D. von der Nahmer: Der Heilige und sein Tod

Cover
Titel
Der Heilige und sein Tod. Sterben im Mittelalter


Autor(en)
Nahmer, Dieter von der
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manuel Kamenzin, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Der Tod eines Heiligen wird in seiner Vita meist in einem zentralen Kapitel geschildert, so dass wir über das Sterben dieser Personengruppe vergleichsweise gut informiert sind. Nach seinem Einführungsbuch zu lateinischen Heiligenviten1 widmet Dieter von der Nahmer diesen Beschreibungen nun eine gesonderte Monographie. Mit dieser will er allerdings nicht an die bisherigen Forschungsansätze zum Tod im Mittelalter anknüpfen, denn das Buch sei nicht entstanden, „um das in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitete Wissen, wie man starb, wie Familie, Kirche und andere Gemeinschaften das Sterben rituell begleiteten, was man unter Sterben und Tod verstand, zusammenzufassen, um Nuancen zu erweitern oder um Übersehenes nachzutragen“ (S. 7). Vielmehr solle aufgezeigt werden, wie Einzelne „sich in ihrem Leben dem eigenen Sterben, dem eigenen Tod gestellt und ihr Leben darauf ausgerichtet haben“ (S. 7). Daraus folgert er die Frage, ob mit einem „zu engen Begriff des Individuums die Menschen des frühen Mittelalters“ nicht zu Unrecht als „Exemplare einer Gattung“ (S. 7) klassifiziert worden seien.

Um diesem Ziel gerecht zu werden, greift von der Nahmer weit zurück und beginnt seine Ausführungen bei „Gestalten des Alten Testaments“ (S. 35–42), um über „Christus“ (S. 43–60) und einige „Märtyrer“ (S. 61–82) zu „Heilige[n] (Confessores) bis zum Ende des 6. Jahrhunderts“ (S. 83–128) zu gelangen. Daran anschließend geht er im Hauptkapitel „Heilige des frühen und hohen Mittelalters“ – gemäß dem Titel des Buches – auf Leodegar von Autun (S. 129–133), Adalhard von Corbie (S. 133–140), Ansgar (S. 140–147), Ulrich von Augsburg (S. 147–156), Bernward von Hildesheim (S. 156–174) und Franziskus von Assisi (S. 175–210) ein.2 Es folgen eine Zusammenfassung (S. 211–236), ein Epilog zur Frage des Individuums (S. 237–242) sowie fünf ausgelagerte Exkurse zu quellen- oder forschungskritischen Aspekten (S. 303–320).

Den behandelten Heiligen werden dabei jeweils einzelne Unterkapitel gewidmet, die im Regelfall mit einer knappen Einführung zum zugrundeliegenden Vitentext und dessen Schreiber beginnen. Nah an den Beschreibungen der Vita schildert von der Nahmer das Leben des Heiligen mit besonderem Augenmerk auf der Haltung gegenüber dem Tod und den Vorbereitungen auf ihn. Wenn es der Gegenstand erlaubt, geht er hierbei auch über den Text der jeweiligen Heiligenvita hinaus: Im Falle Bernwards von Hildesheim bezieht von der Nahmer beispielsweise Memorialstiftungen, Testamente, einen Abtsstab, die Bernwardstür sowie die Grablege (S. 160–174) in seine Überlegungen mit ein. Der Fließtext ist hierbei den Quellen vorbehalten, die ausführlich zu Wort kommen, während die Aushandlung mit der Forschungsliteratur fast ausschließlich in den Anmerkungen (und den Exkursen) erfolgt. Die Kapitel enden mit der Beschreibung der Todesvorbereitungen und des Sterbens. In seiner Zusammenfassung (S. 211–236) stellt von der Nahmer die im Verlauf des Buches geschlossen abgehandelten Erzählungen vergleichend nebeneinander und betont die Unterschiede in den Schilderungen, während er eine Gemeinsamkeit in der Zentralität der letzten Stunde für die Heiligen sieht: „Eigen ist jedem dieser Heiligen sein Tod, und man darf wohl von dem Wunsch sprechen, dieses wichtige, das irdische Leben beschließende Geschehen zu gestalten; der Tod wird nicht einfach nur hingenommen, er erscheint als dem Leben zugehörig, so dass große Heilige diesem als einem engen Durchgang zu einem größeren, reinen Leben – fast möchte man sagen – kultisch entgegenstreben.“ (S. 220f.).

