Cover
Titel
Autoren und Apparate. Die Geschichte des Copyrights im Medienwandel


Autor(en)
Dommann, Monika
Erschienen
Frankfurt am Main 2014: S. Fischer
Anzahl Seiten
427 S.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Henrich-Franke, Institut für Europäische Regionalforschungen, Universität Siegen

Wie viele Seiten eines wissenschaftlichen Werkes darf ich meinen Studierenden in interaktiven Lernplattformen zur Verfügung stellen, ohne einen Rechtsbruch zu begehen und die schützenswerten Autorenrechte eines Kollegen und / oder die Rechte des jeweiligen Verlags zu verletzen? Inwieweit verbreiten sich meine eigenen schriftlich verfassten Gedanken ohne Kontrolle in den unendlichen Tiefen des Internet? Erodiert der ökonomische Wert wissenschaftlicher Arbeit, den die VG Wort jedes Jahr aufs Neue alimentiert, in einer sich permanent ausweitenden ‚open source community‘? Solche Fragen – und werden sie als noch so lästig empfunden – beschäftigen die Wissenschaftswelt bis hin zum Historiker, an dessen ‚analogen‘ Quellen Rechtsfragen doch zumeist eindeutig geklärt sind (oder geklärt zu sein scheinen). Dahinter stecken jedoch viel allgemeinere Fragen der zeitgenössischen Rechtswissenschaft und des ‚geistigen Eigentums‘, die einer präzisen Klärung bedürfen: Welchen Schutz benötigt das geschriebene Wort im World Wide Web? Nicht selten wird eine völlige Neujustierung der rechtlichen Grundlagen des Urheberrechts proklamiert, welche durch die Digitalisierung der Medien und die globale Vernetzung im Internet unausweichlich sei.

Diesem generellen Problemkomplex versucht sich Monika Dommann in ihrer nun als Buch vorliegenden Habilitationsschrift durch Historisierung des Copyright-Konflikts zu nähern. Sie möchte aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft die Debatte um eine Neugestaltung des Urheberrechts aufgreifen. Ihr Interesse gilt der Frage, ob es tatsächlich einen rechtshistorischen Bruch durch das Internet gab und gibt bzw. mit welchen Traditionen – wenn überhaupt – gebrochen wird. Die Autorin vertritt dabei die These, dass in den 1980er-Jahren nicht abrupt eine Rechtstradition aufgekündigt wurde, sondern dass das Internet in einer Entwicklungslinie der Vervielfältigungs- und Verrechtlichungspraktiken steht, die mit der technischen Entwicklung elektrischer Medien im 19. Jahrhundert einsetzte und mit immer neuen Innovationen wie der Fotokopie, der Schallplatte, dem Mikrofilm oder dem Magnetband fortgeschrieben wurde. Es geht ihr darum, die Vorstellungen eines Paradigmenwechsels im Sinne eines radikalen Bruchs mit rechts- und wissenshistorischen Entwicklungslinien zu relativieren.

Inhaltlich stehen zwei Aspekte aus dem breiten Panorama des Urheberrechts im Vordergrund: die Geschichte der Fotokopie und die Geschichte der Musikaufnahme. Bei ersterer wird die Frage in den Vordergrund gerückt, wie der Zugang zu Wissen und Information technisiert und normiert wird. Bei letzterer wird untersucht, wie und von wem Vervielfältigungstechniken an ein komplexes Netz von Verwertungsrechten gekoppelt werden. Diese Fokussierung ist nicht zuletzt deshalb sinnvoll, weil beide Aspekte zu den großen Bereichen des Urheberrechts zu zählen sind und auch dem Leser leicht zugänglich sind. Geografisch wird der Schwerpunkt auf die USA und Westeuropa gelegt, da die Autorin auf diese Weise die transnationalen Zusammenhänge in der Genese unterschiedlicher Rechtskulturen einzufangen versucht. Wenngleich die Kontrastierung der USA und Westeuropas aufgrund unterschiedlicher Rechtstraditionen zu einem Kernziel des Werkes erhoben wird, fragt sich der Leser dennoch, warum für Europa – einmal mehr – die drei ‚Großen‘ Deutschland, Frankreich und Großbritannien ausgewählt wurden. Eine überzeugende Begründung liefert die Autorin jedenfalls nicht.

Dommann versteht ihr Werk als eine ‚Rechtsgeschichte der Medien‘, unterstreicht aber den Mehrwert eines multidisziplinären Zugangs aus Technik-, Rechts- und Mediengeschichte, der unabdingbar sei, um die Entwicklungslinien sowie deren Brüche aufzuzeigen. Sie formuliert damit einen hohen Anspruch, dem sie mit Bravour gerecht wird, da es ihr durchweg gelingt, medientechnische, medienpraktische und medienrechtliche Entwicklungen anschaulich miteinander zu verbinden und in ihren Interdependenzen offenzulegen.

