Titel
Jews and the Military. A History


Autor(en)
Penslar, Derek Jonathan
Erschienen
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
$29.95 / £19.95 / € 23,60
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sarah Panter, Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz

Die Frage nach dem Verhältnis von Juden und Militär war lange Zeit ein unterbelichtetes Themenfeld der historischen Forschung. Dabei wurde den jüdischen Akteuren zugleich nur eine geringe Handlungsfähigkeit zugeschrieben. Mittlerweile sind einige anregende Studien entstanden1, die sich jedoch, wie exemplarisch für den deutschsprachigen Kontext festgemacht werden kann, vor allem auf den Ersten Weltkrieg fokussieren.2 Bis heute mangelt es damit an größeren Darstellungen, die systematisch Juden aus mehreren Nationalstaaten oder multi-ethnischen Großreichen in ihre Analyse integrieren.

In diese Leerstelle stößt Derek J. Penslar, der seit 2012 Stanley Lewis Professor of Israel Studies in Oxford ist, mit seinem Buch Jews and the Military. Ihm geht es auf einer abstrakten Ebene zunächst darum, die Komplexität, welche die Beziehungen von Juden in, mit und gegenüber dem Militär kennzeichnete, nicht nur in der longue durée (von 1650 bis 1950), sondern auch in ihrer transnationalen Dimension zu erfassen. Penslar begreift diese Beziehungen als Sonde, um übergeordnete Dynamiken, wie moderne Staaten mit Juden umgingen, ebenso neu zu beleuchten wie deren Reaktionen hierauf. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, unterscheidet er fünf Typen, die „politicized collective violence“ ausübten: den „citizen-soldier“, den „uniformed civil servant“, den „revolutionary“, den „rebel in extremis“ und den „indigenized colonial“ (S. 9). Den konkreten Ausgangspunkt des Buches bildet jedoch die Beobachtung, dass durch die zentrale Bedeutung des Militärs im Staat Israel in Vergessenheit geraten sei, dass Juden auch lange vor der Gründung eines jüdischen Staates bereits in der Diaspora als Freiwillige und Wehrpflichtige kämpften – und dieser Tatsache nicht ausschließlich negativ gegenüberstanden. Kurzum: „Jews have been Jacob and Esau and everything in between“ (S. 3).

Penslars Buch ist in einem prägnanten Stil geschrieben und umfasst, neben der Einleitung und einem kurzen Epilog, sieben inhaltliche und größtenteils chronologisch aufeinander aufbauende Kapitel. Das vierte und das fünfte Kapitel basieren in Teilen auf bereits zuvor erschienenen Aufsätzen.3 Drei historisch zentrale thematische Schwerpunkte sollen in dieser Besprechung akzentuiert werden: der Mythos des unfreiwillig dienenden oder kämpfenden jüdischen Soldaten, das jüdische Streben nach gesellschaftlicher Akzeptanz durch militärische Partizipation und die Bedeutung der Mobilisierung von Juden in den beiden Weltkriegen für die Gründung des Staates Israel.

Das erste Kapitel, das einen historischen Abriss seit der Vormoderne bietet, und dabei aufzeigen möchte, inwiefern innerhalb des Judentums militärisches Engagement legitimiert wurde, beginnt mit Penslars Kritik an der Dominanz eines zionistischen Narratives. Für den Verfasser ist es dann auch die zionistische Lesart einer jüdischen Passivität in der Diaspora, die im Zusammenhang mit historischen Deutungen jüdischer Erfahrungen in der russischen Armee eine große Wirkkraft entfaltet hätte: Zum einen habe der harsche Umgang Russlands mit jüdischen Soldaten, deren Rekrutierungsalter bei zwölf Jahren lag, als negativer Referenzpunkt innerhalb der jüdischen Geschichte fungiert. Zum anderen habe ein damit assoziierter Deutungsstrang das Bild des russisch-jüdischen Soldaten als „metonym for the collective suffering of the Jewish people and its ongoing struggle against assimilation“ (S. 28) festgeschrieben. Vor diesem Hintergrund entkräftet Penslar lang gepflegte Mythen, die gerade im kollektiven Gedächtnis der aschkenasischen Juden verankert waren. Er tut dies etwa durch seine Ausführungen darüber, dass die Auswirkungen des Militärdienstes, der in Russland 1827 für Juden eingeführt wurde, nicht immer nur negativ gewesen seien. Außerdem habe es auch innerhalb des Judentums zu allen Zeiten militär-affine (oder kriegerische) Neigungen gegeben.

