A. Salamurović: Wie viele Gesichter hat Deutschland?

Cover
Titel
Wie viele Gesichter hat Deutschland?. Das Deutschlandbild in der serbischen Presse 1990–2006


Autor(en)
Salamurović, Aleksandra
Reihe
Forschungen zu Südosteuropa 6
Erschienen
Wiesbaden 2013: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XI, 250 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dario Vidojković, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Am auch als „Medienereignis“ bezeichneten Jugoslawienkonflikt der 1990er-Jahre beteiligte sich Deutschland aus serbischer Perspektive „besonders aktiv“ (S. 2). Serbien kam in deutschen Medien überaus schlecht weg, was zu einem Wiederaufleben alter anti-serbischer Stereotype führte und den Schriftsteller Peter Handke dazu brachte, „Gerechtigkeit für Serbien“ zu fordern.1 Dabei haben Journalisten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Formierung solcher Bilder, die laut Ulrich Predelli in Extremen denken und sie „pointiert präsentieren“, wodurch Stereotype erst kreiert und formalisiert werden (S. 7). Dennoch ist dazu kein großes Forschungsinteresse in Deutschland festzustellen, trotz einiger Werke zu dem in Medien vermittelten Ausländerbild.2

Wie gestaltete sich aber umgekehrt für ein „kleines Land“ wie Serbien die Wahrnehmung von sich und auf ein größeres Land, wie Deutschland? Aleksandra Salamurović, die obige Lücke füllend, greift diese Fragen in ihrer Studie im Hinblick auf die „Krisen- und Transformationszeiten von 1990 bis 2006“ auf (S. 7f.). Ihre sich als kulturwissenschaftlich verstehende Arbeit (vgl. S. 28), die zugleich auch medienwissenschaftliche Ansätze zur Anwendung bringt (vgl. S. 7, S. 20ff.), untersucht, „welche Einstellungen, Selbst- und Fremdbilder serbische Medien, speziell Zeitungen, in Bezug auf Deutschland“ produzierten, steuerten und welche Vorstellungen sich in der serbischen Öffentlichkeit über Deutschland und Deutsche entwickelten (S. 7f.). Es geht Salamurović also darum, hier einmal die serbische Sicht auf Deutschland und ihre Entwicklung in der fraglichen Zeitspanne aufzuzeigen. Dazu hat sie 731 Artikel aus fünf serbischen Tages- und Wochenzeitungen untersucht, methodisch bediente sie sich dabei unter anderem der Inhaltsanalyse nach Klaus Merten (S. 11f., S. 199). Die Artikel bzw. „Codiereinheiten“ werden dabei nach einem quantifizierenden und qualitativen Verfahren analysiert (vgl. S. 82f.). Mit Hilfe des quantifizierenden Vorgehens zeigt sich ein besonderes Interesse an bestimmten Themen, ebenso wird damit ersichtlich, welche Darstellungsformen (zum Beispiel Kurzmeldung, Bericht oder meinungsbetonter, kommentierender Bericht) wie oft gewählt wurden (vgl. etwa S. 96ff.). Qualitativ geht es ihr um die in den Artikeln auftauchenden „Themen und Bilder“ (so S. 87).

Im Wesentlichen lässt sich Salamurović hierbei von vier Hypothesen leiten. Danach hängen die Deutschlandbilder eng mit der redaktionellen und politischen Ausrichtung der untersuchten Zeitungen zusammen, die in Berichten über Deutschland und die Deutschen „relativ kontinuierliche Tendenzen“ aufweisen (vgl. Hypothesen 2 und 3, S. 18). Dann seien Bilder und Stereotype „stark vom Kontext abhängig“, wobei die negativen Bilder aber konstanter seien (Hypothese 1, ebd.). Zuletzt seien „zwei Hauptbilder in der Berichterstattung über Deutschland“ auszumachen, ein negatives, das Deutschland als „Hauptverantwortliche[n] für den Zerfall Jugoslawiens“ zeichnet, sowie ein positives, wonach Deutschland aus serbischer Sicht als „wichtigste[r] Partner auf dem Weg Serbiens“ in die EU gesehen werde. Das negative Bild zeige sich vor allem von 1990 bis 2000, „das zweite hingegen von 2000 bis zum Endpunkt der Untersuchung“ (ebd.).