Mehrfach kritisiert von der Nahmer Arbeiten, die in den Sterbeschilderungen topische Elemente und Strukturen aufzeigen (S. 16/18). In seinem eigenen Zugriff tritt er einer solchen Herangehensweise strikt entgegen: Der Lebenswandel und das Sterben der Heiligen wird zusammenhängend und sehr nah an den Quellen geschildert, es erfolgt kein Aufbrechen der Erzählung. Hierdurch zeigt er mehrfach signifikante Eigenheiten auf. Dieses Ergebnis wird allerdings durch die unklare Auswahl der behandelten Personen getrübt: Während das weite und ausführliche Ausgreifen zu Beginn mit der Zentralität der Bibel für die Heiligen und ihre Viten begründet wird (S. 29), liegt der Schwerpunkt im Hauptteil bei „Heiligen und Märtyrern, die von jenen biblischen Berichten beste Kenntnis hatten“ (S. 7). Dieses Auswahlkriterium wird nicht weiter ausgeführt und erscheint wenig trennscharf. Leider versäumt es von der Nahmer darüber hinaus, sich mit Otmar Kamperts 1998 veröffentlichter Dissertation „Sterben der Heiligen“ 3 auseinanderzusetzen, obwohl thematische Überschneidungen vorhanden sind, und übergeht damit die einzige andere monographische Arbeit zu diesem Thema.

Wie im Vorwort angekündigt, lenkt von der Nahmer in seinem Buch den Blick auf Einzelne, ihre Einstellung zum Tod und ihr Sterben. Mit seiner Betonung von Individualität bildet er damit ein Gegengewicht zu den nach Mentalitäten oder topischen Gemeinsamkeiten in den Texten fragenden Ansätzen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit eben diesen Vorarbeiten fehlt allerdings. Somit bietet „Der Heilige und sein Tod“ dem Leser einen kundigen Zugriff auf die Quellen zu Sterben und Tod der behandelten Personen. Wer sich jedoch über sämtliche in der Forschung diskutierte Aspekte informieren will, muss weitere Titel zur Hand nehmen.

Anmerkungen:
1 Dieter von der Nahmer, Die lateinische Heiligenvita. Eine Einführung in die lateinische Hagiographie, Darmstadt 1994. Hier findet sich S. 78f. bereits ein Aufruf, ein gesondertes Buch über die Sterbeschilderungen in Heiligenviten zu verfassen.
2 Weder im Text noch in den Anmerkungen macht von der Nahmer dabei ausreichend deutlich, dass er sich bereits mit vielen Heiligen der ersten Kapitel sowie einigen des Hauptkapitels beschäftigt hat und dabei zu nahezu gleichen Ergebnissen kam: Dieter von der Nahmer, Vom Tod des Heiligen, in: Regulae Benedicti Studia 17 (1992), S. 139–161.
3 Otmar Kampert, Das Sterben der Heiligen. Sterbeberichte unblutiger Märtyrer in der lateinischen Hagiographie des Vierten bis Sechsten Jahrhunderts, Altenberge 1998. Dies trifft auch auf einige Aufsätze zu, beispielsweise Pierre Boglioni, La scène de la mort dans les premières hagiographies latines, in: Claude Sutto (Hrsg.), Le sentiment de la mort au Moyen Âge. Études présentées au Cinquième colloque de l'Institut d'études médiévales de l'Université de Montreal, Quebec 1979, S. 183–210.