H.-J. Döring: "Es geht um unsere Existenz"

Titel
"Es geht um unsere Existenz". Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien


Autor(en)
Döring, Hans-Joachim
Reihe
Forschungen zur DDR-Gesellschaft 8
Erschienen
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 19,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dennis Kuck, Institut für allgemeine Pädagogik, Humboldt-Universität zu Berlin,

Die historische Forschung zur DDR unterlag immer auch den politischen Bedingungen zuerst deutscher Zweistaatlichkeit und anschließend des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik. In der allgemeinen Konjunktur der DDR-Geschichte nach der Wiedervereinigung, die angesichts des Bedarfs an und der neün Möglichkeiten zur Forschung nicht auf sich warten ließ, dominierte neben politikgeschichtlichen Studien zum Kalten Krieg die Auseinandersetzung zwischen Untersuchungen der SED-Herrschaft unter dem Totalitarismusparadigma einerseits und sozialgeschichtlich orientierten Untersuchungen andererseits 1. Beide Richtungen indes konzentrierten sich auf das Verhältnis zwischen der herrschenden SED und "ihren Menschen", der Bevölkerung. Randfiguren sowohl der Gesellschaft wie der Blockkonfrontation blieben bisher weitgehend unbeachtet.

Als Vertreter der kirchlichen entwicklungspolitischen Kreise der ehemaligen DDR hat Hans-Joachim Döring nun in der prominenten Links-Reihe eine kritische Untersuchung zur DDR-Politik gegenüber Afrika vorgelegt. Wenngleich der Verfasser nach eigener Aussage erst durch den "Hinweis, daß die Geschichte 'dann wieder vom Westen' aufgearbeitet würde" (S.18), zur Fertigstellung dieser Arbeit bewogen wurde, finden sich keine weiteren west-östlichen Dichotomien.

Deutlich stellt Döring die Ambivalenzen der DDR-Südpolitik seit Mitte der 70er Jahre heraus: Er geht auf das ideologische Selbstverständnis und die Hoffnungen der SED in ihrem Engagement ein. Mit der Dekolonisierung wuchs die sozialistische Staatengemeinschaft, die DDR konnte insbesondere die wachsende diplomatische Anerkennung als Erfolg gegenüber der Bundesrepublik verbuchen. Jenseits dieser hehren Sphären bot der neue Zuwachs im sozialistischen Lager allerdings auch handfeste materielle Entlastungen, nachdem sich die östliche Führungsmacht UdSSR auch gegenüber ihren Verbündeten zunehmend auf das Prinzip der Valutaabrechnung von Lieferungen zurückgezogen hatte.

Als das strukturelle DDR-Außenhandelsdefizit 1976/77 in eine akute Bedrohung mündete, entfaltete die SED eine hektische Aktivität, valutaträchtige bzw. -sparende Verträge mit den neuen Verbündeten in Afrika zu schließen. Döring hebt besonders die Bedeutung des ZK-Sekretärs für Agitation und Politbüromitglieds Werner Lamberz hervor, dem er durchaus weltrevolutionären Impetus bei seiner Anbahnungstätigkeit attestiert. Lamberz erreichte von Libyen Dollarkredite und ein Abkommen, das die Finanzierung von DDR-Technikexporten in Drittländer durch Libyen vorsah, aber wohl nach seinem Unfalltod 1978 nie konsequent umgesetzt wurde. Das finanzielle Interesse der DDR scheint jedoch von Beginn dieser handelspolitischen Initiative an durch, wenn etwa der Bereich Kommerzielle Koordinierung von Alexander Schalck-Golodkowski damit betraut wurde.