Salamurovićs Arbeit ist in sechs Kapitel gegliedert. Bei der Darstellung der theoretischen Grundlagen setzt sie sich unter anderem mit den für ihre Studie wichtigen Begriffen des Bildes, Stereotyps, Vorurteils wie auch des Selbst- und Fremdbildes auseinander. Dabei geht sie ebenfalls auf den Begriff der Medien sowie auf ihre Funktion als Kulturträger ein. Denn Medien „fungieren […] als Vermittler von Bildern, Images, Stereotypen und Vorurteilen“ (S. 37). Danach folgt eine Darstellung der serbischen Medienlandschaft, die für den darüber zumeist unkundigen deutschen Leser für das Verständnis der Studie notwendig ist. Für ihre Analyse hat Salamurović die Tageszeitung „Politika“ und die Wochenzeitung „NIN“ als „regimenahe“ Medien, die Tageszeitungen „Blic“ und „Danas“ sowie die Wochenzeitung „Vreme“ dagegen als „unabhängige Medien“ ausgewählt: Blätter, die „fast 90 % des gesamten Pressemarktes in Serbien ab[decken] und […] somit wesentlich die serbische öffentliche Meinung“ beeinflussen (S. 17). Besonders trifft dies auf die älteste und wichtigste serbische Tageszeitung, die „Politika“, zu, doch hätte Salamurović zum einen auch die Tageszeitung „Večernje Novosti“ heranziehen können, lange Zeit die auflagenstärkste serbische Tageszeitung. Zum anderen erscheint die Klassifizierung von „Blic“, „Danas“ und „Vreme“ als „unabhängige Medien“, die in Gegensatz zu „Politika“ und „NIN“ (und auf diese Weise als vom Regime Slobodan Miloševićs gelenkt) gestellt werden, doch als problematisch. Salamurović selbst gibt zu bedenken, dass die „Frage der Unabhängigkeit“ dieser Blätter sich „in Bezug auf ihre finanzielle Selbständigkeit“ stelle (S. 54). Sie wurden nämlich vom Westen finanziert und unterstützt, weshalb vorgeschlagen wird, sie als „oppositionelle“ Medien zu betrachten. Salamurović verwendet den Begriff „unabhängig“ als „synonym mit dem Begriff ‚oppositionell‘“ (ebd.), was aber dem Charakter dieser Zeitungen nur teilweise gerecht wird. „Oppositionell“ waren „Blic“, „Danas“ und „Vreme“ durchaus, aber wie sehr sie tatsächlich „unabhängig“ waren, ist diskutabel. Das zeigt sich sehr gut an der „Politika“, in die sich nach 2000 die deutsche WAZ-Gruppe einkaufte. In der Folgezeit findet Salamurović darin zahlreiche Beispiele für eine Deutschland gegenüber freundliche bzw. mindestens sachliche und entemotionalisierte Berichterstattung, wobei sich der Gedanke aufdrängt, dass die dahinterstehende deutsche Mediengruppe sicherlich einen gewissen Anteil und ein bestimmtes (auch politisches) Interesse daran gehabt haben dürfte (vgl. S. 58). Zudem benutzt sie mit Tages- und Wochenzeitungen zwei doch voneinander differierende Medientypen, gerade was den Aspekt der Meinungsbetontheit der Artikel anbelangt. Artikel in Wochenzeitungen, für deren Abfassung mehr Zeit als für Berichte in Tageszeitungen (die näher an einem Ereignis liegen) besteht, sind entsprechend häufiger meinungsbetont gehalten, während in Tageszeitungen Berichte und Meldungen überwiegen. Vielleicht wäre es im Hinblick auf die Ergebnisse der Untersuchung besser gewesen, nur Beispiele eines Gattungstypus zu analysieren.

Der Analyse der genannten Blätter ist ein viertes Kapitel vorangestellt, in dem die Autorin auf die Geschichte der deutsch-serbischen Beziehungen besonders in der Zeit von 1990 bis 2006 eingeht. Darin gibt sie ebenfalls einen „kurze[n] Abriss“ über „[t]radierte und gegenwärtige Bilder über die Deutschen“ (S. 75). Anschließend folgt im fünften Kapitel der eigentliche Hauptteil, die Untersuchung der Artikel. Dazu bildet Salamurović sechs Jahresgruppen, wobei hauptsächlich Artikel analysiert werden, die einen direkten Bezug zu Deutschland oder Deutschen aufweisen bzw. deutsche Themen betreffen. Das Jahr 1990 ist die erste Gruppe (Artikel zur deutschen Einheit); die zweite die Jahre 1991–1995 (allerdings ohne das Jahr 1993), wo unter anderem auf die deutsche Haltung zur Jugoslawienkrise sowie zur Kanzlerwahl 1994 eingegangen wird; die dritte 1998 (der Regierungswechsel zu Rot-Grün unter Gerhard Schröder); die vierte 1999 (die deutsche Beteiligung am Nato-Angriff auf Jugoslawien behandelnd); die fünfte von 2000 bis 2003, wo unter anderem die deutsche Haltung gegenüber der Regierung Djindjić nach Miloševićs Entmachtung (Oktober 2000) und der Ermordung Djindjićs (März 2003) untersucht wird. Die letzte Jahresgruppe umfasst die Jahre 2005 und 2006. Insbesondere bilden hier Artikel zum deutschen wirtschaftlichen Engagement in Serbien sowie die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2006 den Gegenstand der näheren Betrachtung.

