R. Bennette: Fighting for the Soul of Germany

Titel
Fighting for the Soul of Germany. The Catholic Struggle for Inclusion after Unification


Autor(en)
Bennette, Rebecca Ayako
Reihe
Harvard Historical Studies 178
Erschienen
Cambridge, MA 2012: Harvard University Press
Anzahl Seiten
380 S.
Preis
€ 39,46
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Heinemann, Schiller International University Heidelberg

Schon unmittelbar nach seiner Gründung erschien manchen Zeitgenossen das Kaiserreich von 1871 als „evangelisches Reich deutscher Nation“. Katholiken, im Alten Reich noch in der Mehrzahl, sahen sich nun in die Außenseiterrolle gedrängt. Im Kulturkampf, der bald nach der Reichsgründung ausbrach, ging es für Katholiken daher auch darum, der liberal-protestantischen Lesart vom Reich etwas Eigenes entgegenzusetzen.1 Diesem Nationsbild, das Katholiken im Kulturkampf entwickelten, widmet sich Rebecca Ayako Bennette in ihrer bei Harvard University Press erschienen Untersuchung. „Catholic's strong religious identity“, so ihre Hauptthese, „did not prevent them from constructing their own vision of the new nation and espousing loyalty to it after 1871.“ (S. 2) Vielmehr bildete die Schaffung einer spezifisch katholischen nationalen Identität längerfristig sogar den entscheidenden Grund, warum es den Katholiken gelang, sich trotz aller Gegensätze in den Nationalstaat zu integrieren.

Im ersten Teil der Arbeit, die sich weitgehend auf die überregionale katholische Presse stützt, liefert Bennette einen chronologischen Überblick über das Verhältnis der Katholiken zum Reich im Kulturkampf, beginnend mit der überwältigenden Zustimmung der katholischen Bevölkerung zur Reichsgründung und ihrem Willen, an der weiteren Ausgestaltung des neuen Reichs mitzuarbeiten. Auch als sich am Himmel bereits die ersten Wolken kulturkämpferischer Art zeigten, hielt die optimistische Sicht noch an. Erst 1873 häuften sich in der katholischen Bevölkerung die negativen Urteile über das Reich und sein führendes Personal, auch den Kaiser. Gleichzeitig aber wurde die grundlegende Loyalität zur Nation betont. Den Höhepunkt der wachsenden Erbitterung macht Bennette am Aufkommen antisemitischer Stimmen in einigen katholischen Tageszeitungen im Sommer 1875 fest. Eigentlich mit dem Ziel unternommen, eine Verbindung zu konservativen protestantischen Kreisen zu errichten, spaltete die Verwendung antisemitischer Feindbilder die Katholiken selbst, da nicht alle dieser Feindkonstruktion folgen wollten. Weil die Einheit des katholischen Milieus aber die größte Sorge der katholischen Meinungsführer im Kulturkampf darstellte, fanden antisemitische Äußerungen nach 1875 ein schnelles Ende. Stattdessen bot sich der aufkommende Sozialismus als einigender Feind an, womit zugleich auch ein gemeinsamer Boden für die Verständigung mit Bismarck gefunden war. Die katholische Presse folgte dabei der gleichen Argumentation, mit der sie sich bisher im Kulturkampf zur Wehr gesetzt hatte, nämlich die wahren Interessen des Reiches zu unterstützen.

Im zweiten Teil wendet sich Bennette strukturellen Aspekten katholischer nationaler Identität zu. Ein, wenn nicht das zentrale Element katholischer Vorstellungen von Deutschland bildete der föderale Charakter der Nation. Während die Wurzeln der föderativen Nation im frühen Nationalismus ebenso erforscht worden sind wie die Beziehung von Nation und Region später in der Heimatbewegung2, ist der konfessionelle Aspekt bisher eher vernachlässigt worden. Basierend auf der Berichterstattung vor allem der Berliner katholischen Tageszeitung Germania, unternimmt Bennette es, aus katholischer Sicht „Deutschland von den Grenzen nach Berlin hin“ zu vermessen. Die Hauptstadt des neuen Reiches erschien vielen Katholiken weniger als protestantische Stadt, sondern generell als heidnische; die typische Darstellung Berlins mischte dabei religiöse Motive mit der Ablehnung der Großstadt. Die Gründung einer katholischen Zeitung war daher ein Versuch, Berlin für den Katholizismus zu erobern. Gleichzeitig war jedoch selbst der Germania klar, dass Berlin nicht repräsentativ für Deutschland war. Das „wahre“ Deutschland fand sie vor allem im Rheinland und in Westfalen als Musterbeispiele für katholische Regionen, während Süddeutschland, da nicht preußisch, sowie Schlesien, da zu polnisch, außen vor blieben. So interessant diese mental map aus Berliner katholischer Sicht ist: Als Leser fragt man sich, warum die die Autorin nur eine Seite der Medaille nachzeichnet, den Blick vom Zentrum auf die Peripherie. Wichtige Aspekte katholischer regionaler Identität, etwa wie Katholiken in den verschiedenen preußischen wie nicht-preußischen Regionen die Sicht auf die Region mit der auf die Nation verbanden und was sie darin von Nicht-Katholiken unterschied, bleiben unberücksichtigt.

