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Titel
Politik durch die Blume. Gartenbauausstellungen in Hamburg und Erfurt im Kalten Krieg (1950–1974)


Autor(en)
Vagt, Kristina
Reihe
Forum Zeitgeschichte 24
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S., 18 Farb- und 48 s/w-Abb.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arnd Bauerkämper, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Auf den ersten Blick sind Gartenbauausstellungen völlig unpolitisch. Als ästhetischer Genuss dienen sie der Unterhaltung oder der Information des Laienpublikums und der Experten. Kristina Vagts Studie zeigt demgegenüber, inwiefern und wie Gartenbauausstellungen in den beiden deutschen Staaten von 1950 bis 1974 auch den Zweck der politischen Repräsentation hatten. In der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges sollten die Ausstellungen die Überlegenheit der jeweils eigenen politischen und gesellschaftlichen Ordnung belegen, oft mit subtilen Demonstrationspraktiken und ästhetischen Mitteln. Untersuchungsansätze der Exhibition Studies und der Stadt- und Landschaftsgeschichte aufnehmend, untersucht Vagt dazu Gartenbauausstellungen in Erfurt und Hamburg im Zeitraum von 1950 bis 1974.

Zunächst aber rekonstruiert die Autorin die Vorgeschichte bis zum Ende des „Dritten Reiches“. Die Nationalsozialisten funktionalisierten die Ausstellungen für ihre Propaganda, mit der die „Blut-und-Boden“-Ideologie und das Leitbild der Bauernsiedlung verbreitet werden sollten. Dazu veranstaltete der „Reichsnährstand“ drei große „Reichsgartenschauen“ in Dresden (1936), Essen (1938) und Stuttgart (1939). Auch regionale Ausstellungen wie „Planten un Blomen“ 1935/36 in Hamburg und die – letztlich nicht realisierten – Pläne für eine „Reichsgartenschau“ in Erfurt 1942 begründeten jeweils lokale Traditionen, an die nach 1945 Landschaftsarchitekten wie Gustav Lüttge und Hans Bernhard Reichow anknüpfen konnten. Vor allem in Westdeutschland war dabei eine ausgeprägte personelle Kontinuität offenkundig.

In der Hungergesellschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit nahm der Stellenwert des Gartenbaus zunächst zu, zumindest hinsichtlich der Erzeugung von Gemüse. Dazu sollten in der sowjetischen Besatzungszone auch die Neubauernstellen beitragen, die aus der im September 1945 eingeleiteten Bodenreform hervorgegangen waren. Mit dem Beginn der Kollektivierung wurden die Gartenbaubetriebe in der DDR jedoch ab 1952 in die Gärtnerischen Produktionsgenossenschaften integriert, in denen die verbliebenen kleinen privaten Gärten gleichwohl für die Versorgung wichtig blieben. In der Bundesrepublik gerieten die Gärtner in den späten 1950er-Jahren unter den Druck des europäischen Marktes. Die Produkte des Gartenbaus wurden ab 1948 besonders auffällig auf der „Grünen Woche“ in West-Berlin präsentiert, die erstmals 1926 ausgerichtet worden war und die Fortschritte der westdeutschen Gartenbaubetriebe nicht zuletzt gegenüber den Besuchern aus der DDR präsentieren sollte. In beiden deutschen Staaten fanden Landschaftsplaner und -architekten zudem mit dem Wiederaufbau der vielfach zerstörten Städte ein weites Arbeitsfeld, auf dem auch ehemalige Nationalsozialisten wirkten. Besonders die neuen Stadtparks sollten durch die Naturerfahrung die Schrecken des Krieges und die Not der ersten Jahre nach 1945 überdecken.

Vor diesem Hintergrund fanden 1950 die Ausstellung „Erfurt blüht“ und drei Jahre später die Internationale Gartenbauausstellung (IGA) in Hamburg statt. Kristina Vagt betont in ihrem dritten Kapitel die Unterschiede und die Prozesse wechselseitiger Abgrenzung zwischen den beiden deutschen Staaten im Zeichen des eskalierenden Kalten Krieges der frühen 1950er-Jahre. Demgegenüber treten die Ähnlichkeiten und wechselseitigen Bezüge zurück. So wurden die Konzepte zur Gestaltung der Stadtlandschaft durchaus grenzüberschreitend rezipiert, sodass gestalterische Affinitäten unübersehbar sind.