Salamurovićs Ergebnisse laufen darauf hinaus, dass Deutschland in der serbischen Öffentlichkeit nicht nur zwei, sondern viele Gesichter habe, genauer gesagt acht Deutschlandbilder. Die wichtigsten davon sind das von „Deutschland als Gefahr“ bzw. „als Feind“, das positive Bild von „Deutschland bzw. Deutsche[n] als (notwenige [sic]) wirtschaftliche Stütze“, das ebenfalls positive von „Deutschland als Kulturnation“ sowie das eher selten auftretende Bild von „Deutschland als Freund“ Serbiens (vgl. S. 205ff.). In ihrer Schlussfolgerung stellt Salamurović fest, dass die vom Zweiten Weltkrieg herrührenden negativen Bilder von Deutschland und den Deutschen als Feinden weit bis nach dem Jahr 2000 überdauerten, dagegen die deutsche Wirtschaftsmacht in Serbien lange Zeit über positiv wahrgenommen wurde. Diese Anschauung begann sich allerdings seit 2005/2006 mit einem stärkeren deutschen ökonomischen Ausgreifen in Serbien (zum Beispiel sichtbar an der Übernahme serbischer Blätter) in ein negatives Bild umzuwandeln. Doch trotz aller Feindseligkeiten blieb das positiv besetzte Bild von Deutschland als Kulturnation nach wie vor lebendig (vgl. S. 220ff.). Viele der untersuchten Berichte weisen einen relativ hohen Grad an Historisierung, Emotionalisierung und auch Personifizierung auf, mit der bestimmte politische oder wirtschaftliche Akteure hervorgehoben werden und „für das Kollektiv repräsentativ sind“ (S. 219). Darin zeigt sich freilich die eigene „Konstituierung eines kollektiven Selbstbildes“, die der serbischen Gesellschaft, die Salamurović als „systemisch schwach[e]“ begreift, innewohne und zu einer entsprechenden Wahrnehmung von Deutschland und den Deutschen führe (ebd.). Durch eine „Neutralisierung“ und pragmatische Versachlichung der Berichterstattung, wie im Falle der deutschen wirtschaftlichen Unterstützung für Serbien, sei es jedoch möglich, zu einer „Normalisierung“ des serbischen Deutschlandbildes zu kommen, schließt Salamurović.

Zuweilen hätte aber der zeithistorische Kontext noch stärker mit einbezogen werden können, der das Verständnis der serbischen Deutschlandbilder deutlicher hätte machen können. Und zu eng erscheint manches Mal die Sicht, negative Deutschlandbilder seien das Resultat der von Milošević „gelenkten“ Medien, die positiven Bilder dagegen nur in den „unabhängigen“ Medien zu finden. Die im Namensregister auftauchenden falschen Seitenangaben könnten vielleicht an Formatierungsfehlern liegen, in einer eventuellen Neuauflage bestünde Gelegenheit, diese zu korrigieren.

Insgesamt verdient Salamurovićs Studie allerdings schon allein aufgrund der umfangreichen Quellenbasis lobende Anerkennung. Zudem hat es eine Untersuchung zu diesem Thema im deutschen Sprachraum so noch nicht gegeben. Auch wenn die Arbeit (wohl dem gewählten methodischen Vorgehen geschuldet) stellenweise etwas schematisch erscheint, gelingt Salamurović durchweg eine anschauliche und eindrückliche Darstellung des durchaus heterogenen serbischen Deutschlandbildes.

Anmerkungen:
1 Vgl. Kurt Gritsch, Peter Handke und „Gerechtigkeit für Serbien“. Eine Rezeptionsgeschichte, Innsbruck 2009.
2 So zum Beispiel Ulrich Predelli, Wie fremd sind uns Fremde. Das Ausländerbild in der deutschen Tagespresse, Berlin 1997.

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