so dass Jagodzinski sich bei ihrer Beschreibung nur auf zwei erhaltene Kopien stützten kann. Die Bilder sollten Gästen die Leistungen und die Bedeutung des Hausherrn vor Augen führen. Die Selbstdarstellung wurde dabei unterstützt durch die sorgfältige Einbeziehung der Türkenbeute in die Präsentation. Dazu zählten militärische Objekte wie reichverzierte Säbel und Dolche, Pferde, Reitzeuge und Fahnen, aber auch eher zivile Gegenstände, die man aus den Lagern der Türken mitgenommen hatte: Zelte, Baldachine, Teppiche, Sitzkissen und Decken. In den besonders repräsentativen Zelten der türkischen Würdenträger wurden noch auf dem Schlachtfeld katholische Gottesdienste abgehalten, später wurden sie in Krakau und Żółkiew zur Besichtigung durch die Bevölkerung aufgestellt. Außerdem benutzte Sobieski sie aber auch für eigene Zwecke, indem er sie auf Reisen mitnahm oder bei Festen im Garten seines Schlosses aufstellen ließ. Weitere hochwertige türkische Textilien wurden zur Ausschmückung des Palastes oder der Pfarrkirche verwendet. Wie unbefangen man mit der orientalischen Kultur umging, zeigt sich auch daran, dass manche Stücke gar nicht aus Kriegsbeute stammten, sondern durch Kauf erworben wurden. Sobieski ließ sogar selbst im Park des Schlosses ein türkisches Bad errichten. Echte Beutestücke wurden wiederum an andere Adlige verschenkt oder getauscht. Das galt selbst für türkische und tatarische Gefangene, die im Schloss eingesperrt waren, später aber zunehmend zu nützlichen Tätigkeiten (wie der sachgerechten Pflege der Beutestücke) herangezogen wurden. Die Kultur der Besiegten verlor schnell ihren Schrecken und gewann ein Element von Exotik, mit der man sich schmücken und herausheben konnte.

Aber das Andenken an die Türkenkriege wurde nicht nur durch erbeutete Kriegstrophäen manifestiert, sondern auch durch Auszeichnungen von Außenstehenden, die vor allem Sobieski zuteil wurden. Jagodzinski beschreibt die Feierlichkeiten, die aus diesen Anlässen in Żółkiew stattfanden. Als 1684 der päpstliche Nuntius in Polen an Sobieski ein Ehrenschwert überreichte, fand die Feier in den Zelten des türkischen Großwesirs statt, die man ein Jahr zuvor bei Wien erbeutet hatte, und Sobieski war in diesem Rahmen bemüht, sich als Nachfolger von Kara Mustafa zu präsentieren. 1694 schließlich verhandelte ein Gesandter des bayerischen Kurfürsten über die Heirat von Sobieskis Tochter mit seinem Herrn. Bei dieser Gelegenheit waren es die Hausherren, die aus ihren Beständen türkischer Herkunft besonders schöne Stücke auswählten, um sie dem künftigen Schwiegersohn zum Geschenk zu machen. Weitere Objekte wurden in diesen Jahren an andere Orte vergeben, in denen das Andenken an die Türkenkriege gepflegt wurde. Dabei handelte es sich um Orte in Polen (Wawel in Krakau, Paulinerkloster in Tschenstochau, Warschau) und im Ausland (Rom, Loreto). Solche Schenkungen dienten nicht zuletzt auch der Verbreitung des Ruhms Sobieskis als Türkensieger in ganz Europa, ein Anliegen, dem man auch durch die Schaffung neuer Gedenkmedien, wie etwa Münzen, Rechnung zu tragen suchte.

