Cover
Titel
Wissenschaftssprache digital. Die Zukunft von gestern


Autor(en)
Groebner, Valentin
Erschienen
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anton Tantner, Institut für Geschichte, Universität Wien

Vor zwei Jahren legte der epochenübergreifend interessierte Mediävist Valentin Groebner mit dem Büchlein „Wissenschaftssprache“ eine essayistisch gehaltene, kurzweilige Gebrauchsanleitung zum wissenschaftlichen Schreiben vor, die nicht zuletzt auch Studierenden zur Lektüre empfohlen werden kann.1 Wer von dem nun erschienenen Band „Wissenschaftssprache digital“ Ähnliches für das Schreiben in digitalen Umgebungen erwartet, sei es in Form von Tweets, Weblogpostings, Artikeln für Onlinejournale oder Einträgen in Social-Media-Plattformen à la Facebook, wird enttäuscht sein. Genauso wenig kann der Band als Analyse der in den stetig wachsenden digitalen Wissenschaftsressourcen verwendeten Sprache betrachtet werden. Die Argumentationsrichtung ist eine andere.

„Wissenschaftssprache digital“ (dem 2013 verstorbenen Peter Haber gewidmet) ist weder Ratgeber, Schreibguide noch Sprachanalyse, sondern reiht sich stattdessen in ein Textgenre ein, das als „Papierlob“ bezeichnet werden könnte und das in den letzten Jahren von jenen „älteren Herren“ (S. 49) bedient wird, zu denen sich Groebner (Jahrgang 1962) inzwischen nicht ohne Ironie selber zählt. In diesem Genre werden in zumeist essayistischer Form die Vorzüge des Papierbuchs gegenüber seinen elektronischen Varianten besungen; seine extremste Ausformung findet es wohl in dem Pamphlet „Ende der Hypnose“ des Literaturwissenschaftlers und Open-Access-Gegners Roland Reuß, der seine durchaus berechtigte Skepsis gegenüber den Aktivitäten monopolartiger Internetkonzerne mittels Versatzstücken der Kritischen Theorie zu einem fanatisch anmutenden Kulturpessimismus transformiert hat2 – welch ein Kontrast zu Eric Jarosinski, dessen Persona @NeinQuarterly ebenfalls an Adorno geschult ist und der den aufklärerischen Aphorismus in eine zeitgemäße, via Twitter verbreitete Form gebracht hat!3

Weniger extreme Formen des Papierlobs haben zuletzt Günter Karl Bose4 und Michael Hagner vorgelegt. Letzterer verknüpft seine „Kritik der Buchkritik“ mit einem „Bekenntnis zum gedruckten Buch“ und bezeichnet (Papier-)Bücher als „gedruckte[n] Goldstandard“5, ohne zu fragen, ob und in welcher Form dieser sein Bretton Woods erleben wird oder womöglich schon erlebt hat.6

Am Genre des Papierlobs ist positiv hervorzuheben, dass es sich darum bemüht, die Besonderheiten und Vorzüge des Drucks auf Papier nicht zuletzt in seiner Bedeutung für die neuzeitliche Wissenschaft herauszuarbeiten; zu bemängeln ist jedoch, dass das „Papierlob“ kaum Gedanken darüber anstellt, wie diese Stärken in ein digitales Universum zu überführen wären. Dies gilt auch für das vorliegende Buch von Groebner, der als gemäßigter Verfechter des Papiers betrachtet werden kann und sich nicht gänzlich den Vorteilen der neuen Medien verschließt.

Der Form des Essays entsprechend wird Groebners sehr persönlich gehaltenes Werk nicht von einer einheitlichen, stringenten Frage durchzogen. Sein Ausgangspunkt ist vielmehr das mit einem Augenzwinkern vorgetragene Unbehagen, angesichts der vielfältigen Entwicklungen im Bereich der digitalen Medien nicht „auf dem Laufenden“ zu sein (S. 7) und „unendlich viel verpasst [zu] haben“ (S. 8). Diesem Unbehagen begegnet Groebner nicht etwa mit einer Lektüre und Analyse zum Beispiel mancher der sehr empfehlenswerten Weblogs auf der wissenschaftlichen Plattform <http://de.hypotheses.org> – was bei einer Beschränkung auf einige wenige gar nicht so zeitaufwendig gewesen wäre, wie der Autor befürchtet –, sondern mit sehr kenntnisreichen und gewinnbringend zu lesenden Ausflügen in die Wissenschafts- und Technikgeschichte, vor allem in die Geschichte der Prophezeiungen, die mit der Ankunft neuer Technologien verbunden waren. Groebner mokiert sich gleichermaßen über Medien-Apokalyptiker wie Medien-Utopikerinnen; er zieht Analogien zwischen der in Europa um 1100 auftauchenden magischen Kristallkugel und dem PC-Bildschirm. Die digitale Textproduktion stellt er in die Tradition der seit der Verbreitung des Kopierers in den 1960er-Jahren entstehenden „grauen Literatur“ sowie in diejenige der Gelehrtenkorrespondenz.

