V. Berridge: Demons. Changing attitudes to alcohol, tobacco, & drugs

Cover
Titel
Demons. Our changing attitudes to alcohol, tobacco, & drugs


Autor(en)
Berridge, Virginia
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 292 S., 11 Abb.
Preis
€ 22,91
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Lengwiler, Departement Geschichte, Universität Basel

Virginia Berridge ist eine ausgewiesene Expertin für die Geschichte des modernen Gesundheitswesens. Seit Jahren beschäftigt sie sich insbesondere mit der Regulierung von Opiat-, Tabak- und Alkoholkonsum im 19. und 20. Jahrhundert; eine Reihe einschlägiger Publikationen sind aus diesen Forschungen hervorgegangen. Ihre Arbeiten entstanden meist im Umfeld ihrer interdisziplinären Forschergruppe am Centre for History of Public Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, einer international führenden sozial- und präventivmedizinischen Einrichtung. Mit dem neuesten Buch legt Berridge eine Synthese ihrer Arbeiten der letzten Jahre vor. Unter dem Titel „Demons. Our changing attitudes to alcohol, tobacco, & drugs“ untersucht sie, wie sich der gesellschaftliche Umgang mit bewusstseinsverändernden Substanzen in der westlichen Welt seit dem frühen 19. Jahrhundert entwickelt hat. Ein besonderes Augenmerk gilt der sich verschiebenden Trennlinie zwischen legalen und illegalen Drogen.

Das Buch will kein anwaltschaftliches Plädoyer zu drogenpolitischen Fragen sein und grenzt sich darin von anderen, stärker politisch motivierten Studien ab.1 Berridge rekonstruiert die historischen Kontinuitäten und Umbrüche in der Drogenpolitik; damit unterstreicht sie die grundsätzliche Wandelbarkeit und Historizität drogenpolitischer Positionen. Selbst im Schlussteil des Buches, der sich mit der aktuellen Drogenpolitik beschäftigt, sieht sie von politischen Schlussfolgerungen ab und beschränkt sich darauf, Szenarien für einen künftigen Umgang mit bewusstseinsverändernden Substanzen zu skizzieren.

Das Buch ist in zwölf Kapitel gegliedert. Die Einleitung entwirft den konzeptuellen Rahmen und stellt die übergreifenden Argumentationslinien vor. Berridge identifiziert zwei Umbruchsphasen in der modernen Drogengeschichte: die Zeit zwischen 1900 und 1920, in der Opiate und diesen zugeordnete Substanzen (Kokain, Cannabis) zunehmend in die Illegalität verdrängt wurden, sowie die Zeit seit den 1950er-Jahren mit einer verstärkten Medikalisierung der Drogen. Die zweite Phase hat in jüngster Zeit dazu geführt, dass die vormals klare Trennung zwischen verbotenen Drogen und erlaubten Genussmitteln zunehmend in Frage gestellt wurde. Tabak und Alkohol erscheinen heute medizinisch gefährlicher als beispielsweise Cannabis. Die Grenze zwischen legalen und illegalen Drogen wird deshalb seit einigen Jahren neu verhandelt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts verliefen die drogenpolitischen Reformen, wie Berridge sie nachzeichnet, vor allem in nationalstaatlichen Kontexten. Innerhalb der westlichen Welt folgten diese durchaus einem gemeinsamen Muster. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben internationale Akteure, allen voran die Weltgesundheitsorganisation (WHO), zunehmend Einfluss auf die drogenpolitischen Entwicklungen genommen.

Die Autorin beleuchtet die wichtigsten Schritte in dieser longue durée von Drogenpolitik und Drogenkonsum. Im zweiten Kapitel schildert sie, wie im frühen 19. Jahrhundert die autochthonen Drogen der westlichen Welt (Wein und Bier) ergänzt wurden durch neue, importierte Genussmittel – Tabak und Opiate – aus Lateinamerika und Asien. Deren Konsum war kaum reguliert – in den Drugstores Großbritanniens stand ein breites Angebot an Opiaten zum freien Verkauf. Davon ausgehend verfolgt Berridge den internationalen Aufstieg der Temperenz-Bewegung seit dem frühen 19. Jahrhundert (Kap. 3). Die Bewegung fand ihre Anhängerinnen und Anhänger nicht nur in bürgerlichen, sondern auch in den Arbeiterschichten, spaltete sich aber um 1900 zunehmend in konkurrierende Lager auf, was bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu einem schleichenden Niedergang führte. Beleuchtet wird weiter die Bedeutung der Professionen für die Drogenpolitik – neben den Ärzten vor allem die Apotheker (Kap. 4) – sowie der gesundheitspolitischen Bewegungen wie der Eugenikbewegung (Kap. 5). Neben Bekanntem (etwa der Verankerung der Abstinenzbewegung innerhalb der Ärzteschaft) verweist Berridge auch auf kaum erforschte Bereiche der Drogengeschichte. Dazu gehören zum Beispiel die Bemühungen der pharmazeutischen Profession, den Verkauf von Opiaten um 1900 so zu regulieren, dass er möglichst auf Apotheken beschränkt, jedoch nicht verboten war. Ebenfalls wenig bekannt ist die Rolle des Gewerbes und der Industrie, die im 19. Jahrhundert bereits stark zur Globalisierung des Wein-, Schnaps- und Tabakmarktes beigetragen haben (Kap. 6).