Mit der Einführung der Wehrpflicht in vielen kontinentaleuropäischen Armeen für Juden im 19. Jahrhundert wurde es wahrscheinlicher, dass sie sich in Kriegszeiten auf dem Schlachtfeld als Soldaten feindlicher Armeen gegenüberstünden. Dadurch erhielt auch der Topos des Brudermordes eine neue Relevanz im innerjüdischen Diskurs (Kapitel 4). Obwohl sich in der Einberufung zum Wehrdienst ein Eingriff des Staates in die jüdische Sphäre ausdrückte, verknüpften viele Juden damit dennoch die Hoffnung auf eine staatsbürgerliche Emanzipation und eine stärkere gesellschaftliche Integration (Kapitel 2). Eine einheitliche innerjüdische Position über diesen angestoßenen Wandel gab es, wie der Verfasser herausstreicht, indes nicht. Insbesondere in Russland zeigte sich jedoch seit Ende des 19. Jahrhunderts, dass viele Juden diese Hoffnung aufgaben und gegen den Staat zu rebellieren begannen – und damit, sofern man Penslars Typologie folgt, dem „revolutionary“ und nicht dem „citizen soldier“ (S. 9) entsprachen.

In Kapitel 3 argumentiert Penslar, dass neben bestehenden Diskriminierungstendenzen auch militärische Organisationsstrukturen und das gesellschaftliche Prestige des Militärs ausschlaggebend dafür sein konnten, ob Juden nach einer Offizierskarriere strebten. Vor diesem Hintergrund hebt er etwa für Frankreich hervor, wie ambivalent die Beziehungen zwischen dem Staat und seinen jüdischen Staatsbürgern waren. Aufschlussreich – weil aus innerjüdischer Perspektive oft das Gegenteil mit einem Engagement im Militär verknüpft wurde – sind auch die Befunde, dass für jüdische Offiziere in der französischen Armee ihr Jüdischsein weiterhin eine zentrale Bezugsgröße darstellte.

Durch ihre globale und existentielle Dimension veränderten die beiden Weltkriege und die Gründung des Staates Israel den Blick auf das Verhältnis zwischen Juden und Militär grundlegend. Die Erfahrungen der Weltkriege hätten eine weltweite Mobilisierung von Juden hervorgerufen, die nun zu „participants in the global fight against fascism and the struggle for a Jewish state“ (S. 193) geworden seien. Diesen Strang verfolgt Penslar anschließend weiter (Kapitel 6), indem er die Auswirkungen dieses mobilisierenden Potenzials auf die zionistische Bewegung in der Zwischenkriegszeit analysiert. Dabei gelingt es ihm, Kontinuitäten zwischen dem Kampf um die israelische Staatsgründung und historischen Formen militärischen Engagements von Juden offenzulegen.

Das siebte Kapitel verfolgt schließlich das Ziel, das Jahr 1948 in einem international-jüdischen Kontext zu verorten. Dabei stellt Penslar infrage, ob man eindeutig zwischen „‚diaspora‘“ und „‚Israeli‘ fighter“ (S. 227) hätte unterscheiden können. Anschaulich illustriert er zudem am Beispiel des amerikanisch-jüdischen Freiwilligen David (Mickey) Marcus (1901–1948), wie problematisch nicht nur retrospektive, sondern auch zeitgenössische Umdeutungen von Ereignissen sein können. Marcus, der eine Führungsposition an der Jerusalemer Front innehatte, starb nämlich nicht, wie zunächst als heroischer Akt verklärt, während eines Gefechts. Vielmehr wurde er, weil er die hebräische Sprache kaum beherrschte, von einem jungen Wachposten – und damit von der eigenen Seite – infolge eines Missverständnisses erschossen.

Obwohl Penslar durchaus nachvollziehbar und an vielen Stellen anregend das Verhältnis des Staates Israel und der Juden in der Diaspora analysiert und dabei tradierte Mythen hinterfragt, lässt sich hier der einzige gravierende Kritikpunkt formulieren. So bleibt letztlich der Eindruck zurück, dass die Agenda der ‚Normalisierung‘ des israelischen Beispiels (S. 258) insgesamt ein zu großes Gewicht erhält. Stellenweise rücken dadurch auch die Ergebnisse der an sich überzeugenden historischen Analyse zu weit in den Hintergrund – was sich unter anderem darin spiegelt, dass der in der Einleitung gesetzte analytische Rahmen nicht mehr systematisch reflektiert wird. Nichtsdestotrotz leistet Derek Penslars Buch insgesamt einen wichtigen und lange überfälligen Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Juden und Militär, der für zukünftige Forschungen in diesem Themenfeld erhellende Perspektiven eröffnet.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa Christopher M. Sterba, Good Americans. Italian and Jewish Immigrants during the First World War, Oxford 2003; István Deák, Jewish Soldiers in Austro-Hungarian Society, New York 1990; Yohanan Petrovsky-Shtern, Jews in the Russian Army, 1827–1917: Drafted into Modernity, New York 2009.
2 Jüngeren Datums sind Marsha Rozenblit, Reconstructing a National Identity. The Jews of Habsburg Austria during World War I, Oxford 2001; David J. Fine, Jewish Integration in the German Army in the First World War, Berlin 2012; Tim Grady, The German-Jewish Soldiers of the First World War in History and Memory, Liverpool 2011.
3 Derek J. Penslar, An Unlikely Internationalism: Jews at War in Modern Western Europe, in: Journal of Modern Jewish Studies 7 (2008), S. 309–323; ders., The German-Jewish Soldier: From Participant to Victim, in: German History 29 (2011), S. 423–444.