Titel
Invisible Armies. An Epic History of Guerrilla Warfare from Ancient Times to the Present


Autor(en)
Boot, Max
Erschienen
Anzahl Seiten
784 S.
Preis
€ 15,44
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Marcel Berni, Dozentur Strategische Studien, Militärakademie an der ETH Zürich (MILAK)

Max Boot legt mit „Invisible Armies“ ein neues Überblickswerk zur Geschichte des Guerillakrieges vor. Boot begnügt sich dabei nicht nur mit Aufständischen, sondern rückt zudem deren Bekämpfer ins Zentrum seiner Ausführungen. Bezeichnenderweise nimmt er eine Patrouillenfahrt von amerikanischen Soldaten im umkämpften Bagdad während des Frühjahres 2007 zum Anlass, in die grundlegende Thematik des Buches einzuführen:

Exakt vier Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins rückte am 9. April 2007 eine Gruppe amerikanischer Soldaten aus, um ihre abendliche Mission auszuführen. Nach einer kurzen Fahrt verließ die Einheit ihr nur schwach bewaffnetes Transportfahrzeug und tauchte in die irakische Frühlingsnacht ein. Für die 13 Männer der 82nd Airborne Division war es die dritte Patrouille des Tages, welche sie in den schiitischen Stadtteil Kadhimiya führte, der als verhältnismäßig sicher galt. Doch das bedeutete wenig, wurden ihre Kameraden doch zu jener Zeit immer wieder von scheinbar aus dem Nichts auftauchenden irakischen Aufständischen angegriffen. An diesem Abend geschah jedoch wenig, weshalb sich die Männer unter Captain David Brunais nach einem kurzen Gespräch mit Einheimischen wieder in ihre Basis am Stadtrand zurückzogen.

Während der beschriebenen Patrouille ereignete sich nichts Außergewöhnliches, es kam zu keiner Konfrontation, keinem Schusswechsel oder Gefecht. Die amerikanischen Soldaten taten nichts anderes als das, was vor und nach ihnen unzählige Soldaten als ihre tägliche Routine bezeichneten: unspektakuläre, ermüdende und langweilige Aufklärungs- und Sicherungseinsätze. Solche Operationen sind ein bedeutender Anteil von Kriegen, in denen die Bekämpfung von Aufständischen die Hauptaufgabe darstellt. Der geschilderte Patrouillengang lässt sich folglich in eine lange Tradition von Einsätzen einordnen, in welchen sich Soldaten einer als „unkonventionell“ wahrgenommenen Bedrohung ausgesetzt sahen. Diese Art von Guerillakrieg wurde seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur wichtigsten Form der Kriegsführung. Dabei handelt es sich aber keineswegs um etwas Neues, sondern vielmehr um eine Konstante in der Kriegsgeschichte. Die in der Theorie oft gezogene simplifizierende Abgrenzung zwischen „irregulärer“ und „regulärer“ Kriegsführung hat sich mittlerweile etabliert. Dabei gilt es aber stets zu bedenken, dass erstere älter ist, als was heute gemeinhin als „regulärer“ Staatenkrieg bezeichnet wird.

Egal ob von „irregulär“, „unkonventionell“ oder „asymmetrisch“ kämpfenden Einheiten oder von „Insurgenten“, „Guerillas“, „Aufständischen“, „Partisanen“ oder „Freischärlern“ die Rede ist, wird mit diesen Begriffen eine im Grunde ähnliche Form des Kleinkrieges ohne klare Fronten bezeichnet. Max Boot definiert diese als „the use of hit-and-run tactics by an armed group directed primarily against a government or its security forces for political or religious reasons“ (S. xxii). Der Autor untersucht in seinem neuesten Werk aber nicht nur Guerillakriege, sondern schließt auch Fallanalysen zum Terrorismus ein, dessen Anfänge er in den Anschlägen der persisch-syrischen Assassinen im Hochmittelalter verortet (S. 205–210). Boot rechtfertigt den Einbezug von Terroristen in seiner Untersuchung aufgrund der aus seiner Perspektive unscharfen Abgrenzung zwischen Guerillas und Terroristen (S. xxii–xxiv). So habe der Vietcong als klassische Guerillabewegung auch südvietnamesische Zivilisten getötet und die IRA habe es neben britischen Armeeeinrichtungen auch auf zivile Ziele abgesehen gehabt. Obwohl sich Guerillas und Terroristen teilweise in Vorgehensweise und Zielsetzung ähneln, ist Boots Verknüpfung und die Auswahl seiner Fallbeispiele, die nirgends begründet werden, nicht immer nachvollziehbar und zumindest stellenweise willkürlich. Die Kategorien „Guerilla“ und „Terrorist“ haben wohl weniger gemeinsam, als von Boot angenommen. Die Anarchisten im 19. Jahrhundert (S. 226–234), die Rote Armee Fraktion (S. 450–459) oder die Revolutionäre Organisation 17. November (S. 456) haben daher in einer „epic history of guerilla warfare“ wenig verloren.