Die zweite Hälfte des Buches beschäftigt sich mit der Zeit seit dem Ersten Weltkrieg, der in der Geschichte der Drogenpolitik eine Epochenwende markiert. Berridge betont zunächst die zunehmende Verfolgung bestimmter Drogen. Bereits in der Vorkriegszeit wurde der Opiathandel, primär in Asien und unter imperialistischen Vorzeichen, stärker überwacht. Nach dem Krieg weitete der Völkerbund die restriktiven Regelungen zu einer internationalen Kontrolle des Drogenhandels aus. Die Autorin verweist auf die vielschichtigen Akteure dieses Prozesses, zu denen neben internationalen Organisationen auch transnationale Bewegungen wie die Hygienebewegung oder die Anti-Alkoholbewegung gehörten (Kap. 7). Es passt zum breiten Ansatz des Buches, dass Berridge zudem die kultur- und konsumhistorischen Ebenen ihres Gegenstands ausleuchtet, etwa die geschlechtsspezifischen Muster des Drogenkonsums oder den wachsenden Einfluss von Werbung und Marketing bei der Popularisierung von Tabak- und anderen Genussmitteln seit der Zwischenkriegszeit (Kap. 8).2

Der letzte Teil des Buches schildert die drogenpolitischen Entwicklungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Aufstieg der Sozial- und Präventivmedizin manifestierte sich nach 1945 unter anderem in einer verstärkten Medikalisierung, später auch einer restriktiveren Regulierung des Tabakkonsums und anderer Drogen. Berridge verweist zudem auf die nationalspezifischen Pfade in der Drogenpolitik: auf die USA, wo eine mächtige Tabaklobby der relativ schwachen Bundesregierung gegenüberstand; auf Großbritannien, wo Regierung und Industrie in korporatistischen Arrangements zusammenarbeiteten; oder auf die Bundesrepublik Deutschland, wo Rauchen noch bis in die 1990er-Jahre kaum problematisiert wurde (Kap. 9). In den letzten beiden Kapiteln diagnostiziert die Autorin eine seit den 1970er-Jahren anhaltende konvergente Entwicklung, durch die legale Drogen – Alkohol und Tabak – ihre Legitimität teilweise verloren, während einzelne illegale Drogen, insbesondere Cannabis, zumindest medizinisch rehabilitiert wurden (Kap. 10 und 11).

Virginia Berridge bietet in ihrem Buch einen sehr gelungenen Überblick zum Drogenkonsum und zur Drogenpolitik in den letzten zwei Jahrhunderten der westlichen Welt. Die Darstellung ist reflektiert. Die zahlreichen anekdotischen Einschübe machen die Argumentation anschaulich und sind zugleich in den breiteren Kontext eingebettet. Der Blick richtet sich auf exemplarische Länder der westlichen Hemisphäre und deren globale Verflechtungen. Auch das komparatistische Anliegen kommt nicht zu kurz – einerseits durch Vergleiche zwischen westeuropäischen Staaten, andererseits durch transatlantische Seitenblicke auf die USA. Der Fokus bleibt dabei auf den westlichen Ländern; Osteuropa und die Sowjetunion werden kaum behandelt. Bisweilen wirken die Ausführungen etwas kursorisch und vermögen nicht alle angeschnittenen Themen, Räume und Zeitabschnitte gleichermaßen überzeugend abzuhandeln. Diese punktuellen Schwächen sind bei der großen Spannweite der Darstellung jedoch schwer zu vermeiden.

Anmerkungen:
1 Vgl. exemplarisch: Robert N. Proctor, Golden Holocaust. Origins of the Cigarette Catastrophe and the Case for Abolition, Berkeley 2011 (rezensiert von Christopher Neumaier, in: H-Soz-u-Kult, 28.03.2013, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-1-212> [27.08.2014]).
2 Zur Geschichte des Zigarettenkonsums im deutschsprachigen Raum läuft derzeit das BMBF-Verbundprojekt „Die Kulturen der Zigarette und die Kulturen des Politischen. Zur Sprache der Produkte im 20. und 21. Jahrhundert“, geleitet von Rainer Gries: <http://www.politcigs.uni-jena.de> (27.08.2014).