Die zwei Kernkapitel des Buches befassen sich mit der DDR-Politik in Äthiopien und in Mosambik. Das Verhältnis DDR-Äthiopien belegt auf eindrückliche Weise den Primat des Pragmatismus gegenüber ideologischen Verpflichtungen. Nachdem Mengistu Haile Mariam am 3. Februar 1977 in einem internen Putsch die sowjetische Ausrichtung der Revolution durchgesetzt hatte, war Werner Lamberz als einer der ersten zur Stelle, um Umterstützung zu bekunden. Solange das Regime unter militärischem Druck stand (im Krieg gegen Somalia bzw. gegen Befreiungsfronten in Eritrea und Tigrai), gewährte die äthiopische Regierung umfangreiche Kaffeelieferungen in die DDR, obwohl sie damit einen Überschuß gegenüber den zu einem beträchtlichen Teil aus Rüstungsgütern bestehenden Lieferungen der DDR aufbaute. Zwar reichte der Umfang nicht für eine Versorgung mit reinem Kaffee in der DDR, doch sparte die DDR Hunderte Millionen Valutamark. Als sich das Mengistu-Regime stabilisiert hatte, zeigte sich die äthiopische Seite wesentlich stärker auf Abrechnung in konvertierbarer Währung bedacht. Konnte die DDR eine Abgeltung ihrer Schulden in Devisen verhindern, so vegetierte ihr Handel mit Äthiopien nach der kurzen Blüte von 1979 an auf niedrigem Niveau dahin, das nur 1983 und 1989 durch zusätzliche Waffenlieferungen durchbrochen wurde. Gleichwohl bemühten sich beide Seiten bis zum Ende der DDR, den ökonomischen Interessengegensatz durch personelle Austauschbeziehungen und diplomatische Gesten zu kaschieren.

Die intensivsten Beziehungen unterhielt die DDR zur Volksrepublik Mosambik, deren Befreiungsfront FRELIMO schon in den Jahren vor der Unabhängigkeit wesentliche Unterstützung von der DDR erhalten hatte. Die Neuformulierung dieser Beziehungen ließ allerdings nach der Regierungsübernahme auf sich warten: Die DDR beschränkte sich angesichts ihrer ökonomischen Zwangslage auf Beratung und karitative Hilfe. Erst 1977 entfaltete sie dann auch eine breite wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Mosambik, die durch den Besuch Honeckers zwei Jahre später gekrönt wurde. Die Zusammenarbeit war gekennzeichnet durch utopische Großprojekte, deren Ertrag zu 50% der DDR zustehen sollte, deren weitgehendes Scheitern dann aber zur baldigen beiderseitigen Ernüchterung beitrug. Klassischem Kolonialhandel nicht unähnlich, lockte der kreditgesicherte Absatz von Anlagen und Geräten, während die DDR-Planungsgruppen die Voraussetzungen für deren Einsatz in Mosambik nur unzureichend berücksichtigten. So fanden viele Lieferungen zwar keine Verwendung, trotzdem belasteten sie den mosambikanischen Kreditrahmen.

Diese ausbleibenden Erfolge wie auch die generelle Krise des RGW führten zu einer Abkühlung der Beziehungen zu Mosambik zu Beginn der 80er Jahre. Döring bewertet die Entwicklung seit 1983 als "Abwicklung der intensiven Beziehungen" (S. 174), während die DDR aber weiterhin militärische Unterstützung gegen die rechtsgerichtete RENAMO gewährte. Die Erosion der vermeintlichen Blocksolidarität wurde ergänzt durch neue Initiativen der USA und auch der BRD, die mit Entwicklungshilfegeldern auf den Plan trat.