Versucht man, ein Hauptargument des Autors aus dem Essay herauszufiltern, so liegt dies wohl in seiner These, dass digitale Texte hervorragend geeignet seien für „erste Versionen, Testläufe und Provisorisches“ (S. 116), während demgegenüber die Stärke eines auf Papier gedruckten Texts darin liege, dass dieser Informationen stabilisiere und filtere. Tatsächlich wird mit dem Voranschreiten der „digitalen Revolution“ das von Groebner als „closure“ bezeichnete Abschließen eines wissenschaftlichen Produktionszyklus zu einem nicht trivialen Problem, das bereits 1990 Gilles Deleuze in seinem „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“ benannt hat: In diesen Gesellschaften wird man bekanntlich „nie mit irgend etwas fertig“7, was sich in der Wissenschaft darin ausdrücken kann, dass Texte in einem permanenten Betastadium verbleiben, ambitionierte Webprojekte zu Investitionsruinen verkommen und ständige Aktualisierbarkeit, Statusupdates und Selbstevaluationen zur Verpflichtung gemacht werden. Hier wäre einzuwerfen, dass es Aufgabe von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik sein müsste, die für die Filterung, Stabilisierung und Langzeitarchivierung benötigte Infrastruktur aufzubauen. Die Ansätze, die es dazu schon gibt, bedenkt Groebner allerdings kaum mit Aufmerksamkeit: So kommt Weblogplattformen wie Hypotheses auch eine Filterfunktion zu, indem sie auf ihrer Startseite ausgewählte Blogbeiträge eigens hervorheben, und die an Universitäten und Forschungsinstituten eingerichteten digitalen Repositorien erheben den Anspruch, die Stabilisierung und dauerhafte Zitierbarkeit wissenschaftlicher Texte sicherzustellen.

Die Frage, ob und in welcher Form Papier dabei weiter eine Rolle spielen mag, ist spannend und wird wohl noch für einige Zeit unentschieden bleiben, genauso wie die Frage, welche Funktion den Fach- und Sachbuchverlagen im Prozess der Wissenschaftsproduktion insbesondere bei der Informationsfilterung, Reputationsgewinnung und Qualitätssicherung künftig zukommen wird. Insgesamt hat Groebners Büchlein – als E-Book wird es konsequenterweise nicht angeboten – das Verdienst, viele wichtige Herausforderungen anzusprechen, denen sich Wissenschaft angesichts der „digitalen Revolution“ gegenübersieht. Deren Vorgeschichte wird anschaulich dargestellt, auf Grundlage einer gerade für einen Essay umfangreichen Menge an Literatur – die Fußnoten sind eine wahre Fundgrube. Wer sich darüber hinaus für zukunftsweisende Überlegungen zum Publizieren und Schreiben im digitalen Zeitalter interessiert, wird gut beraten sein, auch die von Valentin Groebner entweder übergangenen oder aber mit Skepsis beäugten Schriften von Mareike König, Mercedes Bunz und Kathrin Passig zu konsultieren.8

Anmerkungen:
1 Valentin Groebner, Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung, Konstanz 2012.
2 Roland Reuß, Ende der Hypnose. Vom Netz zum Buch, Frankfurt am Main 2012, 3. Aufl. 2013, z.B. S. 41f.
3 <https://twitter.com/NeinQuarterly> (05.06.2014).
4 Günter Karl Bose, Das Ende einer Last. Die Befreiung von den Büchern, Göttingen 2013.
5 Michael Hagner, Buchkritik als Kulturkritik, Basel 2014, Zitate S. 52f.
6 Die Bretton-Woods-Analogie im Zusammenhang mit dem „Gold-Standard“ des (Papier-)Buchs hat Jan Kröger bei der am 9. März 2012 in München abgehaltenen Tagung „Weblogs in den Geisteswissenschaften“ per Tweet geäußert: <https://twitter.com/ankrjoe/status/178146312213102593> (05.06.2014).
7 Gilles Deleuze, Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, in: ders., Unterhandlungen. 1972–1990, Frankfurt am Main 1993, S. 254–262, hier S. 257.
8 Mareike König, Twitter in der Wissenschaft: Ein Leitfaden für Historiker/innen, in: Digital Humanities am DHI Paris, 21.8.2012, <http://dhdhi.hypotheses.org/1072> (05.06.2014); dies., Twitter in den Wissenschaften, in: Ute Frietsch / Jörg Rogge (Hrsg.), Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens. Ein Handwörterbuch, Bielefeld 2013, S. 405–410; Mercedes Bunz, Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen, Berlin 2012; Kathrin Passig / Sascha Lobo, Internet. Segen oder Fluch, Berlin 2012; Kathrin Passig, Standardsituationen der Technologiekritik. Merkur-Kolumnen, Berlin 2013.