Max Boot geht es jedoch hauptsächlich um die Evolution des Guerillakrieges und dessen Bekämpfung von den Ursprüngen bis zu den heutigen Konflikten. Damit nimmt sich Boot keineswegs ein neues Thema in der internationalen Geschichtsschreibung vor. Syntheseartige Darstellungen zu Guerillakriegen haben Tradition.1 Guerillakrieg und Terrorismus handelt Boot in 64 Kapiteln auf über 750 Seiten ab und nimmt den Leser auf eine fünftausend Jahre währende globalhistorische Rundreise mit. Das vom Autor hochgezogene Panorama ist reichlich ausgestattet mit verschiedenen Protagonisten. So reicht das bunte Personenpanoptikum von Sargon von Akkad über Robert the Bruce, Toussaint Louverture, John Brown, Giuseppe Garibaldi, Christiaan Rudolf de Wet, hin zu Gestalten des 20. Jahrhunderts wie T.E. Lawrence, Ho Chi Minh, Mao Zedong, Gerald Templer, Orde Wingate, Marcel Bigeard oder David Petraeus. Letzterer wird von Boot für seine Aufstandsbekämpfung gelobt, die ihren Niederschlag im „Field Manual 3-24“ vom Dezember 2006 fand. Dieses wurde von Petraeus selber während der Truppenaufstockung im Irak ab Februar 2007 implementiert („The New Way Forward“).

Auf einem reichen Literaturstudium aufbauend, fasziniert Boots Buch in vielen Facetten und Überlegungen, die breit kontextualisiert werden. Obwohl der Autor die Kontinuität des Guerillakrieges ins Zentrum seiner Überlegungen rückt, betont er eine im Verlauf der Jahrhunderte erfahrene Entwicklung. Die größten Veränderungen im Guerillakrieg der Moderne waren nach Boot die wachsende Bedeutung der drei Faktoren Politik, Propaganda und öffentliche Meinung. Alle erfolgreichen Aufständischen und ihre Bekämpfer versuchten diese drei Faktoren in ihrem Sinn zu beeinflussen. So wurde die amerikanische Unabhängigkeit von der Britischen Krone 1776 – die maßgeblich durch „unkonventionelle“ Kriegsführung unterstützt wurde – nur aufgrund einer Abstimmung im Londoner House of Commons möglich, wo sich – aufgrund der öffentlichen Meinung – eine Mehrheit für eine Beendigung des Krieges gegen die Aufständischen in Nordamerika aussprach (S. 64–79). Auch Gerald Templer erkannte die Macht der öffentlichen Meinung, als er in Malaysia unpopuläre kinetische Operationen in den Hintergrund rückte und stattdessen die „Hearts and Minds“ der Zivilbevölkerung zu gewinnen suchte (S. 378–388). In ähnlicher Manier verbot Mao Zedong seinen Truppen frevelhaftes Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung im Guerillakrieg und inszenierte den langen Marsch als wirkmächtiges Propagandaereignis (S. 328–346).

Weitere Gemeinsamkeiten von erfolgreichen Guerillas sind nach Boot eine durch Propaganda inszenierte Zuspitzung auf einen charismatischen Anführer, die Zusammenarbeit von „regulären“ und „irregulären“ Einheiten (häufig als „hybrid warfare“ bezeichnet), die erfolgreiche Vermeidung offener Schlachten und die externe Unterstützung der Aufständischen durch auswärtige Akteure. Letztere ist für Boot das wichtigste Kriterium für einen langfristigen Sieg von Guerillabewegungen (S. 343).

Max Boot ist Historiker mit Abschlüssen von Berkeley und Yale und zudem Politikberater im amerikanischen Think Tank Council on Foreign Relations. Diese Doppelfunktion bleibt dem Leser nicht verborgen. So versucht Boot, aus fast jedem Fallbeispiel Lehren für aktuelle Krisensituationen herauszudestillieren. Dies zeigt sich am deutlichsten in seinen abschließenden zwölf Lektionen (S. 557–567). Diese thesenartige Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse seines Werkes ist lesenswert und liefert komprimierte Denkanstöße. Durch eine Tabelle im Anhang (S. 571–589), in welcher Boot alle ihm bekannten Aufstände seit 1775 verzeichnet, gelangt der Autor zum Schluss, dass statistisch gesehen in 25.5 Prozent aller Fälle die Guerillas den jeweiligen Konflikt für sich entscheiden konnten. Seit 1945 stieg diese Prozentzahl jedoch auf über 40 Prozent. Daraus folgert Boot, dass uns der Guerillakrieg noch lange erhalten bleiben werde. Einsätze, wie solche der eingangs erläuterten Einheit im Irak, werden folglich auch künftig von militärisch zentraler Bedeutung sein und es werden noch viele Soldaten in die Fußstapfen von David Brunais und seiner Männer treten. Folgerichtig schließt Boots Epilog mit einem von ihm angepassten Zitat des spanischen Philosophen George Santayana: „Only the dead are safe; only the dead have seen the end of guerilla war“ (S. 555).

Auch wenn das Buch nur wenig neue Erkenntnisse vermittelt und überwiegend auf Sekundärliteratur beruht, so ist es doch als Überblickswerk zur wohl ältesten Form der Kriegsführung geeignet. Die umfassende Darstellung, die im Mesopotamien unter Sargon von Akkad beginnt und im Irak unter Nuri al-Maliki ihren Abschluss findet, veranschaulicht dem Leser Seite für Seite die Persistenz des Guerillakrieges in der Geschichte.

Anmerkung:
1 Zum Beispiel allein seit 2000: Beatrice Heuser, Rebellen Partisanen Guerilleros. Asymmetrische Kriege von der Antike bis heute, Paderborn 2013; James R. Arnold, Jungle of Snakes. A Century of Counterinsurgency Warfare from the Philippines to Iraq, New York 2009, Daniel Marston / Carter Malkasian (Hrsg.), Counterinsurgency in Modern Warfare, Oxford 2008; William R. Polk, Violent Politics. A History of Insurgency, Terrorism and Guerrilla War from the American Revolution to Iraq, New York 2007; Ian F.W. Beckett, Modern Insurgencies and Counter-Insurgencies. Guerrillas and their Opponents Since 1750, New York 2001.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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