Der preußische Militarismus bildete für alle Kräfte, die 1866 vom preußischen Militär besiegt worden waren, einen weiteren Kritikpunkt am neuen Reich. Aus katholischer Sicht verschmolzen dabei Militarismus und Protestantismus zu einem bestimmten Nationsbild, wie es sich etwa am Sedantag offenbarte, dem man folglich etwas Eigenes entgegenzusetzen suchte. Aus der Ablehnung dieses als männlich konnotierten Militarismus sowie der generellen Feminisierung des Katholizismus im 19.Jahrhundert, was Kirchenbesucher und religiöse Kulte (Marienverehrung) angeht, folgert Bennette, dass Katholiken ihre nationale Identität als weiblich auffassten. Hier jedoch überinterpretiert sie ihre Quellen. So zutreffend eine gewisse Feminisierung des Katholizismus ist (was allerdings nicht für die Eliten des katholischen Milieus gilt), gibt es von dort keine quellenmäßig zu fassende Verbindung zum katholischen Nationsbild. Anders als die Schwarze Madonna von Tschenstochau, die zu einem Symbol für den polnischen Nationalismus werden konnte, oder die Erscheinung einer polnisch sprechenden Mutter Gottes im Ermland 18773, diente etwa die von Bennette erwähnte Marienerscheinung in Marpingen der Binnenintegration des Katholizismus im Kulturkampf und der Stärkung des katholischen Glaubens – die Mutter Gottes verkündete jedoch keine katholische Vision der Nation. Dieser Unterschied zwischen dem katholischen Nationalismus in Deutschland und Polen, der natürlich aus den politischen Gegebenheiten resultierte, ließe sich gerade als ein Beispiel für die generelle Integration der deutschen Katholiken ins Reich auffassen.

Die letzten beiden Kapitel widmen sich schließlich dem katholischen Verständnis von Bildung und Wissenschaft sowie der katholischen Bewertung der außenpolitischen Stellung des Reiches in Europa. So unterschiedlich diese Aspekte sind, so ist ihnen doch gemein, dass Katholiken sich in der Regel keineswegs fundamental von den jeweiligen liberalen Positionen bezüglich Wissenschaftlichkeit oder Außenpolitik unterschieden, sondern vielmehr diese nur mit umgekehrten Vorzeichen als katholisch und wahrhaft deutsch interpretierten. Auch katholische Wissenschaft folgte nicht (nur) dem Glauben, sondern erfüllte aus Sicht vieler Katholiken wissenschaftliche Standards, ja sogar mehr als liberale Tendenzwissenschaft, und erschien zudem auch „deutscher“ als ihr liberales Pendant, das oft nur eine Kopie französischen Denkens sei. Auch Katholiken leiteten aus der Stellung des Deutschen Reiches im europäischen Mächtesystem eine besondere deutsche „Mission“ in der Welt ab, selbst wenn sie diese weniger machtpolitisch als eher moralisch begründeten. Diese Gemeinsamkeit, die bereits in den 1870er-Jahren zutage trat, sollte sich dann etwa in der Kolonialpolitik beweisen und einmal mehr die Integration der Katholiken ins Reich unterstreichen.

Insgesamt kann Bennette ihre These, dass Katholiken im Kulturkampf ihre eigene nationale Identität entwickelten, trotz der skizzierten Kritikpunkte überzeugend darlegen. Das Nationsbild der Katholiken unterschied sich zwar vom liberalen, aber wiederum nicht so sehr, dass es keine Anknüpfungspunkte gegeben hätte. Grundsätzlich waren auch Katholiken national eingestellt. Der katholische Nationalismus, der sich im Kulturkampf (und genau genommen auch schon früher) formierte, ermöglichte so schon von Beginn an die Integration der Katholiken ins Reich, die dann etwa beim Kriegsausbruch 1914 überhaupt nicht in Frage stehen sollte. Allerdings bildete Integration in den Nationalstaat nur die eine Hälfte des Erbes des Kulturkampfs. Die eigentliche Schärfe des Kulturkampfes, der sich in manchen Gegenden und Städten zum „Krieg bis auf‘s Messer“4 entwickeln konnte und sich etwa in Konfrontationen über nationale Feiern und Prozessionen äußerte, kommt in Bennettes Ausführungen doch ein wenig zu kurz. Integration und die durchaus auch vorhandene mentale Flucht in den „Zentrumsturm“ zusammen bestimmten die Geschichte des katholischen Milieus im Kaiserreich und darüber hinaus.

Anmerkungen:
1 Helmut Walser Smith, German Nationalism and Religious Conflict. Culture, Ideology, Politics, 1870–1914, Princeton 1995, v. a. S. 14 u. 20.
2 Zur ‚föderativen Nation‘ vgl. Dieter Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000; zur Heimatbewegung Alon Confino, The Nation as a Local Metaphor. Wurttemberg, Imperial Germany and National Memory 1871–1918, Chapel Hill 1997; Celia Applegate, Zwischen Heimat und Nation. Die pfälzische Identität im 19. und 20. Jahrhundert, Kaiserslautern 2007.
3 Peter Kriedte, Katholizismus, Nationsbildung und verzögerte Säkularisierung in Polen, in: Hartmut Lehmann (Hrsg.), Säkularisierung, Dechristianisierung und Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa, Göttingen 1997, S. 249–274, hier S. 261f.
4 Ein markantes Beispiel bietet Horst Gründer, ‚Krieg bis auf’s Messer’ – Kirche, Kirchenvolk und Kulturkampf, in: Franz-Josef Jakobi (Hrsg.), Geschichte der Stadt Münster, Bd. 2, 3. Aufl., Münster 1994, S. 131–165.