Doch auch Sobieskis Ausrichtung des Türkengedenkens in Żółkiew war nicht von ewiger Dauer. Als seine Enkelin das Schloss 1740 an Michał Kazimierz Radziwiłł verkaufte, löste dieser die bis dahin erhaltenen Räume von Żółkiewski und Sobieski auf. Die Türkengefahr war für Polen mittlerweile nicht mehr akut, und damit auch nicht mehr das Gedenken an vergangene Kriege und Siege. Radziwiłł ließ das Schloss barock umbauen, wobei er sich mehr an westeuropäischen Vorbildern orientierte als am Modell eines palazzo in fortezza, wie er für Adelsresidenzen am Südostrand Polens bis dahin üblich gewesen war. Außerdem überführte er viele Ausstattungsgegenstände in seine Hauptresidenz in Nieśwież in Litauen (heute Belarus). Wenn die Radziwiłł nun noch an den Kriegsruhm von Żółkiewski und Sobieski erinnerten, so ging es ihnen eher darum, den Hetman und den König als Ahnen ihres Geschlechts zu reklamieren und so die Bedeutung ihrer Familie herauszuheben. Zum 100. Jahrestag der Schlacht von Wien ließ 1783 Karol Stanisław Radziwiłł in der Pfarrkirche von Nieśwież einen Andenkenthron für Sobieski errichten, der aber auch an Mitglieder der Familie Radziwiłł erinnerte, die in den Türkenkriegen gekämpft hatten. Zu dieser Zeit hatte die erste Teilung Polens bereits stattgefunden, und so gewann das Gedenken an Sobieski nun noch eine neue Dimension: Es beschwor frühere Zeiten herauf, in denen die Adelsrepublik noch mächtig gewesen war und die Christenheit vor der islamischen Gefahr retten konnte.

Die Autorin weist noch darauf hin, dass seit den neunziger Jahren sich der polnische Staat intensiv bei Restaurierungsmaßnahmen in Żółkiew engagiert hat, obwohl das Schloss mittlerweile auf dem Gebiet der Ukraine liegt. Polnische Delegationen legten in Żółkiew Kränze nieder und brachten Erinnerungstafeln an. Hier hat die Erinnerung nun vor allem eine nationale Dimension bekommen, indem sie auf die frühere Bedeutung und territoriale Ausdehnung des polnischen Staates verweist.

Trotz allem inhaltlichen Reichtum sind auch einige kritische Bemerkungen angebracht. Interpretationen von Kunstwerken sind letztlich immer auf Intuition angewiesen und lassen sich nicht beweisen, zumal dann nicht, wenn, wie hier, keine schriftlichen Quellen dazu vorliegen. Die Autorin hätte offensiver mit der Problematik umgehen sollen, und in ihren Aussagen zur Bedeutungsgebung von Schloss und Inventar weniger apodiktisch sein können. Dies ist im Übrigen ein Problem, das weite Teile der Erinnerungskultur-Forschung betrifft. Es trägt hier auch dazu bei, dass an manchen Stellen nicht deutlich wird, ob die Autorin ihre Aussagen schon aus der Sekundärliteratur entnommen hat oder ob es sich um ihre eigenen Überlegungen handelt. Der einleitende historische Überblick zu den Türkenkriegen der Adelsrepublik ist zudem nicht frei von Ungenauigkeiten, die aber der Kunsthistorikerin wohl weniger anzurechnen zu sind, zumal auch in der historischen Literatur manche falsche Vorstellungen kursieren. Schließlich ist die Arbeit sprachlich an vielen Stellen schwerer verständlich, als es notwendig wäre. Zwar müssen, wie schon gesagt, erschöpfende Beschreibungen und Fachjargon in kunsthistorischen Arbeiten wohl in Kauf genommen werden. Dennoch hätte man vieles einfacher formulieren können.

Erleichtert wird die Lektüre aber wiederum durch die großzügige graphische Gestaltung des Werkes, über die zum Schluss noch ein paar Worte gesagt werden sollen. Das Buch ist im Großformat erschienen, wodurch auch größere Reproduktionen der besprochenen Objekte möglich sind. Es ist mit einer Reihe von Schwarzweiß-Abbildungen im Text und mit einem Anhang mit Farbtafeln ausgestattet. Die Abbildungen sind von hoher Qualität, sie sind sinnvoll ausgewählt und mit Sorgfalt aus verschiedenen Quellen zusammengetragen. Die Verbindung zum Text wird durch eindeutige Hinweise hergestellt. Auch Leser, die mit der polnischen Adelskultur weniger vertraut sind, können so leicht eine Anschauung von den besprochenen Objekten gewinnen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/