Das Werk ist im Wesentlichen chronologisch aufgebaut und in drei Untersuchungsphasen gegliedert. Der erste Teil („Schrift und Aufzeichnung“) behandelt den Zeitraum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa zum Ersten Weltkrieg, wobei es um den Prozess der Definition von Vervielfältigungsnormen für neue Medien geht. Es wird die Entstehung der unterschiedlichen Autoren- und Urheberrechtskonfigurationen in Musik und Literatur innerhalb der ausgewählten Staaten beschrieben. Der Schutz geistigen Eigentums verband sich dabei im 19. Jahrhundert mit einem Glauben an Fortschritt und Zivilisation, welche es zu schützen galt. Der zweite Teil („Verwertungsagenturen und Forschungsmaterialien“), den Dommann im Jahr 1945 enden lässt, behandelt die „Entstehung von Nutzungsformen von Vervielfältigung in Bibliotheken und der Musikindustrie“ (S. 26). Auf immer unübersichtlicheren Märkten für Wort- und Tonproduktionen wurden Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort gegründet, um die monetären Erträge aus Musikaufnahmen, Schriften oder Büchern zentral einzutreiben und zu verwalten. Im dritten Teil („Privatkopien und Universalnormen“) wird der Prozess sich wandelnder Autorenrechtsvorstellungen nachgezeichnet, der vor allem seit den 1960er-Jahren (Bandaufnahmen und Fotokopien) zu einer Beschleunigung und Intensivierung des Copyright-Konflikts geführt hat. Waren noch im ‚Zeitalter‘ der Schallplatte die Vervielfältigung und Verbreitung, das heißt die Speicherung und Diffusion eines Werkes, an ein Lizenzsystem gebunden, das für den Musikkonsum eine Geldtransaktion erforderte, so stellten die Magnettonbänder und insbesondere die Cassette dieses System des Urheberschutzes in Frage.

Anschaulich wird dem Leser gezeigt, dass vieles in der aktuellen Diskussion um das Copyright im Internet nicht wirklich neu ist, sondern eine Reihe von Vorgängern in der Erfindung der Fotokopie in den 1930er-Jahren oder des Magnetbandes in den 1950er- und 1960er-Jahren besaß. Die Neujustierung des Urheberrechts im Medienwandel stellt(e) sich immer wieder als ein schwieriger Balanceakt dar, der eben deshalb so konfliktreich ist, weil er „Eigentumsbeziehungen“ (S. 296) herstellt, die enorme wirtschaftliche Implikationen besitzen. Indem Dommann den Bogen von der internationalen Diskussion um Schweizer Spieldosen im 19. Jahrhundert hin zur modernen Musikindustrie spannt, demonstriert sie überzeugend, dass es im Kern immer wieder um einen bestimmten Gegensatz geht: Imitation (im Sinne einer kopierenden Weiterentwicklung) versus Innovation (im Sinne eines Schutzes von Pioniergewinnen).

Alles in allem ist das Buch ansprechend geschrieben und gewinnbringend zu lesen. Der Leser erfährt viel über die Entwicklung des Urheberrechts vor dem Hintergrund sich wandelnder Medientechniken und Medienpraktiken. Die Autorin vermag es, die mitunter komplexen technischen und juristischen Zusammenhänge so zu präsentieren, dass sie auch für den interessierten Laien gut verständlich sind. Leider bleibt das Fazit – zumindest nach dem Geschmack des Rezensenten – etwas hinter den geweckten Erwartungen zurück, da die erneute chronologische Gliederung in weiten Teilen eher einen zusammenfassenden Charakter besitzt; so tritt die systematische Beantwortung der Leitfragen in den Hintergrund. Dieser Kritikpunkt tut der hohen Qualität von Monika Dommanns Werk, das der Rezensent uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen kann, aber keinen Abbruch. Mit Blick auf eine nach der Klärung rechtlicher Aspekte der digitalen Nutzung und Verbreitung von wissenschaftlicher Erkenntnis lechzende Wissenschaftswelt lässt die Lektüre den Rezensenten etwas gelassener in die Zukunft schauen. Das World Wide Web wird das Urheberrecht zwar zur Anpassung an neue mediale Gegebenheiten zwingen. Eine Zäsur, nach der das Urheberrecht in die Archive der Rechtshistoriker verbannt wird, ist aber wohl nicht zu erwarten.