: Across the Moscow River. The World Turned Upside Down. London 2002 : Yale University Press, ISBN 0-300-09496-5 384 S. US$ 29,95

Mettke, Jörg R. (Hrsg.): Priobresti ves' mir [Die ganze Welt gewinnen]. Sbornik statej k jubileju nemeckogo publicista Fritjof Majera [Sammlung von Aufsätzen zum Jubiläum des deutschen Publizisten Fritjof Meyer]. Moskau 2002 : Izdatel'stvo "Izvestija" Upravlenija delami Prezidenta Rossijskoj Federacii, ISBN nicht bekannt 311 S.

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig

Umbruch in Russland

Einer der herausragenden Sowjetunion-Kenner im auswärtigen Dienst Großbritanniens, Sir Rodric Braithwaite, war in den entscheidenden Umbruchjahren 1988 bis 1992 Botschafter seines Landes in Moskau. In den vorliegenden Erinnerungen an diese bewegte und bewegende Zeit schildert er zunächst die Liebe, die er bei aller Kenntnis dortiger Missstände und deutlicher Kritik daran zu Russland gefasst hat, und geht dann dazu über, seine Eindrücke und Erfahrungen als Botschafter genau darzustellen. Zum Schluss bemüht er sich, die Zukunftsperspektiven des weithin so fremdartig erscheinenden und in sich widersprüchlichen Landes herauszuarbeiten.

Alle diese Darlegungen werden in den Rahmen einer umfassenden Hintergrundkenntnis gestellt, deren Quellen durch Fußnoten belegt werden. Eine Zeit, die das Gesicht nicht nur Russlands und Deutschlands (von dessen Wiedervereinigung und der dazu eingenommenen Haltung anderer Akteure viel die Rede ist), sondern auch der internationalen Verhältnisse insgesamt veränderte, wird so vor dem geistigen Auge des Lesers nochmals lebendig.

Auch im Sammelband von Jörg Mettke geht es um den Umbruch in Russland. Mit diesem Buch würdigen anlässlich des 70. Geburtstags des „Spiegel“-Redakteurs Fritjof Meyer prominente russische und deutsche Autoren, darunter Gorbatschow mit einer besonderen Laudatio, dessen lebenslanges journalistisches Bemühen, die Vorgänge zuerst der sowjetischen Zeit, dann der Umbruchsphase und schließlich des nachsowjetischen Russlands bei aller Andersartigkeit zu verstehen und der deutschen Öffentlichkeit verständlich zu machen. (Die Titel dieser Bücher, Aufsätze und Interviews werden am Ende des Sammelbandes aufgeführt.)

Ein besonders wichtiges Werk, Meyers „Niedergang einer Weltmacht“ von 1986, das die Wirklichkeit in der späten UdSSR klarsichtig erfasste und den Zusammenbruch ihrer politischen Verhältnisse voraussagte, stellt der bekannte russische Historiker und Reformbefürworter Wjatscheslaw Daschitschew in einem Beitrag vor. Wolfgang Seiffert hält den damaligen Führungen in Ost-Berlin und Moskau vor, mit ihrer grundsätzlichen Ablehnung der deutschen Einheit und des damit verbundenen Abschieds von der DDR die Chancen verspielt zu haben, die sich bei einer auf die Vereinigung Deutschlands abstellenden vorausschauenden Strategie geboten hätten. Honecker habe durch sein beharrliches Nein zum innenpolitischen und innerdeutschen Wandel die 1989/90 erlittene Niederlage der sozialistischen Ordnung in seinem Staat heraufbeschworen. Gorbatschow sei zwar – vor allem durch sein Abrücken von der Breshnew-Doktrin – der Motor des Prozesses gewesen, der zur Vereinigung Deutschlands geführt habe, sei aber dann nicht bereit gewesen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Damit habe er sich entscheidende Vorteile – wie den Auf- und Ausbau der Sowjetunion mit wirtschaftlicher und politischer Unterstützung des Westens und eine Schutzgarantie gegen eine Ausdehnung der NATO – entgehen lassen. Als Ergebnis der Versäumnisse hält Seiffert fest, dass zwar Deutschland gewonnen, die russische Seite jedoch ganz unnötigerweise verloren habe.

Iwan Kusmin, der 1989/90 als KGB-Resident in der DDR Zeuge des Zusammenbruchs der DDR und der Wiedervereinigung Deutschlands wurde, stellt ebenfalls das Fehlen einer politischen Strategie sowie eines solidarischen Miteinanders auf Seiten der Führungen in Moskau und Ost-Berlin fest. Dadurch sei die Chance vertan worden, mit den westlichen Ländern Großbritannien, Frankreich und Italien eine gemeinsame Front zu bilden. Demgegenüber hätten Bundeskanzler Kohl und Präsident Bush ein realistisches Handlungskonzept entwickelt und in enger Abstimmung mit großem Geschick alle Widerstände nicht nur gegen die deutsche Einheit, sondern auch gegen die NATO-Mitgliedschaft des vereinigten Landes überwunden.

Georgij Arbatow hebt hervor, dass sich Russland ebenso wie die USA noch nicht genug auf die grundlegend veränderte internationale Lage eingestellt habe, in der es den jahrzehntelangen Feind nicht mehr gebe, und führt darauf wesentlich die außen- und innenpolitischen Defizite seines Landes zurück, die nach seiner Ansicht vor allem darin bestehen, dass sich das Neue bisher nur halb durchgesetzt hat. Aleksandr Jakowlew reflektiert auf der Basis einer pauschal gleichen Schuldzuweisung über den Kalten Krieg und die darin betriebene ruinöse Rüstung, die zum Zusammenbruch der UdSSR und des sozialistischen Lagers führte.

Andere bekannte Autoren – darunter Oleg Bogomolow, Anatolij Tschernjajew, Valentin Falin, Lew Besymenskij und Nikolaj Portugalow – äußern sich entweder zu der Bedeutung, die der „Spiegel“ und Meyer für sie gehabt hat, oder zu Fragen der Entwicklung Russlands einschließlich seiner Beziehung zu Deutschland. Der Jubilar Fritjof Meyer steuert einen Artikel über Karl Marx als Künder wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten bei. Deren Missachtung durch die kommunistischen Revolutionäre in Russland habe den „Moloch des Staatskapitalismus“ mit den Folgen der Ärmlichkeit und Diktatur hervorgebracht.

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