Auch in den 1960er-Jahren waren die Internationalen Gartenbauausstellungen (iga) in Erfurt 1961 und 1966 ebenso wie die IGA in Hamburg 1963 vorrangig als Schaufenster der jeweiligen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen konzipiert. Damit dienten die Präsentationen letztlich politischen Zwecken, vor allem in der DDR, wo das Regime der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) eine weit gespannte Industrialisierung der nunmehr kollektivierten Landwirtschaft vollzog. Ähnliche Prozesse spiegelten sich aber auch auf der IGA in Hamburg 1963 wider, sodass die Gestaltung durchaus Ähnlichkeiten aufwies. In diesem Abschnitt wird der differenzierende Vergleich zu deutlich zugunsten des dominierenden Paradigmas der wechselseitigen Abgrenzung vernachlässigt, die in der Darstellung angesichts der Neuen Ostpolitik und der Anerkennung der DDR im Grundlagenvertrag 1972 erst bei der Planung der Internationalen Gartenbauausstellungen in Hamburg 1973 und in Erfurt 1974 zurücktritt. Auch wurde nunmehr erstmals die zumindest partiell neue Herausforderung des Natur- und Umweltschutzes aufgegriffen. Darüber hinaus fanden sich in den beiden Ausstellungen ähnliche Angebote zum Freizeitsport und Informationen für Klein- und Hobbygärtner.

Einleuchtend stellt Vagt die unterschiedlichen Funktionen der Gartenbauausstellungen in den beiden deutschen Staaten und die damit verbundene Asymmetrie heraus. Die iga in Erfurt, deren Wahrnehmung in der Bundesrepublik in den 1960er- und 1970er-Jahren schwach blieb, sollte vor allem die Leistungen des Staatssozialismus gegenüber den Ostdeutschen dokumentieren. Demgegenüber strahlte die IGA in Hamburg weit in die DDR aus, entweder durch direktes Erleben (bis 1961) oder durch die Rezeption von Medienberichten. Allerdings bleiben ähnliche Prozesse im Landschaftsbau und bei der Gestaltung städtischer Räume insgesamt unterbelichtet. Hier reproduziert die Darstellung teilweise die Politisierung, die den Systemwettstreit in der Öffentlichkeit prägte, jedoch in den Erinnerungen vieler Ausstellungsbesucher kaum noch verankert ist. Zudem vermag der analytische Rahmen der deutsch-deutschen Geschichte zwischen Abgrenzung und (der weniger betonten) Verflechtung die Befunde nicht durchweg befriedigend zu verklammern. Besonders in den Kapiteln, die der Detailanalyse der Ausstellungen in der Bundesrepublik und DDR gewidmet sind, finden sich daher zum Teil beschreibende Passsagen, die nicht durchweg auf die leitende Fragestellung bezogen werden.

Insgesamt sollten die Gartenbauausstellungen zweifellos der Identifikation der eigenen Bevölkerung mit der jeweiligen Ordnung einerseits und der Propaganda gegenüber dem jeweils anderen Staat andererseits dienen. Diese Ziele wurden in der Bundesrepublik aber deutlich umfassender erreicht als in der DDR. Die Gründe für diese Diskrepanz bleiben in dem Buch letztlich unklar; sie sind aber wohl weniger den Ausstellungen selber geschuldet als vielmehr der geringen Anziehungskraft der SED-Diktatur und der Differenz zwischen der Leistungsfähigkeit der beiden Wirtschaftssysteme. Allerdings wiesen die Gartenbauausstellungen unterhalb der offiziellen Deklarationen symbolische Codes auf, deren Untersuchung in der Studie vernachlässigt wird. Nicht zuletzt hätte eine breitere komparative Analyse – zumindest im abschließenden Abschnitt – die Spezifika der Gartenbauausstellungen in der DDR bzw. in der Bundesrepublik oder auch der beiden deutschen Staaten gegenüber anderen europäischen Ländern verdeutlicht.

Damit wird das Verdienst der Studie, die mit der Geschichte der Garten-, Landschafts- und Stadtgestaltung eine wichtige Dimension der deutsch-deutschen Geschichte von den 1950er- bis zu den frühen 1970er-Jahren sachkundig untersucht hat, keineswegs geschmälert. Kristina Vagts umfassend recherchiertes Buch ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Beziehungsgeschichte der beiden deutschen Staaten, sondern regt auch zu einer vertiefenden und komparativen Kulturgeschichte von Gartenbauausstellungen in Deutschland und Europa seit dem 19. Jahrhundert an.

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