Besonders ausführlich schildert Döring das exemplarische Scheitern des Kooperationsprojektes im mosambikanischen Steinkohlebergbau von Moatize, der 1978 verstaatlicht wurde. Aus einer DDR-Hilfsaktion nach Grubenunglücken im Jahre 1977 war eine gemeinsame staatliche Leitung des Bergbaus hervorgegangen. Hatte sich die DDR hierdurch zwar den Zugang zu einem möglichen Kohlenimport von rund 250.000 t jährlich gesichert, stellten die Planer erst Anfang 1979 fest, daß sich die mosambikanische Kohle in der DDR nicht verkoken ließ und damit für sie weitgehend nutzlos war. Auch auf anderen Gebieten dieser Kooperation folgte man dem Prinzip, erst weitgehende Verträge abzuschließen und anschließend die konkreten Gegebenheiten zu untersuchen. Neben fehlender Verwendung zeichnete sich seit 1982 ab, daß die Kohle wegen zunehmender RENAMO-Anschläge nicht transportiert werden konnte und auf Halden verkam. Während sich die DDR-Planer mühsam zu einem Rückzug aus diesem Fiasko durchrangen, hing für die mosambikanische Regierung am Produktionsfortgang ihres größten Industrieprojektes auch ihre internationale Kreditwürdigkeit. Nach dem Ausstieg der DDR jedoch verfielen die Gruben zunehmend.

Moatize war noch in anderer Hinsicht bedeutsam, stellte es doch die einzige größere Kolonie von DDR-Bürgern im Ausland dar. Döring zeigt, daß auch in diesem Fall Auslandskontakt mit einem Generalverdacht belegt war und die entsandten deutschen Beschäftigten ihr Privileg mit einer rigide durchgesetzten Abschottung von der einheimischen Belegschaft relativiert sahen. Selbst die kompletten Versorgungsgüter wurden eingeflogen. Unter diesen Umständen, so Döring, habe sich schließlich latenter Rassismus entwickelt und auch manifestiert.

Dörings Fazit der Handelsbeziehung DDR-Mosambik ist verheerend. Die Hoffnungen der DDR, devisenschwere Westimporte an Rohstoffen, Futtermitteln und Getreide ablösen zu können, waren gescheitert. Als einzigen Erfolg konnte man die Schönung der Außenhandelsbilanz verbuchen. Das Defizit gegenüber dem klassischen Westen wurde durch die kreditgestürzten Exporte in die Dritte Welt formal ausgeglichen. Hier verläßt Döring das Feld der historischen Analyse, um einen aktuellen entwicklungspolitischen Entschuldungsappell zu formulieren. Denn wie die DDR, die in den 80er Jahren ihre Außenstände durch die Quasi-Pfändung des Lohns mosambikanischer Vertragsarbeitnehmer zu tilgen suchte (vgl. S. 233ff.), so wurden von der DDR-Afrikapolitik nach der Wende allein diese Außenstände übernommen. Nicht Dörings kritische Analyse und sein berechtigter Appell, sondern vielmehr eine Naturkatastrophe hat die Schuldenstreichung für Mosambik nun wieder auf die Tagesordnung gebracht.

Dörings Buch besticht durch die neue, aussagekräftige Qüllenbasis. Das Verdienst seiner Darstellung wird noch im Anhang des Buches sichtbar, hat er hier doch zwei Gespräche mit ehemals hochrangigen "Zeitzeugen" abgedruckt, deren Sicht von eher sanfteren Bildern bestimmt ist. Dörings Anliegen, die Vielschichtigkeit und möglichst alle Aspekte der Problematik einzufangen, finden sich in mehreren betitelten und unbetitelten Exkursen wieder. Insgesamt jedoch bleibt der Rote Faden erhalten. Tritt die DDR-Gesellschaft, das Forschungsobjekt der wissenschaftlichen Reihe, in dieser Monographie nur als Kaffeetrinker und Spender für die Internationale Solidarität in Erscheinung, so stößt Dörings Buch doch die Tür für weitere kritische Hinterfragung von "Solidarität" und "Völkerfreundschaft" auf.

Anmerkung:
1 Vgl. die politikgeschichtliche Überblicksdarstellung von Klaus Schröder (unter Mitarbeit von Steffen Alisch): Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR, München 1998; zu Sozialgeschichte die Sammelbände Hartmut Kaelble u. a. (Hgg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994; Richard Bessel / Ralph Jessen (Hgg.): Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996 sowie die neuen Sammelbände "Herrschaftsstrukturen und Erfahrungsdimensionen der DDR-Geschichte" des ZZF Potsdam.

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